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box 30/3
25. Professon-Bernhane
Mänchener Wonosto Nachrichten
ITER1910
München
dichterisch geschauten Existenzen. Sie werden in
Professor Bernhardi
ihrem Getriebe fast wichtiger als der Titelheld, der
Komödie in fünf Akten von Artur Schnitzler
aus dem Grunde schon eigentlich kein Held ist, weil
Erste Aufführung im Schauspielhaus am Fe
er zuletzt resigniert. Die Kurve seiner Erlebnisse
ist in kurzem durch die fünf Akte diese: Bernhardi
* Ort der Handlung: Wien um 1900. Man be¬
mißachtet mit Trotz die ersten Konsequenzen seiner
findet sich im Elisabethinum, zunächst in einem Vor¬
Handlungsweise. Vermittlungsvorschläge weist er
raum, der in die Krankenzimmer führt. Die spe¬
zurück, auch jene, die der ihm befreundete Kultus¬
zifische Atmosphäre wird mit wenigen Strichen um¬
minister Flint, von Hause aus ebenfalls ein Medi¬
rissen und gekennzeichnet. Einige Kliniker im
ziner, ihm macht. So erhalten seine zahlreichen
weißen Mantel, eine Krankenschwester führen in
Feinde und Neider die Möglichkeit, den Fall aufzu¬
einem kurz gehaltenen Dialog in die Handlung
bauschen und ins Politische hinüberzutreiben. Pro¬
hinein. Von Tumor und Tabes ist die Rede, von
fessor Ebenwald, ein unsympathischer Streber, selbst
sezieren und von dem nahen Tod eines jungen
lüstern nach der Direktion des Elisabethinums, ver¬
Mädchens, das im anstoßenden Zimmer gebettet
steht die Affäre mit einer ihm und den Klerikalen
liegt. Nun tritt auch Bernhardi auf, der Direktor
unerwünschten Besetzung einer Assistentenstelle durch
des Elisabethinums. Er hat durch seinen Eingriff
einen von Bernhardi protegierten Glaubensgenos¬
der Kranken eine letzte freudige Stunde bereitet.
sen zu vermengen und eine Interpellation im Par¬
Schon eilt die Schwester, um den Geistlichen zu be¬
lament zu veranlassen. Das Kuratorium der An¬
nachrichtigen. Den Pfarrer Reder von St. Florian,
stalt legt die Verwaltung nieder. Bernhardi tritt
der gleich darauf erscheint, um der Sterbenden die
nach einer stürmischen Sitzung der Kollegenschaft
letzte Oelung zu spenden. Bernhardi möchte aber
von seinem Posten zurück und die ins Maßlose
nicht, daß das junge Mädchen durch den Besuch des
wachsende Angelegenheit erhält ihren vorläufigen
Geistlichen in Schrecken versetzt und aus seiner
Abschluß durch die Verurteilung Bernhardis zu
hoffnungsvollen Stimmung gerissen werde. Kraft
zwei Monaten Gefängnis wegen — Religions¬
dieser Auffassung seiner ärztlichen Pflicht verwehrt
störung. Schwester Ludmilla hat unter Eid ausge¬
er Reder den Eintritt, zuerst mit Worten; und wie
sagt, Bernhardi habe dem Geistlichen einen Stoß
der sich nicht abhalten lassen will, tritt er ihm mit
versetzt. Späterhin nimmt sie zwar diese Aussage
einer nicht mißzuverstehenden Geste in den Weg.
zurück. Aber der inzwischen von seinen Freunden
Der Pfarrer zieht mit Drohungen ab, und der Kon¬
zum Märtyrer erhobene Bernhardi denkt nicht
flikt, ohne den eine dramatische Handlung nicht in
daran, wie er sich ausdrückt, Berufung einzulegen
die Wege zu leiten, ist gegeben.
und die ganze Prozedur noch einmal durchzumachen.
Nun geschieht etwas Merkwürdiges. Der Dichter
Er möchte seine sogenannte Ruhe haben und rettet
Schnitzler tritt in Aktion und schiebt einen äußerst
sich unter Verzicht auf die Reformatorenpalme in
kunstvollen und technisch mit absoluter Präzision
sein gemächliches Oesterreichertum zurück. Dies ge¬
arbeitenden Mechanismus in diesen Konfliktskern
schieht im fünften Akt, der im Ministerium spielt,
hinein. An sich liegt der Vocfall ja ziemlich klar.
und den man als Nachspiel bezeichnen könnte, als
Der Priester und der Arzt, sie dachten beide von
Nachspiel auch zu all den Ideenkämpfen, die die drei
ihrem Berufsstandpunkt aus korrekt zu handeln.
mittleren Akte in Schwung gesetzt haben. Von
Eine Debatte über den Streitfall erscheint von ge¬
vielem ist die Rede. Von Antisemitismus bis zur
ringer Exgiebigkeit an dramatischer Spannung.
