II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 139


25. BrfEnhandi
Ausschnitt aus: REICHSPOST, WIEN
3-12. 1912
vom

Professor Bernhardi.
Komödie von ArthurScninl—
Der Fall ist einfach der, daß ein Geistlicher in ein
von einem jüdischen Direktor gegründetes und geleitetes
Krankenhaus gerufen wird. Dort liegt ein Mädchen,
dessen Zustand hoffnungslos ist.
Ihr Leben zählt
kaum noch nach Minuten, doch ahnt sie nichts
von dem bevorstehenden Ende. Im Vorzimmer
trifft der Direktor, Professor Bernhardi, mit dem
Geistlichen zusammen und findet es empfehlenswert,
#ie Kranke nicht durch Enthüllung ihres rettungslosen
Zustandes — und als solche Enthüllung müßte das Er¬
scheinen des Priesters wirken — aufzuregen. Der Geist¬
liche macht nun seinen Entschluß von der Frage ab¬
hängig, ob sein Erscheinen den Verlauf der Krankheit
in ungünstiger Weise beeinflussen könne oder nicht. Da
ihm aber der Professor erklärt, die Kranke sei ohnedies
unrettbar, es handle sich nur mehr um Minuten, besteht
der Priester darauf, zu der Sterbenden gelassen zu wer¬
den. Im Verlaufe eines erregten Wortwechsels berührt
der Professor „leicht“ die Schulter des Priesters. In¬
dessen hat die Krankenschwester die Sterbende auf das
Erscheinen des Priesters vorbereiten wollen. Diese ist
exschrocken und sogleich verschieden.
Aus diesem Vorfalle ergeben sich alsbald für das
Krankenhaus die unliebsamsten Folgen. Das gesamta
do
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Kuratorium, in dem auch ein Bischof sitzt, tritt zurück.
Im Parlamente bringen die „Klerikalen“ eine Inter¬
pellation ein. Zwar ist der Kultusminister ein Freund
Bernhardis und hat diesem versprochen, ihn zu schützen.
Er fällt aber im entscheidenden Augenblicke aus Angst
vor den „Klerikalen“ um und leitet die Interpellation
an den Kollegen von der Justiz. Nun wird Bernhardi
wegen „Religionsstörung“ vor das Geschwornengericht
gezerrt und auf Grund meineidiger Zeugenaussagen,
welche den Vorfall so darstellen, als habe er dem Priester
einen heftigen Stoß versetzt, zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Monaten verurteilt, die er, auf jedes Rechts¬
mittel verzichtend, frohgemut absitzt. Nun wollen ihn
die „Freiheitlichen“ natürlich sofort zum Märtyrer
seiner Ueberzeugung machen und für ihre Parteizwecke
benützen. Er aber lehnt Politik in edlem Gleichmut ab,
will auch die Märtyrerrolle nicht spielen, sondern wieder
ein einfacher Arzt sein.
Dies die Haupthandlung, neben welcher freilich
eine lange Reihe von Episoden einherläuft.
Wie ist dieses Schauspiel als Kunstwerk zu
werten?
Das aufgeworfene Problem, nämlich der Konflikt
zwischen dem Arzt und dem Priester, die beide ihre
Pflicht zu tun glauben, ist ohne Zweifel interessant und
sicherlich der Bearbeitung wert. Hat Schnitzler dieses
Problem bearbeitet? Man beachte: Dreht sich denn
sein Stück um dieses Problem? Ist nicht vielmehr das
kaum angedeutete Problem bloß die Staffage für einen
ganz neuen Vorgang, in dem es sich um ganz andere
Dinge handelt, als um die Frage, ob der Arzt das Recht
hat, dem Priester Zutritt ins Krankenzimmer zu ver¬
wehren. Dies tritt auch schon rein äußerlich in die Er¬
scheinung: das Stück hat fünf Akte, fünf lange Akte.
Das anfängliche Problem aber ist im ersten restlos ab¬
getan.
Mit dem ersten Akte endet das Drama. Was nun
kommt, ist ein so tendenziös=gehässiger Feldzug, daß
es schwer ist, kühl und rein sachlich darüber zu schreiben.
Es soll aber immerhin versucht werden. Ein Feldzug
gegen die katholische Religon? Nicht eigentlich. Dies
würde einem Juden schlecht stehen, würde sein Werk zu
offenkundig stempeln. Mehr aber gegen die Kirche und
die, die zu der Kirche stehen, die „Klerikalen“ Ein
einzigesmal heißen sie bei Schnitzler die „Christlich¬
sozialen“, jene Partei, die „so stark und so rücksichtslos
ist“ wie Schnitzler sagt, jene „gewisse Partei, über
deren Wesen wir alle nicht im Zweifel sind, mit so ver¬
schiedenen Gefühlen wir ihr auch gegenüberstehen“
Welche raffinierte Mache! Den Priester zeichnet
Schnitzler als einen edlen, durchaus ehrlichen Mann.
(„Dieser Priester ist kein gewöhnlicher Mensch“, sagen
die Juden anerkennend unter sich.) Dieser Priester gibt
im Gerichtssaale der Wahrheit die Ehre und sagt zu¬
gunsten des Professors Bernhardi aus. Allein er wird
dafür strafweise in ein galizisches Dorf versetzt! Er
hat — so soll dargetan werden — mit seiner Ehren¬
haftigkeit die Kreise jener intriganten Partei gestört,
die aus seinem Falle mit allen Mitteln, selbst denen
des Meineides, die Wafse zu einem Attentat auf den
Juden Bernhardi schmieden. Was da alles an
„klerikalem Gesindel“ aufmarschiert und sich gegen den
edlen, rettungslos verlorenen Juden verbündet: Eine
Fürstin Stixenstein. Ein Bischof. Ein Student Hoch¬
roitzpointner aus Tirol und eine Krankenschwester, die
beide falsch schwören. Ein Dr. Ebenwald, der seinen
Vetter, den Abgeordneten zur Einbringung einer ganz
lügenhaften Interpellation veranlaßt und den Profe###c
Bernhardi um jeden Preis stürzen will, um selbst
Direktor zu werden. Ferner ein Minister für Kultus
und Unterricht, der zwar ein aufrechter Mann sein will,