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25. Professor-Bernhandi
Hammer. Nr. 258.
Leipzig, März 1913.
und getauften Juden zusammensetzen, und die z. T. Zeugen des Vorganges
waren, sind die Meinungen geteilt. Es beginnt nun ein Intriquen=Spiel,
wobei die Gegner Bernhardi's in möglichst unvorteilhaftem Lichte gezeigt
werden, während Vernhardi immer als der aufrichtige, freimütige Mann
erscheint, der unerschrocken für die Wahrheit und für seine Überzeugung
eintritt. Licht und Schatten sind hier recht ungleichmäßig verteilt und die
Tendenz wird deutlich erkennbar, denn der Verfasser des Stückes ist auch
Jude. Damit der komische Einschlag nicht fehle, nehmen die getauften Juden,
um die Echtheit ihres Glaubenswechsels zu bekunden, die Partei der Katho¬
liken und werden dafür von ihren Stammesgenossen weidlich verspottet.
Es kommt wirklich zur Interpellation im Landtag, und der Minister,
ein Studien= und Duzfreund Bernhardi's, der ihn vorher seiner Sym¬
pathien versichert hat, läßt — als er den starken Unwillen der katholischen
Mehrheit gewahrt — seinen Freund Bernhardi elend im Stich und befür¬
wortet sogar, ihn wegen Religions=Störung unter Anklage zu stellen. Er
begeht damit einen Wortbruch, denn er hatte versprochen, sich für Bern¬
hardi zu verwenden. Wie man gewahrt, werden alle Gegner Bernhardi's
als recht windige Charaktere und z. T. als voreingenommene Dummköpfe
hingestellt, während alle Juden als tapfere, wahrheitsliebende Edelmenschen
erscheinen. (Zu diesem Zweck ist ja das Stück geschrieben.)
Das Unerhörte (und in der Wirklichkeit sehr Unwahrscheinliche) ge¬
schieht: Bernhardi wird angeklagt und zu zwei Monaten Gefängnis ver¬
urteilt. Der getaufte jüdische Rechtsanwalt Dr. Goldenthal hat ihn aus¬
gesucht schlecht verteidigt und muß sich viel Spott gefallen lassen. (Alle
getauften Juden müssen ja — wie es in der Tendenz des Stückes liegt -
als Verräter an ihrem Stamme gebrandmarkt werden.)
Nach Bernhardi's Verurteilung kommt in später Nachtstunde noch der
Geistliche zu ihm, um ihm gewissermaßen Abbitte zu tun. Der Mann der
Kirche hat eine tiefe Sympathie für den unerschrockenen wahrheitsliebenden
Hebräer gefaßt und gibt ihm zu, daß er als Arzt völlig im Rechte gewesen
sei und gar nicht anders handeln konnte. Der Geistliche hat sich aber ge¬
scheut, als Zeuge vor Gericht seine volle Überzeugung hierin zu bekennen,
um das Ansehen seiner Kirche nicht zu schädigen. „Gott“ hat ihm den Mund
verschlossen, die volle Wahrheit zu sagen. Nicht ohne Spott nagelt Bern¬
hardi die inneren Widersprüche, die hierin liegen, fest. Nach einigen
philosophischen und ironischen Betrachtungen Bernhardi's über Wahr¬
haftigkeit, Religion und Gottesbegriff ändert der Geistliche seine Haltung;
er bekennt, daß es zwischen ihnen beiden in diesen Dingen nie ein volles
Verstehen geben werde; hier sei ein Fremdes, ein Feindseliges zwischen
ihnen. Bernhardi gibt schließlich die Möglichkeit einer solchen Feindseligkeit
auf jüdischer Seite zu, will sie aber durch die Erlebnisse der Juden zu recht¬
fertigen suchen. Der Geistliche bedauert nun seine zustimmenden Worte
und nimmt sie zurück. Er erkenne den tiefen unüberbrückbaren Gegensatz
der im „inneren Gefühl“ wurzele; der Geist seiner Kirche sei die Demut,
auf jüdischer Seite sei Vermessenheit. Innerlich entfremdet gehen beide
von einander.
Auch diese Szene, die den Geistlichen als unklar, wankelmütig und
unaufrichtig zu kennzeichnen sucht, ist berechnet, die Sympathien der Zu¬
schauer auf die Seite Bernhardi's zu bringen. Und dieser Zweck wird denn
auch vollauf erreicht. Unser deutsches Publikum ist viel zu naiv, um die stark
25. Professor-Bernhandi
Hammer. Nr. 258.
