box 30/2
25. ProfessenBernhandi
sechnitt aus:
Das RECH:, WIEN
IEUAN 1972
Hllerlei aus dem Rechtsieben.
Professor Bernhardi.
Sie lebt noch die liebe Zensur aus der guten alten Zeit, die Zensur, die Schillers
Dramen verbesserte, aus Gocihes Faust ganze Auftritte strich, ihr mißlliebige Personen,
die in den Werken der gröfiten Dichter vorkommen, zum Nichterscheinen vor dem
Publikum verurteilte, Schriftsteller kujonierte und Geister in Keiten schiug. Sie ieht
noch trotz allem modernen Schnickschnack, trotz Beirat und Aufklärung. Sie hat sich
allerdings den Verhältnissen teilweise angepaßt, sie trägt nämlich den sexuellen
Perversitäten eines verehrten Publikums Rechnung, läßt die gemeinsten Schweinereien
auf der Bühne zu, aber eines duldet sie nicht: die Aufklärung des Volkes, die wahr¬
heitsgetreue Darstellung von Zusländen, die jeder sicht, jeder beobachtel, keiner aber
künstlerisch gestalten darf.
Wir gehören nicht zu den Freunden Schnitzlers. Im Zeitalter der unsinnigsten
Uberschätzungen, der perfidesten Verkleinerungen“ gehört Schnitzler zweifellos zu den
Uberschätzten. Das knnn man ohne Verseunderung in einer Zeit begreifen, in der das
en-Benairiichen Alkoholismus gemilderte Geblödel eines Peter Altenberg
Sti Eilel Schönheit und höchste Weisheit ausgegeben wird, in einer Zeit, in der man
sich vor der mit janchiger Schminke übertünchten, mit ekelhaften Schönheitspflästerchen
bekiebten Muse eines phantasielosen frömmlerischen Hugo von Hofmannsthal beugt.
Verglichen mit ihnen ist Arthur Schnitzler ein Riese, obwohl sein Ausdruck
arm und dürftig ist, obwohl er den deutschen Sprachschatz nicht um ein Wort
bereichert hat, denn selbst das Wort Liebelei war schon dem =Dichter des Prinzen
Methusalem geläufig, obwohl seine von unsern Schmöcken gepriesene philosophische
Tiefe bloß in der erhabenen Erkenntnis besteht, daß zwei mal zwei vier ist, daß alte
Männer graue Bärte haben, dab alle Wesen sterblich sind, daß das Leben ein Rätsel
ist und dal die Sonne am Morgen auf- und am Abend untergeht, obwohl er oft mit
unzulänglicher Naivität motiviert und obwohl er nach guten Anläufen zumeist zu
Schlüssen gelangt, die an die schlechtesten Kolportageromane erinnern.
Wie sehr er aber das heutige nach Patschuli duftende, in öden Wortschwall
gehüllte, nichtswissende und noch weniger könnende Litteratengeschmeiß übertrifft,
beweist am besten seine neueste Komödie -Professor Bernhardi-, in der er mit außer¬
ordentlicher Geschicklichkeit, mit klarem Verstande und mit goldener Rücksichtslosigkeit
die eiternden Wunden unserer Gesellschaft aufdeckt und den Schmutz zeigt, den man
heute durchwaten muß, wenn man etwas werden will.
Wir haben uns bemüht, dieses Buch mit dem Auge eines vormürzlichen Zensors
zu lesen und haben stets auch dies sogenannten staatserhaltenden Prinzips eingedenk
nichts entderken können, was mit dem geltenden Strafgesetze nicht in Einklang zu
bringen wäre. Denn es wird doch noch gestattet sein müssen, die Lumpereien der
lieben Mitmenschen und das schuftige Wirken der Cliquen auf die Bühne zu bringen.
Solche Zustände und Individuen wie sie Schnitzler scharf beobachtet und mit
pulsierendem Leben erfüllt hat — hat es immer gegeben und wir sind zu viel Pessi¬
misten, um den Irrglauben zu teilen, daß es jemals anders sein wird. Mit größter
schildert, einen
Geschicklichkeit hat Schnitzler den Vorkommnissen, C
allgemein menschlichen, also allgemein gültigen Charakter verliehen. Er hat eher
idealisiert als verzerrt und entstellt.
Und wenn auch viele Leute und selbstverständlich in erster Linie der Zensor
in dem Unterrichtsminister Professor Dr. Flint den gewesenen Unterrichtsminister
Dr. Marchet erkennen, so sagen wir, daß der Professor Flint anständiger und ehrenhafter
als sein Urbild, als der Mann ist, der unter der Vorspiegelung, daß er ein Liberaler
sei, dem Klerikalismus Hausknechtdienste geleistet und Zustande geschaffen hat, die
den Schulgesetzen Hohn sprechen. Abgesehen davon schützt das Gesetz nur die
gegenwärtige Regierung, niemals aber eine verflossene Regierung, nur den gegen¬
wärtigen Unterrichts- und Konkordatsminister, wie Schnitzler so treffend bemerkt,
nicht aber den verkrachten Minister für Kultus und Volksverdummung.
