25 Brofesser-Bernhandi
Ausschnitt aus
sische Zeiuinngy, Bent.
vand 7. APRlL 1913
berlbatlunge.
gericht abgegangen.
Aus dem Wienes Abakerlchst mchr un berichtet: Mite
April. Das erfolg= und belangreichste Stück eines heimischen:
Bühnendichters,
„Professor Bernhardi“, darf nicht bloß
im protestantischen Berlin und Hamburg, dem katholi¬
schen München und Köln, sondern sogar in Preßburg?
ein Stündchen außerhalb Wiens, jenseits der Grenze nach
Ungarn
nur nicht
in den im Reichsrat vertretenen
Ländern gespielt werden.
Die Wiener Dramatiker die an
Schnitzlers Stelle mit Neuigkeiten herausrückten — Bronnet mit
einer Tiroler Historie „Vaterland“ aus dem Jahre 1809 und
Trebitsch mit dem „Muttersohn“ — sind verunglückt, nur Sil“
Vara bringt es auf der Neuen Wiener Bühne mit einem
Schauspiel „Die Frau von vierzig Jahren“ zu dauer¬
hafterem, vornehmlich der Darstellerin der Titelrolle Frau
Fehdmer zu dankendem Spielerfolg. Das Thema,
das
die Stasl mit Benjamin Constant durchlebte und dieser im
„Adolphe“. Grillparzer in der „Sappho“ künstlerisch so sicher fest¬
hielt, daß Nachgeborene schwerlich Besseres daraus holen werden,
behandelt Sil Vara ziemlich landläufig, weder psychologisch noch
dramatisch bedeutend, für den Durchschnitts=Geschmack indessen
theatralisch wirksam. Eine Dame, die den geliebten Bräutigam —
er war Witwer — als Zwanzigjährige verloren, heiratet nicht aus
Treue für das Andenken des bei einem Ritt Verunglückten. Als
40jährige fängt sie Flamme für den Sohn dieses Bräutigams, und
nun erfährt die jungfräuliche Witwe nach einem kurzen Liebesrausch
das unvermeidliche Schicksal, daß nur gleich und gleich sich gesellt:
ihre Nichte wird die Frau ihres Pflegesohnes. Ein paar schwüle
Szenen und ein paar kecke Attacken der Nichte versagten ihren
Eindruck auf der Bühne nicht. Ob Sil Vara mit diesem Erstling
nur den Auftakt zu folgenden selbständigen Leitmotiven gegeben hat
oder mit dem Herkömmlichen sich bescheiden wird muß die Zukunft
zeigen. A. Bm.
Agsschultt uzr: Elbepost, Lestee cz
Böhmen
752
LL
Gs
Kultür und Geschäft.
At 1
Die Kultur war damals in höchster Gefahr.
Wenigstens die Jndenpresse tat so, als ob dies der
Fall gewesen wäre, nämlich als die Wiener Zensur das
Schnitzler'sche Schauspiel „Professor Bernhardi“ von
der Aufführung an den Wiener Bühnen ausschloß.
Alle koscheren Kulturkommis, denen man für gewöhnlich
nur auf dem Gebiee der Manufaktur zu begegnen
pflegt, dräugten sich um die angeblich durch klerikale
Umtriebe bedrängte moderne Kultur, mit einem Getöse,
als gelte es noch ein zweitesmal die Mauern von
Jericho zu Falle zu bringen. Nun hat sich ein spekula¬
tiver Preßburger Theaterdirektor gefunden, der dieses
„weltbewegende Schauspiel“ auf die Bühne brachte.
Eine Kulturtat ersten Ranges! Täglich las man von
ihr in der Presse. Separatdampferfahrten wurden ein¬
geleitet, und dgl. Tam Tam mehr. Und was ist bei
diesem Schnitzlerrummel herausgekommen? Selbst die
„Wage“geine Wochenschrift, deren Spiritusrektor der
bekannte judenliberale Abg. Zenker ist, macht das
Geständnis, daß zwar das Verbot des Stückes durch
die Zeusur eine Dummheit war, daß es aber eine solche
Dummheit ist, die Aufführung dieses Stückes eine
„Kulturtat“ zu nennen. Das ist eine recht interessante
Beurteilung. Aber wehe, wenn sich so ein Klerikaler
dieses Urteil über das Machwilk des Herrn Schnitzler
angemaßt hätte. Der Liberalismus hat wirklich Pech¬
Politisch kommt er immer mehr auf des Hund und
literarisch wird er nun auch an seiner Liuchte
Schnitzler irre.
box 30/2
Ausschnitt aus:
Seinalie Zeitung, Wien
vom:
30 frR 1973
Tagesbericht.
