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box 30/3
25. Profeszer ernhandi
— Lr
sehnltt aue: Weser Zeitung, Bremen
1- J#l. 1373
lung wünschte da verlegt sich Schnitzler aufs Er¬
Theater und Musik.
[zählen. So schwebr über Bernhardi das unabwend¬
bare Geschick ganz im Sinne der antiken Schicksals¬
tragödie. Dem Vertreter des Klerikalismus sucht
Premer Schauspielbens.
der Dichter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen
Professor Bernhardi.
aber Schnitzler als Arzt und Jude bleibt mit seiner
□ Arthur SchnitzlerOfünfaktige Komödie
ganzen Sympathie auch in der zweiten Unterredung
„Professor Bernhäkdi, die erst kürzlich an dieser
nach der Gerichtsverhandlung zwischen Pfarrer und
Stelle von unserm Berliner Theaterreferenten aus= Professor auf seiten der jüdischen Arzte. Auch
führlich besprochen worden ist, hat sich nun auch die
kennt er das politische Leben sehr schlecht, wenn er
Sympathie des Publikums im Bremer Schauspiel¬
glaubt, die Klerikalen werden zugunsten einer
haus errungen. Ja nach dem dritten Akt, der die
kleinen Kompromißintrige auf eine ihre Sache för¬
scharfe Gegensätzlichkeit des Professorenkollegiums
dernde große politische Aktion verzichten. Ist das
im Sitzungssaal des Elisabethinums zur effektvollen
Stück schon als dramatisches Kunstwerk nicht voll¬
Katastrophe werden läßt, steigerte sich der Beifall zukommen, so entbehrt ganz besonders die Haupt¬
wahrer Begeisterung. Schnitzler, der Schöpfer gestalt der inneren Wahrheit. Und zum Schluß ins
blondhaariger Mädchenköpfe und des leichtsinnig der Unterredung zwischen Professor Bernhardi und
melancholischen Anatol, hat mit dieser Komödie, die dem Hofrat im „Ministerium für Kultus und Kon¬
auf dem Theaterzettel in ein Schauspiel um-kordat“ wird es offenbar, daß es Schnitzler über¬
gewandelt war, sein erotisches Lieblingsthema ver-jhaupt nicht ernsthaft um ein Drama großen Stils zu
lassen. Er ist mit seinen fünfzig Jahren nachdenk-tun war. „Vom Rechthaben“, sagt der Hofrat, „ist noch
licher geworden und scheint auf dem besten Wege zu
keiner populär geworden.....
Es kommt nichts
einem Wiener Ibsen zu sein. Ob diese Entwicklung
heraus dabei. Was hätten Sie denn am End' da¬
dem Dichter zum Vorteil gereichen wird, soll hier
mit erreicht, mein lieber Professor, wenn Sie der
nicht voreilig entschieden werden. Sein semitischer
armen Person auf dem Sterbebett einen letzten
Professor Bernhardi, den er als menschlich empfin¬
Schrecken erspart hätten? Das kommt mir grad’ so
denden Vertreter der freien medizinischen Wissen- vor, wie wenn einer die soziale Frage lösen wollte,##
schaft über engherzigen, politisch streberischen Kleri¬
indem er einem armen Teufel eine Villa zum Prä¬
salismus innerlich triumphieren läßt, erscheint im
sent macht.: Wenn man immerfort das Richtige
Gegensatz zu Obsens Volksfeind beispielsweise, mit stäte, oder vielmehr, wenn man nur einmal in der
9
dem die Schnitzlersche Figur einige Ahnlichkeit hat, Früh', so ohne sich's weiter zu überlegen, anfing' das
noch allzu überladen von den Unarten einer absicht= Richtige zu tun und so in einem fort den ganzen Tag;
lichen Tendenzschriftstellerei. Während Schnitzlers
lang das Richtige, so säße man sicher noch vorm
frühere Dichtungen durchweg mehr eine Angelegen¬
Nachtmahl im Kriminal.“ Der Herr Professor weiß
heit des Herzens darstellen, ist sein neuestes Bühnen¬
darauf nicht viel zu sagen.
Das Stück auf der
werk fast ausschließlich Kopfarbeit. Die Wirkung
Bühne war nicht das in Buchform bei S. Fischer er¬
ist deshalb auch nur eine augenblickliche, und schon
schienene Werk. Man hatte es stark amputiert,
am Tage nach dem Theatereindruck empfindet man
Personen und ganze Auftritte gestrichen. Dieser
nur zu deutlich, wie gering im Grunde das ästhe¬
Eingriff in den Organismus der Dichtung rächte
tische Ergebnis war. Von glänzender Treffsicherheit
sich durch Unklarheiten und unvermittelte Übergänge.
