II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 230

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25. ProorBernhand i
Professor Bernhardi.
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dem Schutze der klerikalen oder sonst
persönlichem Vorteil, kurz die ganze
Schande eines verlogenen Parteigetrie¬
einer Partei verabscheut. Und es be¬
bes und menschlichen Strebertums,
durfte eines leidenschaftlicheren, un¬
wie sie im „Professor Bernhardi“ mit
gestümeren, jugendlicheren Ober¬
Betonung der spezifisch österreichi¬
schwanges und der Fähigkeit, mit
schen Verhältnisse dargestellt wird.
Uberzeugung ungerecht sein zu kön¬
Die Obertragung dieser realen Ver¬
nen, um die Zeit und die k. k. öster¬
hältnisse und Vorgänge auf die Bühne
reichischen Verhältnisse mit irgend
einem menschlich-künstlerischen Recht
verbürgt deshalb noch nicht die
gleiche satirisch-komische Wirkung.
auf der Bühne in dieser pathetischen
Das Theater verlangt Sinnbilder,
Breite widerspiegeln zu dürfen.
Auflösung in sichtbares Geschehen,
Schnitzlers haßloses und weitsichtiges
anschauliche Bewegung, Handlungs¬
Wissen um die letzten Wurzeln und
symbole. Ihm ist mit rein theoreti¬
Urgründe dieser Verhältnisse macht
schen Auseinandersetzungen, mit
dieses Stück überflüssig, zum min¬
sachlichen Debatten nicht sonderlich
desten drei Akte davon entbehrlich.
gedient. Schnitzlers Stück ist aber
Der Professor sagt im letzten Akt,
ausschließlich ein solches Debattier¬
daß er anfange, sich in seiner er¬
stück mit einer ganz nebensächlichen
zwungenen Märtyrerrolle als komische
Figur zu fühlen. Diese Ahnung hätte
ruhigen und gleichgültigen Handlung.
Aber auch diese Debatte dringt nicht
ihm gleich zu Beginn kommen sollen
tief in die Dinge hinein. Das Pro¬
und wir hätten vielleicht einen epi¬
blem des Glaubens und der wissen¬
grammatisch knappen, satirisch gra¬
schaftlichen Voraussetzungslosigkeit,
ziösen Schnitzler bekommen. Leider
des Priesters und des Arztes als
ist die Schnitzlersche Muse etwas fett¬
leibig geworden.
Repräsentanten zweier entgegenge¬
Diese Bemerkung drängt sich beim
setzter Lebensauffassungen wird nur
„Professor Bernhardi“, nicht zum
gestreift. Schnitzler ist geschmack¬
voll genug, die beiden Gegner zu
erstenmal, aber besonders störend,
überzeugten, aber nicht fanatisch be¬
auf. Die scharf, aber einseitig ge¬
schränkten Vertretern ihrer Anschau¬
sehenen und für fünf Akte zu sil¬
ungen zu machen. Rührselig und
houettenhaft gezeichneten Typen
überflüssig bleibt es trotzdem, wenn
unterschiedlicher, aufrechter und op¬
sie sich „über den Abgrund hinweg
portunistischer Männer können ein
die Hand reichen“. Das eigentliche
Interesse an den Gestalten nicht
dauernd wachhalten, und die braven
Problem der Debatten ist das der
Vermengung politischer Motive mit
und gesinnungstüchtigen Redefüllun¬
allerhand Dingen, die mit Politik gar
gen der mittleren Akte werden da¬
nichts zu tun haben. In der satiri¬
durch nicht viel erträglicher, daß sich
hier zwischen Selbstverständlichkeiten,
schen Beleuchtung dieser Zustände
scheint der Horizont des Stückes etwas
zu denen das Aufgebot Schnitzlers
nicht notwendig gewesen wäre, auch
eng genommen. Es bedurfte nicht
dieser fünf langen Akte, um zu wis¬
hin und wieder ein reicheres und
volleres Korn findet.
sen, daß Arthur Schnitzler dieses
Parteiunwesen und das Fischen im
Die Aufführung im Schau¬
spielhaus mit Colla jessen
Trüben zu persönlichem Vorteil unter
in der Titelrolle war sauber und sorg- staltung immerhin möglich gewesen
fältig. Sie führte dem Stück kein wäre, nahm ihm aber auch nichts
wärmeres Leben zu, was bei einer“ fort.
Walter Kühn.
überragenden schauspielerischen Ge¬