Oder gar der Auftriti, der für die Fortentwicklung der Komödie von entschei¬
dender Bedeutung ist, der Konflikt Bernhardis mit dem Pfarrer, der gekommen ist,
um an einer Sterbenden, die glaubt, daß sie gesund geworden sei, die letzte Olung
vorzunehmen und sie in den letzten Sekunden ihres Bewußtseins mit Todesangst zu
erfüllen. Was Bernhardi da sagt, kann keinen Staatsanwalt irritieren, was Bernhardi
da tut, trägt nicht im entferntesten einen strafbaren Charakter an sich.
Denn das ist der Tatbestand: Bernhardi: Und ich kann nur wiederholen,
daß ich ihnen als Arzt, dem das Wohl seiner Kranken bis zur letzten Stunde anver¬
Pfarrer
traut bleibt, das Uberschreiten dieser Schwelle leider verbieten muß.
(vortretend): Sie verbieten es mir? — Bernhardi (leicht seine Schulter berührend):
Ja, Hochwürden. Das ist alies.
Aber auch das Erscheinen eines Beichtvaters auf der Bühne kann selbst in
Osterreich nicht verboten werden; wurde es doch. allerdings nach vielen Jahren und
nach langen Kämpfen, gestattet, daß Melvil zu Maria Stuart komme und ihre Beichte
auf der Bühne entgegennehme.
Kein Ziensch weili also, warum die Zensur die Aufführung der Komödie ver¬
boten hat. Man weiß das ebensowenig wie den Grund dafür, daß Gerhart Hauptmanns
prächtige -Rose Bernde nach einigen Aufführungen von der Bühne des Burgtheaters
verschwinden mußie
Im Zasammenhange damit müssen noch einige Worte über die Gesetzes¬
unkenntnis des Publikums und der Dichter gesagt werden. Das erwähnte Verhalten
Bernhardis gegen den P'farrer führt zu einer Anklage wegen Verbrechens der
Religionsstörung. Das geht nicht. Schlimmstenfalls kann Bernhardi, wenn man die
Lügen der vernommenen Zeugen für Wahrheit hält, nur wegen Vergehens im Sinne
des § 303 StG. angeklagt werden, weil er einen Religionsdiener bei Ausübung
25. ProfessenBernhandi
sechnitt aus:
Das RECH:, WIEN
IEUAN 1972
Hllerlei aus dem Rechtsieben.
Professor Bernhardi.
Sie lebt noch die liebe Zensur aus der guten alten Zeit, die Zensur, die Schillers
Dramen verbesserte, aus Gocihes Faust ganze Auftritte strich, ihr mißlliebige Personen,
die in den Werken der gröfiten Dichter vorkommen, zum Nichterscheinen vor dem
Publikum verurteilte, Schriftsteller kujonierte und Geister in Keiten schiug. Sie ieht
noch trotz allem modernen Schnickschnack, trotz Beirat und Aufklärung. Sie hat sich
allerdings den Verhältnissen teilweise angepaßt, sie trägt nämlich den sexuellen
Perversitäten eines verehrten Publikums Rechnung, läßt die gemeinsten Schweinereien
auf der Bühne zu, aber eines duldet sie nicht: die Aufklärung des Volkes, die wahr¬
heitsgetreue Darstellung von Zusländen, die jeder sicht, jeder beobachtel, keiner aber
künstlerisch gestalten darf.
Wir gehören nicht zu den Freunden Schnitzlers. Im Zeitalter der unsinnigsten
Uberschätzungen, der perfidesten Verkleinerungen“ gehört Schnitzler zweifellos zu den
Uberschätzten. Das knnn man ohne Verseunderung in einer Zeit begreifen, in der das
en-Benairiichen Alkoholismus gemilderte Geblödel eines Peter Altenberg
Sti Eilel Schönheit und höchste Weisheit ausgegeben wird, in einer Zeit, in der man
sich vor der mit janchiger Schminke übertünchten, mit ekelhaften Schönheitspflästerchen
bekiebten Muse eines phantasielosen frömmlerischen Hugo von Hofmannsthal beugt.
Verglichen mit ihnen ist Arthur Schnitzler ein Riese, obwohl sein Ausdruck
arm und dürftig ist, obwohl er den deutschen Sprachschatz nicht um ein Wort
bereichert hat, denn selbst das Wort Liebelei war schon dem =Dichter des Prinzen
Methusalem geläufig, obwohl seine von unsern Schmöcken gepriesene philosophische
Tiefe bloß in der erhabenen Erkenntnis besteht, daß zwei mal zwei vier ist, daß alte
Männer graue Bärte haben, dab alle Wesen sterblich sind, daß das Leben ein Rätsel
ist und dal die Sonne am Morgen auf- und am Abend untergeht, obwohl er oft mit
unzulänglicher Naivität motiviert und obwohl er nach guten Anläufen zumeist zu
Schlüssen gelangt, die an die schlechtesten Kolportageromane erinnern.