ist der Dialog, wie wir das bei Schnitzler ja ge¬
Die besten Partien (der erste Auftritt zwischen dem
wohnt sind. Mit seiner Beobachtungsgabe sind die
Professor und dem Geistlichen und dann ihre ver¬
verschiedenen ärztlichen Typen gezeichnet worden,
söhnliche Auseinandersetzung im vierten Akt) blieben
nur die Titelfigur bleibt Konstruktion. Dieser Pro-hinter den Eindrücken zurück, die man bei der
fessor Bernhardi, der wegen Religionsstörung zu
Lektüre empfängt. Der feinsatirische Charakter
zwei Monaten Kerker verurteilt wird, weil er dem
wurde nicht durchweg gewahrt. Auch das Ensemble
Priester den Zutritt zum Bett einer in Euphorie
reichte nicht aus, das personenreiche Stück einwand¬
Dahinsterbenden verweigert, ist ein allzu edler Ge¬
frei zu besetzen. Einigen Darstellern mußten zwei
sinnungsmensch. Ihm sehlt doch die imponierende
Rollen übertragen werden, was nie günstig wirkt.
Charakterstärke, wenn er mit beinahe dünkelhafter
Auch ein nicht talentloses Direktionsmitglied (Erwin
Märtyrermiene alles Unheil über sich ergehen läßt, Kühne) erschien unter den Darstellern. Und den
das sich als Folge seiner Tat rasch einstellt. Er will Diener im Hause Bernhardis mußte ein recht
den Kampf nicht — er will nur „seine Ruhe haben“ttheaterfremdes Fräulein spielen. Paul Breitfeld
und wird dadurch zu einer interessanten psychologi=und Wilhelm Dohme in den Hauptrollen schlossen
schen Studie, aber nicht zu einem dramatischen sich als gute Arztetypen Carl Jönsson, Julius
Helden. Mehr als einmal müßte Bernhardi seine! Donat, Alfons Pape u. a. an. Erna Liebenthal gab
Persönlichkeit gegen seine Widersacher einsetzen; ent= die Krankenschwester Ludmilla mit gelassener Würde.
schieden da, wo man ihn von seinem Lieblingsplatz Es ist für diese erste Aufführung des Schnitzlerschen
verdrängen will. Ihn, dessen Lebensaufgabe es ist, Stückes gewiß tüchtig gearbeitet worden. Aber man
Kranke zu heilen. Er zieht resigniertes Schweigenl mag in Zukunft bei derartigen schwierigen Aufgaben
vor und betrachtet das Parteigetriebe, in das er noch gründlicher verfahren oder — sie zurückstellen
wider Willen hineingezogen wird, mit der stillen für das neue Theater, in dem uns hoffentlich
Duldsamkeit eines weltfernen Weisen. Wo manjreifere Kunstleistungen geboten werden als in dem
entscheidendes Eingreifen in den Gang der Hand=alten¬
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sehnltt aue: Weser Zeitung, Bremen
1- J#l. 1373
lung wünschte da verlegt sich Schnitzler aufs Er¬
Theater und Musik.
[zählen. So schwebr über Bernhardi das unabwend¬
bare Geschick ganz im Sinne der antiken Schicksals¬
tragödie. Dem Vertreter des Klerikalismus sucht
Premer Schauspielbens.
der Dichter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen
Professor Bernhardi.
aber Schnitzler als Arzt und Jude bleibt mit seiner
□ Arthur SchnitzlerOfünfaktige Komödie
ganzen Sympathie auch in der zweiten Unterredung
„Professor Bernhäkdi, die erst kürzlich an dieser
nach der Gerichtsverhandlung zwischen Pfarrer und
Stelle von unserm Berliner Theaterreferenten aus= Professor auf seiten der jüdischen Arzte. Auch
führlich besprochen worden ist, hat sich nun auch die
kennt er das politische Leben sehr schlecht, wenn er
Sympathie des Publikums im Bremer Schauspiel¬
glaubt, die Klerikalen werden zugunsten einer
haus errungen. Ja nach dem dritten Akt, der die
kleinen Kompromißintrige auf eine ihre Sache för¬
scharfe Gegensätzlichkeit des Professorenkollegiums
dernde große politische Aktion verzichten. Ist das
im Sitzungssaal des Elisabethinums zur effektvollen
Stück schon als dramatisches Kunstwerk nicht voll¬
Katastrophe werden läßt, steigerte sich der Beifall zukommen, so entbehrt ganz besonders die Haupt¬
wahrer Begeisterung. Schnitzler, der Schöpfer gestalt der inneren Wahrheit. Und zum Schluß ins
blondhaariger Mädchenköpfe und des leichtsinnig der Unterredung zwischen Professor Bernhardi und
melancholischen Anatol, hat mit dieser Komödie, die dem Hofrat im „Ministerium für Kultus und Kon¬
auf dem Theaterzettel in ein Schauspiel um-kordat“ wird es offenbar, daß es Schnitzler über¬
gewandelt war, sein erotisches Lieblingsthema ver-jhaupt nicht ernsthaft um ein Drama großen Stils zu
lassen. Er ist mit seinen fünfzig Jahren nachdenk-tun war. „Vom Rechthaben“, sagt der Hofrat, „ist noch
licher geworden und scheint auf dem besten Wege zu
keiner populär geworden.....