Wien, 30. April.
„Bernhardi 1913.“
Als das Stück erschich, waren die Meinungen darüber
geteilt, wie es zu datieren lei. Manche dachten an die Mitte
der achtziger Jahre, ay die Keim=Epoche des Antisemitismus.
Manche glaubten, eing stätere Zeit darin zu erkennen. Artur
Schnitzler darüber beftagt erwiderte, es sei ihm ungefähr die
Epoche um 1900 vorgeschwebt, was bei einigen (worunter
auch ich mich befand) Widerspruch hervorrief. Denn wir
meinten: Ueber die Möglichkeiten, die im „Bernhardi“ zum
dramatischen Konflikt führen, sei man damals schon hinweg
gewesen.
Wir haben uns alle geirrt. Die Zeit des „Bernhardi“.
ist 1913. Das zeigt das Schicksal dieser Komödie, das zeigt
die Affäre von Preßburg. Oder vielmehr dieser „Bernhardi“
ist, was eigentlich jedes Stück von Dichters Wesen sein soll:
es ist von immer!
So wie dort, schleichen und schachern und ducken und
stechen und dienern und verraten sie sich auch heute — die
Menschenart. Es ist kein Fortschritt zu freierem, edlerem Sein.
Muckertum und Opportunismus und gesellschaftliche Kon¬
venienz und Wohldienerei und das Wittern dessen, was
morgen an Gesinnung getragen werden muß, um Karriere zu
machen. So sind die um „Bernhardi“ herum gezeichnet. Und
so ist die Gesellschaft, welche im zwanzigsten Jahrhundert die
Aufführung dieses Stückes nicht erträgt oder nicht zu er¬
tragen wagt.
Ein Zensurverbot hat den „Bernhardi“ Oesterreichs Bühnen
untersagt. Weil man heute klerikaler, unduldsamer ist als in der
dem Konkordat doch noch so nahen Epoche, da Anzengruber von
der Bühne seinen Kampf nicht gegen den Glauben, sondern
gegen die Kirche führte. In Ungarn jedoch war das Stück
frei. Eine Stunde weit von Wien herrscht eine andere Auf¬
fassung über intellektuelle Freiheit. So wenigstens dachte der
ungarische Zensor. Aber er erlebt eine Ueberraschung. Er wird
plötzlich zum zensurierten Zensor.
Denn der Theaterausschuß in Preßburg hat zwei Tage
ver der geplanten und drei volle Wochen angekündigt ge¬
wesenen Aufführung des „Bernhardi“ durch die Barnoosky¬
Truppe, diese Vorstellung inhibiert. Offiziell werden als Ursache
lokale Gründe der Theaterpolitik ungegeben. Aber das geschieht
nur, weil es dieser Zeit selbst an Mut gebricht, für ihre
Handlungen einzustehen. Es wäre sympathischer gewesen, wenn
die Preßburger frank und frei gesagt hätten: Wir sind für
das Verbot!
In der Elisabethinum=Sitzung, bei welcher der Bern¬
hardi von seinen Kollegen abgekragelt wird, ist ja auch das
Interesse des Instituts von ihnen vorgeschoben, um Geschäfte
anderer Art dadurch zu vertünchen. Und erst als ihnen der
Duft des Op' blutes zu Kopfe steigt, verlieren sie die Masken,
und jede. spricht seinem Nutzen nach, hascht seinen Vorteil und
schielt nach der Direktive von dem, der morgen „oben“ sei“
wird. Artur Schnitzler hat hier ein für allemal gezeigt, „wie
es gemacht wird“. Und tat es in so prägnanter Weise, daß
er damit dem Preßburger Theaterausschuß ein Rezept ge¬
liefert hat. Frei nach Schnitzler ist die Aufführung „Der
verbotene Bernhardi“ vor sich gegangen. Erst steht die
offiziöse Begründung auf der Tagesordnung, die nie¬
mand anhört, niemand glaubt, weil sie jenem Gott
„Niemand“ geschäftsmäßig wie alle Lügen der Gesellschaft
dorgebracht werden. Dann erhebt sich der Liberale“ (Man
Ausschnitt aus
sische Zeiuinngy, Bent.
vand 7. APRlL 1913
berlbatlunge.
gericht abgegangen.