Zionistenfrage. Aber es werden keine knalligen
Hätte mehr Eignung zur Behandlung in Broschüren
Endergebnisse ins Parkett hinabgeschleudert. Es
und Streitschriften und wendet sich mehr an die
wird nur von diesen Ideen gesprochen, und leise mit
politische Tribüne. Auch außerhalb Oesterreichs.
unmerklicher Gewalt wird der Zuschauer immer
Denn dies ist sozusagen ein internationaler Fall.
wieder von Diskussion zu Diskussion vom Autor
Mit hundert Antworten in hundert Ländern.
hingeführt, und in ihm erwachen dabei die schönen
Schnitzler aber schlägt einen unerwartet fruchtbaren
Illusionen, einer dramatischen Handlung anzu¬
Weg ein und erweitert das Vorspiel zu einer Ko¬
wohnen.
mödie der Konsequenzen. Dadurch gibt er dem
Hier liegt eigentlich der Reiz dieses Abends, der
Thema mehr die Richtung ins Allgemeine. Der¬
sich auf einem voluminösen Textbuch von zweiein¬
gestalt, daß es sich nun in der Hauptsache gar nicht
halbhundert Druckseiten aufbaut. Man muß ein
mehr um diesen Disput zwischen dem Priester und
Dichter sein, um all das Dogmatische, diese ganze
tem Arzt handelt, sondern daß sich zwei Welten,
Summe von Prinzipienreiterei und trockener Ideo¬
zwei Rassen gegenüber treten und von beiden Seiten
logie, die in dieser Materie steckt, in so lebendiger
ihre Hilfstruppen einander entgegenstellen. Erschei¬
und unausdringlicher Reproduktion für die Bühne
nungen wachsen aus dem Boden und runden sich zu möglich zu machen und das Publikum auf eine so
vornehme Weise zu unterhalten. Der Zauber scheint
im Dialog zu stecken, der allenthalben voll Leben ist,
mit einer Lebendigkeit angefüllt, aus der die, ge¬
wissermaßen vor den Augen des Zuschauers, zu
einer Korona von Individualitäten sich entwickelnde
Aerzteschar die Elemente ihres Daseins schöpft. Fa¬
natiker könnten behaupten, die fünf Akte und die
Bestrebungen des Professors Bernhardi nähmen
den Verlauf des berühmten Hornberger Schießens,
nämlich ohne ein großes Ergebnis zu zeitigen. Das
Resultat liegt aber anderswo. Besteht darin, daß
Schnitzler durchaus auch als Dichter die Ehrlich¬
keit seines Bernhardi besitzt, der'sich ohne die Re¬
formatorenpalme an seinem edlen Menschentum be¬
gnügen läßt.
Gespielt wurde unter Direktor Stollbergs
Regie von Ansang an in einem Tempo, das die zu
710
durchmessende Entfernung klug zu berücksichtigen
—
schien. Aus der Aerzteschar, die sich durch unter¬
schiedlichen Bartwuchs mit Erfolg zu charakteri¬
sieren trachtete, ragten drei markante Köpfe hervor.
Es war dies Bernhardi selbst, den Herr Jessen
spielte. Mit Takt genug, um nirgend zum Fenster
hinaus zu sprechen, und mit einer sympathisch wir¬
kenden Modifikation aller Glaubensmanifeste. Den
Streber Ebenwald vermochte der immer treffliche
Herr Eßlair mit Eigensinn förmlich zu laden.
Herr Peppler gab in einer Maske, die gemischt
war aus Jahn und Laube, den aufrechten Pflug¬
felder. Herr Kalser führte sich als Pfarrer
Reder mit seiner besonnenen Art zu sprechen im
Ensemble ein. Der ministerielle Schlußakkord kam
auch in der Darstellung zu recht belustigender An¬
schauung. Herrn Günthers Minister Flint
war klug und sein Oesterreichertum hing ihm recht
stattlich von der Schulter. Herrn Randolf hat!
man lange nicht so wirksam agieren sehen wie hier
als feschen Ministerialbeamten, der inwendig so
voller Wiener Walzer steckt, daß sie ihm automatisch
auf die Lippen treten, wenn er an der k. k. Telephon¬
kurbel zu drehen hat.
Das Publikum unterhielt sich den langen Abend
über vortrefflich und bereitete Schnitzler eine Auf¬
nahme, wie er sie herzlicher vielleicht auch nicht in
Wien erlebt hätte.