Es kommt nichts
einem Wiener Ibsen zu sein. Ob diese Entwicklung
heraus dabei. Was hätten Sie denn am End' da¬
dem Dichter zum Vorteil gereichen wird, soll hier
mit erreicht, mein lieber Professor, wenn Sie der
nicht voreilig entschieden werden. Sein semitischer
armen Person auf dem Sterbebett einen letzten
Professor Bernhardi, den er als menschlich empfin¬
Schrecken erspart hätten? Das kommt mir grad’ so
denden Vertreter der freien medizinischen Wissen- vor, wie wenn einer die soziale Frage lösen wollte,##
schaft über engherzigen, politisch streberischen Kleri¬
indem er einem armen Teufel eine Villa zum Prä¬
salismus innerlich triumphieren läßt, erscheint im
sent macht.: Wenn man immerfort das Richtige
Gegensatz zu Obsens Volksfeind beispielsweise, mit stäte, oder vielmehr, wenn man nur einmal in der
9
dem die Schnitzlersche Figur einige Ahnlichkeit hat, Früh', so ohne sich's weiter zu überlegen, anfing' das
noch allzu überladen von den Unarten einer absicht= Richtige zu tun und so in einem fort den ganzen Tag;
lichen Tendenzschriftstellerei. Während Schnitzlers
lang das Richtige, so säße man sicher noch vorm
frühere Dichtungen durchweg mehr eine Angelegen¬
Nachtmahl im Kriminal.“ Der Herr Professor weiß
heit des Herzens darstellen, ist sein neuestes Bühnen¬
darauf nicht viel zu sagen.
Das Stück auf der
werk fast ausschließlich Kopfarbeit. Die Wirkung
Bühne war nicht das in Buchform bei S. Fischer er¬
ist deshalb auch nur eine augenblickliche, und schon
schienene Werk. Man hatte es stark amputiert,
am Tage nach dem Theatereindruck empfindet man
Personen und ganze Auftritte gestrichen. Dieser
nur zu deutlich, wie gering im Grunde das ästhe¬
Eingriff in den Organismus der Dichtung rächte
tische Ergebnis war. Von glänzender Treffsicherheit
sich durch Unklarheiten und unvermittelte Übergänge.
ist der Dialog, wie wir das bei Schnitzler ja ge¬
Die besten Partien (der erste Auftritt zwischen dem
wohnt sind. Mit seiner Beobachtungsgabe sind die
Professor und dem Geistlichen und dann ihre ver¬
verschiedenen ärztlichen Typen gezeichnet worden,
söhnliche Auseinandersetzung im vierten Akt) blieben
nur die Titelfigur bleibt Konstruktion. Dieser Pro-hinter den Eindrücken zurück, die man bei der
fessor Bernhardi, der wegen Religionsstörung zu
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zwei Monaten Kerker verurteilt wird, weil er dem
wurde nicht durchweg gewahrt. Auch das Ensemble
Priester den Zutritt zum Bett einer in Euphorie
reichte nicht aus, das personenreiche Stück einwand¬
Dahinsterbenden verweigert, ist ein allzu edler Ge¬
frei zu besetzen. Einigen Darstellern mußten zwei
sinnungsmensch. Ihm sehlt doch die imponierende
Rollen übertragen werden, was nie günstig wirkt.
Charakterstärke, wenn er mit beinahe dünkelhafter
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Märtyrermiene alles Unheil über sich ergehen läßt, Kühne) erschien unter den Darstellern. Und den
das sich als Folge seiner Tat rasch einstellt. Er will Diener im Hause Bernhardis mußte ein recht
den Kampf nicht — er will nur „seine Ruhe haben“ttheaterfremdes Fräulein spielen. Paul Breitfeld
und wird dadurch zu einer interessanten psychologi=und Wilhelm Dohme in den Hauptrollen schlossen
schen Studie, aber nicht zu einem dramatischen sich als gute Arztetypen Carl Jönsson, Julius
Helden. Mehr als einmal müßte Bernhardi seine! Donat, Alfons Pape u. a. an. Erna Liebenthal gab
Persönlichkeit gegen seine Widersacher einsetzen; ent= die Krankenschwester Ludmilla mit gelassener Würde.
schieden da, wo man ihn von seinem Lieblingsplatz Es ist für diese erste Aufführung des Schnitzlerschen
verdrängen will. Ihn, dessen Lebensaufgabe es ist, Stückes gewiß tüchtig gearbeitet worden. Aber man
Kranke zu heilen. Er zieht resigniertes Schweigenl mag in Zukunft bei derartigen schwierigen Aufgaben
vor und betrachtet das Parteigetriebe, in das er noch gründlicher verfahren oder — sie zurückstellen
wider Willen hineingezogen wird, mit der stillen für das neue Theater, in dem uns hoffentlich
Duldsamkeit eines weltfernen Weisen. Wo manjreifere Kunstleistungen geboten werden als in dem
entscheidendes Eingreifen in den Gang der Hand=alten¬
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