Aus dem Wienes Abakerlchst mchr un berichtet: Mite
April. Das erfolg= und belangreichste Stück eines heimischen:
Bühnendichters,
„Professor Bernhardi“, darf nicht bloß
im protestantischen Berlin und Hamburg, dem katholi¬
schen München und Köln, sondern sogar in Preßburg?
ein Stündchen außerhalb Wiens, jenseits der Grenze nach
Ungarn
nur nicht
in den im Reichsrat vertretenen
Ländern gespielt werden.
Die Wiener Dramatiker die an
Schnitzlers Stelle mit Neuigkeiten herausrückten — Bronnet mit
einer Tiroler Historie „Vaterland“ aus dem Jahre 1809 und
Trebitsch mit dem „Muttersohn“ — sind verunglückt, nur Sil“
Vara bringt es auf der Neuen Wiener Bühne mit einem
Schauspiel „Die Frau von vierzig Jahren“ zu dauer¬
hafterem, vornehmlich der Darstellerin der Titelrolle Frau
Fehdmer zu dankendem Spielerfolg. Das Thema,
das
die Stasl mit Benjamin Constant durchlebte und dieser im
„Adolphe“. Grillparzer in der „Sappho“ künstlerisch so sicher fest¬
hielt, daß Nachgeborene schwerlich Besseres daraus holen werden,
behandelt Sil Vara ziemlich landläufig, weder psychologisch noch
dramatisch bedeutend, für den Durchschnitts=Geschmack indessen
theatralisch wirksam. Eine Dame, die den geliebten Bräutigam —
er war Witwer — als Zwanzigjährige verloren, heiratet nicht aus
Treue für das Andenken des bei einem Ritt Verunglückten. Als
40jährige fängt sie Flamme für den Sohn dieses Bräutigams, und
nun erfährt die jungfräuliche Witwe nach einem kurzen Liebesrausch
das unvermeidliche Schicksal, daß nur gleich und gleich sich gesellt:
ihre Nichte wird die Frau ihres Pflegesohnes. Ein paar schwüle
Szenen und ein paar kecke Attacken der Nichte versagten ihren
Eindruck auf der Bühne nicht. Ob Sil Vara mit diesem Erstling
nur den Auftakt zu folgenden selbständigen Leitmotiven gegeben hat
oder mit dem Herkömmlichen sich bescheiden wird muß die Zukunft
zeigen. A. Bm.
Agsschultt uzr: Elbepost, Lestee cz
Böhmen
752
LL
Gs
Kultür und Geschäft.
At 1
Die Kultur war damals in höchster Gefahr.
Wenigstens die Jndenpresse tat so, als ob dies der
Fall gewesen wäre, nämlich als die Wiener Zensur das
Schnitzler'sche Schauspiel „Professor Bernhardi“ von
der Aufführung an den Wiener Bühnen ausschloß.
Alle koscheren Kulturkommis, denen man für gewöhnlich
nur auf dem Gebiee der Manufaktur zu begegnen
pflegt, dräugten sich um die angeblich durch klerikale
Umtriebe bedrängte moderne Kultur, mit einem Getöse,
als gelte es noch ein zweitesmal die Mauern von
Jericho zu Falle zu bringen. Nun hat sich ein spekula¬
tiver Preßburger Theaterdirektor gefunden, der dieses
„weltbewegende Schauspiel“ auf die Bühne brachte.
Eine Kulturtat ersten Ranges! Täglich las man von
ihr in der Presse. Separatdampferfahrten wurden ein¬
geleitet, und dgl. Tam Tam mehr. Und was ist bei
diesem Schnitzlerrummel herausgekommen? Selbst die
„Wage“geine Wochenschrift, deren Spiritusrektor der
bekannte judenliberale Abg. Zenker ist, macht das
Geständnis, daß zwar das Verbot des Stückes durch
die Zeusur eine Dummheit war, daß es aber eine solche
Dummheit ist, die Aufführung dieses Stückes eine
„Kulturtat“ zu nennen. Das ist eine recht interessante
Beurteilung. Aber wehe, wenn sich so ein Klerikaler
dieses Urteil über das Machwilk des Herrn Schnitzler
angemaßt hätte. Der Liberalismus hat wirklich Pech¬
Politisch kommt er immer mehr auf des Hund und
literarisch wird er nun auch an seiner Liuchte
Schnitzler irre.
box 30/2
Ausschnitt aus:
Seinalie Zeitung, Wien
vom:
30 frR 1973
Tagesbericht.
