II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 206

25. Professor Bernhandi box 30/3
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tendenziöse Mache des Stückes zu durchschauen. Es nimmt alle diese Dinge
als rechtschaffene Spiegelbilder des Lebens und glaubt willig, daß die
Menschen so sind, wie sie hier dargestellt werden. Im Parlament sind die
wirklichen Vorgänge seitens des klerikalen Wortführers selbstverständlich
in starker Übertreibung und Entstellung wiedergegeben worden, und aller
ehrlichen, denkenden Leute bemächtigt sich ein lebhafter Unwille gegen
die Unwahrhaftigkeit und Brutalität der „antisemitisch=klerikalen Mehrheit“.
In einer Arzte=Konferenz des Krankenhauses kommt unter heftigem Streit
der beiden Parteien diese Stimmung zum Ausdruck. Die feudalen Gönner
des Instituts haben vorher bereits ihr Patronat niedergelegt, und der Fort¬
bestand des ganzen Krankenhauses ist gefährdet. Edelmütig und selbstlos
legt darum Bernhardi sein Direktoriat nieder und geht, um seine zwei Monate
abzusitzen. Er fühlt sich bei diesem Martyrium ganz wohl und kommt ge¬
stärkt wieder, um in einigen Schlußszenen sich noch einmal als der über¬
legene wahrheitsliebende Geist zu zeigen, der seinem Duzfreund, dem Mi¬
nister, und einem albernen Kerl von Regierungsrat gehörig die Leviten liest.
Bereits durch die äußerliche Charakterisierung der Personen werden
hier die Sympathien ungleich verteilt. Die Gegner Bernhardi's, die schon
durch die Maske wenig ansprechend gegeben werden, reden alle in nach¬
lässig näselnder, z. T. anmaßend klingender wiener Mundart, während
Bernhardi im vollen Manneston ein gutes Hochdeutsch spricht. (Wir reden
hier von einer Aufführung im leipziger Neuen Theater). Auch die Namens¬
gebung ist klug berechnet, denn wenn man Jemanden Hochroitzpointner
oder Tugendvetter nennt, so behaftet man ihn doch im Voraus mit dem
Fluche der Komik.
Kein Wunder, wenn das Stück — wenigstens in einer protestantischen
Bevölkerung — die volle Sympathie der Zuschauer der jüdischen Partei
zuwendet und dem sonst schon reichlich genährten Groll gegen Katholiken
und Antisemiten neue Nahrung zuführt. Es fehlte darum nicht an reichem
Beifall, der auch insofern gerechtfertigt war, als das Stück an sich nicht ohne
dramatischen Zuschnitt, mindestens von geschickter Mache ist und auch gut
gespielt wurde.
Nur ahnt der gutmütige deutsche Philister nicht, wie ihm hier plan¬
mäßig die Dinge und Personen in einem trügenden Scheine gezeigt werden,
der der Wirklichkeit schlecht entspricht; er merkt nicht, daß er hier für An¬
schauungen eingefangen werden soll, die ihm und seinem eigenen Volke
verhängnisvoll sind, die zum mindesten das Lebensbild fälschen. Er nimmt
die Überzeugung mit nach Hause, daß die Juden die edelsten, gerechtesten,
wahrheitsliebendsten Menschen sind, die mutvoll die rückständigen Anschau¬
ungen einer überwundenen Zeit religiöser Vorurteile bekämpfen und
allerwegen für wahre Bildung und Fortschritt eintreten. Er lernt die Leute
hassen und verachten, die nach seiner Meinung aus bloßer religiöser Vor¬
eingenommenheit an diesen edlen Juden etwas auszusetzen finden und
sie unschuldig verfolgen. So stellt sich's ihm dar, und so glaubt er's; und er
ahnt nicht, wie wenig es den Tatsachen entspricht. Er glaubt das vorgegankelte
Märchen um so lieber, als er durch geschickte geistige Beeinflussung in Presse
und Literatur für diese Auffassung vorbereitet ist; denn seit Lessing's
Nathan ist eine ganze Reihe ähnlicher Tendenzstücke und Romane fabriziert
worden, die alle den Juden im edelsten Lichte und seine Gegner in der ab¬