Richard Elchinger
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25. Professon-Bernhane
Mänchener Wonosto Nachrichten
ITER1910
München
dichterisch geschauten Existenzen. Sie werden in
Professor Bernhardi
ihrem Getriebe fast wichtiger als der Titelheld, der
Komödie in fünf Akten von Artur Schnitzler
aus dem Grunde schon eigentlich kein Held ist, weil
Erste Aufführung im Schauspielhaus am Fe
er zuletzt resigniert. Die Kurve seiner Erlebnisse
ist in kurzem durch die fünf Akte diese: Bernhardi
* Ort der Handlung: Wien um 1900. Man be¬
mißachtet mit Trotz die ersten Konsequenzen seiner
findet sich im Elisabethinum, zunächst in einem Vor¬
Handlungsweise. Vermittlungsvorschläge weist er
raum, der in die Krankenzimmer führt. Die spe¬
zurück, auch jene, die der ihm befreundete Kultus¬
zifische Atmosphäre wird mit wenigen Strichen um¬
minister Flint, von Hause aus ebenfalls ein Medi¬
rissen und gekennzeichnet. Einige Kliniker im
ziner, ihm macht. So erhalten seine zahlreichen
weißen Mantel, eine Krankenschwester führen in
Feinde und Neider die Möglichkeit, den Fall aufzu¬
einem kurz gehaltenen Dialog in die Handlung
bauschen und ins Politische hinüberzutreiben. Pro¬
hinein. Von Tumor und Tabes ist die Rede, von
fessor Ebenwald, ein unsympathischer Streber, selbst
sezieren und von dem nahen Tod eines jungen
lüstern nach der Direktion des Elisabethinums, ver¬
Mädchens, das im anstoßenden Zimmer gebettet
steht die Affäre mit einer ihm und den Klerikalen
liegt. Nun tritt auch Bernhardi auf, der Direktor
unerwünschten Besetzung einer Assistentenstelle durch
des Elisabethinums. Er hat durch seinen Eingriff
einen von Bernhardi protegierten Glaubensgenos¬
der Kranken eine letzte freudige Stunde bereitet.
sen zu vermengen und eine Interpellation im Par¬
Schon eilt die Schwester, um den Geistlichen zu be¬
lament zu veranlassen. Das Kuratorium der An¬
nachrichtigen. Den Pfarrer Reder von St. Florian,
stalt legt die Verwaltung nieder. Bernhardi tritt
der gleich darauf erscheint, um der Sterbenden die
nach einer stürmischen Sitzung der Kollegenschaft
letzte Oelung zu spenden. Bernhardi möchte aber
von seinem Posten zurück und die ins Maßlose
nicht, daß das junge Mädchen durch den Besuch des
wachsende Angelegenheit erhält ihren vorläufigen
Geistlichen in Schrecken versetzt und aus seiner
Abschluß durch die Verurteilung Bernhardis zu
hoffnungsvollen Stimmung gerissen werde. Kraft
zwei Monaten Gefängnis wegen — Religions¬
dieser Auffassung seiner ärztlichen Pflicht verwehrt
störung. Schwester Ludmilla hat unter Eid ausge¬
er Reder den Eintritt, zuerst mit Worten; und wie
sagt, Bernhardi habe dem Geistlichen einen Stoß
der sich nicht abhalten lassen will, tritt er ihm mit
versetzt. Späterhin nimmt sie zwar diese Aussage
einer nicht mißzuverstehenden Geste in den Weg.
zurück. Aber der inzwischen von seinen Freunden
Der Pfarrer zieht mit Drohungen ab, und der Kon¬
zum Märtyrer erhobene Bernhardi denkt nicht
flikt, ohne den eine dramatische Handlung nicht in
daran, wie er sich ausdrückt, Berufung einzulegen
die Wege zu leiten, ist gegeben.
und die ganze Prozedur noch einmal durchzumachen.
Nun geschieht etwas Merkwürdiges. Der Dichter
Er möchte seine sogenannte Ruhe haben und rettet
Schnitzler tritt in Aktion und schiebt einen äußerst
sich unter Verzicht auf die Reformatorenpalme in
kunstvollen und technisch mit absoluter Präzision
sein gemächliches Oesterreichertum zurück. Dies ge¬
arbeitenden Mechanismus in diesen Konfliktskern
schieht im fünften Akt, der im Ministerium spielt,
hinein. An sich liegt der Vocfall ja ziemlich klar.
und den man als Nachspiel bezeichnen könnte, als
Der Priester und der Arzt, sie dachten beide von
Nachspiel auch zu all den Ideenkämpfen, die die drei
ihrem Berufsstandpunkt aus korrekt zu handeln.
mittleren Akte in Schwung gesetzt haben. Von
Eine Debatte über den Streitfall erscheint von ge¬
vielem ist die Rede. Von Antisemitismus bis zur
ringer Exgiebigkeit an dramatischer Spannung.