Leipzig, März 1913.
und getauften Juden zusammensetzen, und die z. T. Zeugen des Vorganges
waren, sind die Meinungen geteilt. Es beginnt nun ein Intriquen=Spiel,
wobei die Gegner Bernhardi's in möglichst unvorteilhaftem Lichte gezeigt
werden, während Vernhardi immer als der aufrichtige, freimütige Mann
erscheint, der unerschrocken für die Wahrheit und für seine Überzeugung
eintritt. Licht und Schatten sind hier recht ungleichmäßig verteilt und die
Tendenz wird deutlich erkennbar, denn der Verfasser des Stückes ist auch
Jude. Damit der komische Einschlag nicht fehle, nehmen die getauften Juden,
um die Echtheit ihres Glaubenswechsels zu bekunden, die Partei der Katho¬
liken und werden dafür von ihren Stammesgenossen weidlich verspottet.
Es kommt wirklich zur Interpellation im Landtag, und der Minister,
ein Studien= und Duzfreund Bernhardi's, der ihn vorher seiner Sym¬
pathien versichert hat, läßt — als er den starken Unwillen der katholischen
Mehrheit gewahrt — seinen Freund Bernhardi elend im Stich und befür¬
wortet sogar, ihn wegen Religions=Störung unter Anklage zu stellen. Er
begeht damit einen Wortbruch, denn er hatte versprochen, sich für Bern¬
hardi zu verwenden. Wie man gewahrt, werden alle Gegner Bernhardi's
als recht windige Charaktere und z. T. als voreingenommene Dummköpfe
hingestellt, während alle Juden als tapfere, wahrheitsliebende Edelmenschen
erscheinen. (Zu diesem Zweck ist ja das Stück geschrieben.)
Das Unerhörte (und in der Wirklichkeit sehr Unwahrscheinliche) ge¬
schieht: Bernhardi wird angeklagt und zu zwei Monaten Gefängnis ver¬
urteilt. Der getaufte jüdische Rechtsanwalt Dr. Goldenthal hat ihn aus¬
gesucht schlecht verteidigt und muß sich viel Spott gefallen lassen. (Alle
getauften Juden müssen ja — wie es in der Tendenz des Stückes liegt -
als Verräter an ihrem Stamme gebrandmarkt werden.)
Nach Bernhardi's Verurteilung kommt in später Nachtstunde noch der
Geistliche zu ihm, um ihm gewissermaßen Abbitte zu tun. Der Mann der
Kirche hat eine tiefe Sympathie für den unerschrockenen wahrheitsliebenden
Hebräer gefaßt und gibt ihm zu, daß er als Arzt völlig im Rechte gewesen
sei und gar nicht anders handeln konnte. Der Geistliche hat sich aber ge¬
scheut, als Zeuge vor Gericht seine volle Überzeugung hierin zu bekennen,
um das Ansehen seiner Kirche nicht zu schädigen. „Gott“ hat ihm den Mund
verschlossen, die volle Wahrheit zu sagen. Nicht ohne Spott nagelt Bern¬
hardi die inneren Widersprüche, die hierin liegen, fest. Nach einigen
philosophischen und ironischen Betrachtungen Bernhardi's über Wahr¬
haftigkeit, Religion und Gottesbegriff ändert der Geistliche seine Haltung;
er bekennt, daß es zwischen ihnen beiden in diesen Dingen nie ein volles
Verstehen geben werde; hier sei ein Fremdes, ein Feindseliges zwischen
ihnen. Bernhardi gibt schließlich die Möglichkeit einer solchen Feindseligkeit
auf jüdischer Seite zu, will sie aber durch die Erlebnisse der Juden zu recht¬
fertigen suchen. Der Geistliche bedauert nun seine zustimmenden Worte
und nimmt sie zurück. Er erkenne den tiefen unüberbrückbaren Gegensatz
der im „inneren Gefühl“ wurzele; der Geist seiner Kirche sei die Demut,
auf jüdischer Seite sei Vermessenheit. Innerlich entfremdet gehen beide
von einander.
Auch diese Szene, die den Geistlichen als unklar, wankelmütig und
unaufrichtig zu kennzeichnen sucht, ist berechnet, die Sympathien der Zu¬
schauer auf die Seite Bernhardi's zu bringen. Und dieser Zweck wird denn
auch vollauf erreicht. Unser deutsches Publikum ist viel zu naiv, um die stark