Wien, 30. April.
„Bernhardi 1913.“
Als das Stück erschich, waren die Meinungen darüber
geteilt, wie es zu datieren lei. Manche dachten an die Mitte
der achtziger Jahre, ay die Keim=Epoche des Antisemitismus.
Manche glaubten, eing stätere Zeit darin zu erkennen. Artur
Schnitzler darüber beftagt erwiderte, es sei ihm ungefähr die
Epoche um 1900 vorgeschwebt, was bei einigen (worunter
auch ich mich befand) Widerspruch hervorrief. Denn wir
meinten: Ueber die Möglichkeiten, die im „Bernhardi“ zum
dramatischen Konflikt führen, sei man damals schon hinweg
gewesen.
Wir haben uns alle geirrt. Die Zeit des „Bernhardi“.
ist 1913. Das zeigt das Schicksal dieser Komödie, das zeigt
die Affäre von Preßburg. Oder vielmehr dieser „Bernhardi“
ist, was eigentlich jedes Stück von Dichters Wesen sein soll:
es ist von immer!
So wie dort, schleichen und schachern und ducken und
stechen und dienern und verraten sie sich auch heute — die
Menschenart. Es ist kein Fortschritt zu freierem, edlerem Sein.
Muckertum und Opportunismus und gesellschaftliche Kon¬
venienz und Wohldienerei und das Wittern dessen, was
morgen an Gesinnung getragen werden muß, um Karriere zu
machen. So sind die um „Bernhardi“ herum gezeichnet. Und
so ist die Gesellschaft, welche im zwanzigsten Jahrhundert die
Aufführung dieses Stückes nicht erträgt oder nicht zu er¬
tragen wagt.
Ein Zensurverbot hat den „Bernhardi“ Oesterreichs Bühnen
untersagt. Weil man heute klerikaler, unduldsamer ist als in der
dem Konkordat doch noch so nahen Epoche, da Anzengruber von
der Bühne seinen Kampf nicht gegen den Glauben, sondern
gegen die Kirche führte. In Ungarn jedoch war das Stück
frei. Eine Stunde weit von Wien herrscht eine andere Auf¬
fassung über intellektuelle Freiheit. So wenigstens dachte der
ungarische Zensor. Aber er erlebt eine Ueberraschung. Er wird
plötzlich zum zensurierten Zensor.
Denn der Theaterausschuß in Preßburg hat zwei Tage
ver der geplanten und drei volle Wochen angekündigt ge¬
wesenen Aufführung des „Bernhardi“ durch die Barnoosky¬
Truppe, diese Vorstellung inhibiert. Offiziell werden als Ursache
lokale Gründe der Theaterpolitik ungegeben. Aber das geschieht
nur, weil es dieser Zeit selbst an Mut gebricht, für ihre
Handlungen einzustehen. Es wäre sympathischer gewesen, wenn
die Preßburger frank und frei gesagt hätten: Wir sind für
das Verbot!
In der Elisabethinum=Sitzung, bei welcher der Bern¬
hardi von seinen Kollegen abgekragelt wird, ist ja auch das
Interesse des Instituts von ihnen vorgeschoben, um Geschäfte
anderer Art dadurch zu vertünchen. Und erst als ihnen der
Duft des Op' blutes zu Kopfe steigt, verlieren sie die Masken,
und jede. spricht seinem Nutzen nach, hascht seinen Vorteil und
schielt nach der Direktive von dem, der morgen „oben“ sei“
wird. Artur Schnitzler hat hier ein für allemal gezeigt, „wie
es gemacht wird“. Und tat es in so prägnanter Weise, daß
er damit dem Preßburger Theaterausschuß ein Rezept ge¬
liefert hat. Frei nach Schnitzler ist die Aufführung „Der
verbotene Bernhardi“ vor sich gegangen. Erst steht die
offiziöse Begründung auf der Tagesordnung, die nie¬
mand anhört, niemand glaubt, weil sie jenem Gott
„Niemand“ geschäftsmäßig wie alle Lügen der Gesellschaft
dorgebracht werden. Dann erhebt sich der Liberale“ (Man