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25 ProfesserBernhandi
Ume
159
0
—
18
K ae ere
1970
.7
ge
WENN
4
SCAHN
Kunst, Litferatur, Theater.
Professor Bernhardi.“)
Am katholischen Krankenhause in Wien liegt ein junges Mädchen im Sterben.
2 Sie hat entbunden und die Dinge sind nicht so glatt verlaufen; die Arzte
sind sich einig darüber, daß es in wenigen Stunden mit ihr vorbei ist. Eine
fromme Schwester, die solches aus dem Gespräch der Arzte entnimmt,
hält es für ihre Pflicht, — wie auch sonst in ähnlichen Fällen — den Geist¬
lichen rufen zu lassen, damit er der Sterbenden die Sakramente reiche.
Der Geistliche kommt, und als er im Vorzimmer dem Direktor der
Anstalt, dem Prof. Bernhardi, begegnet und diesem seine Absichten kund
tut, verwehrt ihm dieser den Zutritt zu der Kranken. Er stellt dem Geist¬
lichen vor, daß das junge Mädchen keine Ahnung von seinem nahen Ende
habe. Die Kranke befindet sich in der glückseligsten Stimmung und lebt in dem
Wahne, in wenigen Tagen als genesen von ihrem Geliebten abgeholt zu
werden. Diesen seligen Wahn will der Arzt nicht zerstört sehen; und das
Nahen des Geistlichen mit den Sterbe=Sakramenten würbe die Kranke
doch mit rauher Hand aus ihren schönen Einbildungen reißen und das un¬
glückliche Wesen tief erschrecken.
Es kommt zwischen dem Arzte und dem Geistlichen zu Auseinander¬
setzungen über die verschiedene Auffassung ihrer Pflichten, wobei eine ge¬
wisse Schärfe nicht zu vermeiden ist. Und als der Geistliche in seinem Pflicht¬
eifer dennoch sich den Weg zur Sterbenden bahnen will, vertritt ihm der
Arzt den Weg und wehrt ihn — wenn auch nicht heftig, so doch mit Ent¬
schiedenheit — von der Tür zurück. Inzwischen kommt aus dem Kran¬
kensaale die Nachricht von dem Hinscheiden der Leidenden.
Der Vorgang wäre an sich nicht allzu bedeutsam und der entstandene
Widerstreit würde unter verständigen, billig denkenden Männern sich leicht
schlichten lassen. Hier aber erlangt das Ereignis durch einen Umstand eine
besondere Schärse: Professor Bernhardi ist Jude, und so entsteht der Ver¬
dacht, seine Handlungsweise sei durch eine stille Voreingenommenheit gegen
die katholischen Gebräuche bestimmt worden. Ja, die verletzten katholischen
Gefühle und die heute überall in der Luft liegenden Spannungen zwischen
christlichen und jüdischen Anschauungen bauschen in begreiflicher Weise
den Vorgang al“ und so entsteht denn draußen die Meinung, Bernhardi
habe sich tätlich an dem Geistlichen vergriffen und ihn mit Gewalt an der
Erfüllung seiner Amtspflichten verhindert. Ja, man spricht von einer Re¬
ligions=Störung und droht mit einer Interpellation im Abgeordneten=Hause.
Auch unter den Kollegen Bernhardi's, die sich aus Katholiken, Judew“
*) Komödie von Arthur Schnitzler
25 ProfesserBernhandi
Ume
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18
K ae ere
1970
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ge
WENN
4
SCAHN
Kunst, Litferatur, Theater.
Professor Bernhardi.“)
Am katholischen Krankenhause in Wien liegt ein junges Mädchen im Sterben.
2 Sie hat entbunden und die Dinge sind nicht so glatt verlaufen; die Arzte
sind sich einig darüber, daß es in wenigen Stunden mit ihr vorbei ist. Eine
fromme Schwester, die solches aus dem Gespräch der Arzte entnimmt,
hält es für ihre Pflicht, — wie auch sonst in ähnlichen Fällen — den Geist¬
lichen rufen zu lassen, damit er der Sterbenden die Sakramente reiche.
Der Geistliche kommt, und als er im Vorzimmer dem Direktor der
Anstalt, dem Prof. Bernhardi, begegnet und diesem seine Absichten kund
tut, verwehrt ihm dieser den Zutritt zu der Kranken. Er stellt dem Geist¬
lichen vor, daß das junge Mädchen keine Ahnung von seinem nahen Ende
habe. Die Kranke befindet sich in der glückseligsten Stimmung und lebt in dem
Wahne, in wenigen Tagen als genesen von ihrem Geliebten abgeholt zu
werden. Diesen seligen Wahn will der Arzt nicht zerstört sehen; und das
Nahen des Geistlichen mit den Sterbe=Sakramenten würbe die Kranke
doch mit rauher Hand aus ihren schönen Einbildungen reißen und das un¬
glückliche Wesen tief erschrecken.
Es kommt zwischen dem Arzte und dem Geistlichen zu Auseinander¬
setzungen über die verschiedene Auffassung ihrer Pflichten, wobei eine ge¬
wisse Schärfe nicht zu vermeiden ist. Und als der Geistliche in seinem Pflicht¬
eifer dennoch sich den Weg zur Sterbenden bahnen will, vertritt ihm der
Arzt den Weg und wehrt ihn — wenn auch nicht heftig, so doch mit Ent¬
schiedenheit — von der Tür zurück. Inzwischen kommt aus dem Kran¬
kensaale die Nachricht von dem Hinscheiden der Leidenden.
Der Vorgang wäre an sich nicht allzu bedeutsam und der entstandene
Widerstreit würde unter verständigen, billig denkenden Männern sich leicht
schlichten lassen. Hier aber erlangt das Ereignis durch einen Umstand eine
besondere Schärse: Professor Bernhardi ist Jude, und so entsteht der Ver¬
dacht, seine Handlungsweise sei durch eine stille Voreingenommenheit gegen
die katholischen Gebräuche bestimmt worden. Ja, die verletzten katholischen
Gefühle und die heute überall in der Luft liegenden Spannungen zwischen
christlichen und jüdischen Anschauungen bauschen in begreiflicher Weise
den Vorgang al“ und so entsteht denn draußen die Meinung, Bernhardi
habe sich tätlich an dem Geistlichen vergriffen und ihn mit Gewalt an der
Erfüllung seiner Amtspflichten verhindert. Ja, man spricht von einer Re¬
ligions=Störung und droht mit einer Interpellation im Abgeordneten=Hause.
Auch unter den Kollegen Bernhardi's, die sich aus Katholiken, Judew“
*) Komödie von Arthur Schnitzler