Zionistenfrage. Aber es werden keine knalligen
Hätte mehr Eignung zur Behandlung in Broschüren
Endergebnisse ins Parkett hinabgeschleudert. Es
und Streitschriften und wendet sich mehr an die
wird nur von diesen Ideen gesprochen, und leise mit
politische Tribüne. Auch außerhalb Oesterreichs.
unmerklicher Gewalt wird der Zuschauer immer
Denn dies ist sozusagen ein internationaler Fall.
wieder von Diskussion zu Diskussion vom Autor
Mit hundert Antworten in hundert Ländern.
hingeführt, und in ihm erwachen dabei die schönen
Schnitzler aber schlägt einen unerwartet fruchtbaren
Illusionen, einer dramatischen Handlung anzu¬
Weg ein und erweitert das Vorspiel zu einer Ko¬
wohnen.
mödie der Konsequenzen. Dadurch gibt er dem
Hier liegt eigentlich der Reiz dieses Abends, der
Thema mehr die Richtung ins Allgemeine. Der¬
sich auf einem voluminösen Textbuch von zweiein¬
gestalt, daß es sich nun in der Hauptsache gar nicht
halbhundert Druckseiten aufbaut. Man muß ein
mehr um diesen Disput zwischen dem Priester und
Dichter sein, um all das Dogmatische, diese ganze
tem Arzt handelt, sondern daß sich zwei Welten,
Summe von Prinzipienreiterei und trockener Ideo¬
zwei Rassen gegenüber treten und von beiden Seiten
logie, die in dieser Materie steckt, in so lebendiger
ihre Hilfstruppen einander entgegenstellen. Erschei¬
und unausdringlicher Reproduktion für die Bühne
nungen wachsen aus dem Boden und runden sich zu möglich zu machen und das Publikum auf eine so
vornehme Weise zu unterhalten. Der Zauber scheint
im Dialog zu stecken, der allenthalben voll Leben ist,
mit einer Lebendigkeit angefüllt, aus der die, ge¬
wissermaßen vor den Augen des Zuschauers, zu
einer Korona von Individualitäten sich entwickelnde
Aerzteschar die Elemente ihres Daseins schöpft. Fa¬
natiker könnten behaupten, die fünf Akte und die
Bestrebungen des Professors Bernhardi nähmen
den Verlauf des berühmten Hornberger Schießens,
nämlich ohne ein großes Ergebnis zu zeitigen. Das
Resultat liegt aber anderswo. Besteht darin, daß
Schnitzler durchaus auch als Dichter die Ehrlich¬
keit seines Bernhardi besitzt, der'sich ohne die Re¬
formatorenpalme an seinem edlen Menschentum be¬
gnügen läßt.
Gespielt wurde unter Direktor Stollbergs
Regie von Ansang an in einem Tempo, das die zu
710
durchmessende Entfernung klug zu berücksichtigen
—
schien. Aus der Aerzteschar, die sich durch unter¬
schiedlichen Bartwuchs mit Erfolg zu charakteri¬
sieren trachtete, ragten drei markante Köpfe hervor.
Es war dies Bernhardi selbst, den Herr Jessen
spielte. Mit Takt genug, um nirgend zum Fenster
hinaus zu sprechen, und mit einer sympathisch wir¬
kenden Modifikation aller Glaubensmanifeste. Den
Streber Ebenwald vermochte der immer treffliche
Herr Eßlair mit Eigensinn förmlich zu laden.
Herr Peppler gab in einer Maske, die gemischt
war aus Jahn und Laube, den aufrechten Pflug¬
felder. Herr Kalser führte sich als Pfarrer
Reder mit seiner besonnenen Art zu sprechen im
Ensemble ein. Der ministerielle Schlußakkord kam
auch in der Darstellung zu recht belustigender An¬
schauung. Herrn Günthers Minister Flint
war klug und sein Oesterreichertum hing ihm recht
stattlich von der Schulter. Herrn Randolf hat!
man lange nicht so wirksam agieren sehen wie hier
als feschen Ministerialbeamten, der inwendig so
voller Wiener Walzer steckt, daß sie ihm automatisch
auf die Lippen treten, wenn er an der k. k. Telephon¬
kurbel zu drehen hat.
Das Publikum unterhielt sich den langen Abend
über vortrefflich und bereitete Schnitzler eine Auf¬
nahme, wie er sie herzlicher vielleicht auch nicht in
Wien erlebt hätte.
Richard Elchinger