Wie sehr er aber das heutige nach Patschuli duftende, in öden Wortschwall
gehüllte, nichtswissende und noch weniger könnende Litteratengeschmeiß übertrifft,
beweist am besten seine neueste Komödie -Professor Bernhardi-, in der er mit außer¬
ordentlicher Geschicklichkeit, mit klarem Verstande und mit goldener Rücksichtslosigkeit
die eiternden Wunden unserer Gesellschaft aufdeckt und den Schmutz zeigt, den man
heute durchwaten muß, wenn man etwas werden will.
Wir haben uns bemüht, dieses Buch mit dem Auge eines vormürzlichen Zensors
zu lesen und haben stets auch dies sogenannten staatserhaltenden Prinzips eingedenk
nichts entderken können, was mit dem geltenden Strafgesetze nicht in Einklang zu
bringen wäre. Denn es wird doch noch gestattet sein müssen, die Lumpereien der
lieben Mitmenschen und das schuftige Wirken der Cliquen auf die Bühne zu bringen.
Solche Zustände und Individuen wie sie Schnitzler scharf beobachtet und mit
pulsierendem Leben erfüllt hat — hat es immer gegeben und wir sind zu viel Pessi¬
misten, um den Irrglauben zu teilen, daß es jemals anders sein wird. Mit größter
schildert, einen
Geschicklichkeit hat Schnitzler den Vorkommnissen, C
allgemein menschlichen, also allgemein gültigen Charakter verliehen. Er hat eher
idealisiert als verzerrt und entstellt.
Und wenn auch viele Leute und selbstverständlich in erster Linie der Zensor
in dem Unterrichtsminister Professor Dr. Flint den gewesenen Unterrichtsminister
Dr. Marchet erkennen, so sagen wir, daß der Professor Flint anständiger und ehrenhafter
als sein Urbild, als der Mann ist, der unter der Vorspiegelung, daß er ein Liberaler
sei, dem Klerikalismus Hausknechtdienste geleistet und Zustande geschaffen hat, die
den Schulgesetzen Hohn sprechen. Abgesehen davon schützt das Gesetz nur die
gegenwärtige Regierung, niemals aber eine verflossene Regierung, nur den gegen¬
wärtigen Unterrichts- und Konkordatsminister, wie Schnitzler so treffend bemerkt,
nicht aber den verkrachten Minister für Kultus und Volksverdummung.
Oder gar der Auftriti, der für die Fortentwicklung der Komödie von entschei¬
dender Bedeutung ist, der Konflikt Bernhardis mit dem Pfarrer, der gekommen ist,
um an einer Sterbenden, die glaubt, daß sie gesund geworden sei, die letzte Olung
vorzunehmen und sie in den letzten Sekunden ihres Bewußtseins mit Todesangst zu
erfüllen. Was Bernhardi da sagt, kann keinen Staatsanwalt irritieren, was Bernhardi
da tut, trägt nicht im entferntesten einen strafbaren Charakter an sich.
Denn das ist der Tatbestand: Bernhardi: Und ich kann nur wiederholen,
daß ich ihnen als Arzt, dem das Wohl seiner Kranken bis zur letzten Stunde anver¬
Pfarrer
traut bleibt, das Uberschreiten dieser Schwelle leider verbieten muß.
(vortretend): Sie verbieten es mir? — Bernhardi (leicht seine Schulter berührend):
Ja, Hochwürden. Das ist alies.
Aber auch das Erscheinen eines Beichtvaters auf der Bühne kann selbst in
Osterreich nicht verboten werden; wurde es doch. allerdings nach vielen Jahren und
nach langen Kämpfen, gestattet, daß Melvil zu Maria Stuart komme und ihre Beichte
auf der Bühne entgegennehme.
Kein Ziensch weili also, warum die Zensur die Aufführung der Komödie ver¬
boten hat. Man weiß das ebensowenig wie den Grund dafür, daß Gerhart Hauptmanns
prächtige -Rose Bernde nach einigen Aufführungen von der Bühne des Burgtheaters
verschwinden mußie
Im Zasammenhange damit müssen noch einige Worte über die Gesetzes¬
unkenntnis des Publikums und der Dichter gesagt werden. Das erwähnte Verhalten
Bernhardis gegen den P'farrer führt zu einer Anklage wegen Verbrechens der
Religionsstörung. Das geht nicht. Schlimmstenfalls kann Bernhardi, wenn man die
Lügen der vernommenen Zeugen für Wahrheit hält, nur wegen Vergehens im Sinne
des § 303 StG. angeklagt werden, weil er einen Religionsdiener bei Ausübung