25. ProfessorBernhandi
(uschenangass anz, uewann.
schnitt aus:
Alsilieries Wiener Extrahlzk
Wien
14FEB.1912
Thlagesbehtn:
/„Pröfessor Bernhardi“ in München.
Die Leser haben bereits von dem großen Erfolg
des „Professor Bernhardi“ im Münchener Schauspiel¬
hause erfahren. Eine Anzahl Wiener Freunde des
Dichters wohnte der Premiere an, die einen für
Schnitzler überaus ehrenvollen Verlauf nahm. Der
Direktorstellvertreter des Wiener Deutschen Volks¬
theaters Herr Geiringer traf zur zweiten Aufführung
des Werkes in München ein. Trotz aller Bemühungen
konnte er keinen Platz in dem ausverkauften Hauso
finden. Resiguiert promenierte er vor dem
Theater, einen Agioteur zu suchen, war sein Sinn.
Da traf
einen Leidensgenossen,
der
ebenfalls nach einem Sitz angelie. Dieser Mann war
— Artur=Schuitzler inhöchsteigener Person! Er hatte
sich zu spät bei der Direktion gemeldet und konnte
auch nicht placiert werden. Ein ausgesperrter Poet,
der selbst in die Tasche greifen muß, um einen Sitz
zu dem eigenen Stück zu kaufen, eventuell sogar mit
Agio zu bezahlen... o herrliche Stadt am Isar¬
strand! In Wien werden den Bühnenautoren die
Sitzgelegenheiten leichter gemacht. Nach der
Vorstellung von „Professor Bernhardi“ gab es im
Hotel eine fidele Tafelrunde, der sich Leopold Kramer
zugesellt hatte, der gegenwärtig in den Münchener
Kammerspielen mit Ida Roland in Molnars „Das
Märchen vom Wolf“ spielt. Ueber die Mission Gei¬
ritgers zirkulieren allerlei Gerüchte . .. es heißt, dag
„Voikstheater bemühe sich, Ida Roland in Müngen
freizumachen.
box 30/3
——
ScHHlLgaee E
11FER 191 München
—
Münchner Schauspielhaus. Wohin man
bfickt, überall tobt heute der Kampf der Parteien,
Richtungen, Meinungen. Und vorbei die Zeiten,
Ho die Gegner in ehrlichem Kampfe sich messen.
Ein häßliches, wildes Ringen, in dem oft kein
Mittel im Kampfe zu schlecht. Sehnen wir uns
zoa noch, diesem häßlichen Spiel auch auf der
Bühne zu begegnen? Nun, wir wären jedenfalls
um einen interessanten Abend, um ein interessantes
Stück ärmer wenn Artur Schnitzler seine fünf¬
aktige Komödie „Professor-Vernyar##nicht ge¬
schrieben hätte. Schnitzler versetzt uns nach Wien
um 1900. Fanatisch tobt der Kampf der Parteien.
Hie Semiten — hie Antisemiten tönt der Schlacht¬
ruf. Und alles wird zu Parteizwecken ausge¬
schlachtet. Ein Vorgang, der sich bei der Betei¬
ligtem guten Willen, leicht in Ruhe hätte austragen
lassen, wird durch der Parteien Hetze zur Parteien¬
Sache aufgebauscht. Professor Bernhardi, der
Vorstand einer großen Klinik, hat dem Priester
den Zutritt zum Sterbebett eines jungen, gefallenen
Mädchens verweigert, aus Menschlichkeit, weil er
der Unglücklichen, die keine Ahnung von ihrem nahen
Ende hat, die freudig von der Zukunft hofft, die
letzte Stunde nicht trüben will, aber auch vom
Pflichtstandpunkte des Arztes, der dem menschlichen
Leben jede Minute Lebensdauer abzuringen und
hier die durch das Erscheinen des Priesters als uner¬
warteten Todesboten bedingte plötzliche Katastrophe
abzuwenden hat. Streber und Neider, vor allem
aber die politischen Feinde des Juden Bernhardi,
der hier dem Vertreter des Christentums entgegen¬
tritt, bemächtigen sich in partei= und religions¬
fanatischer Weise des Falles. Die Preßhetze setzt
ein, die falschen Aussagen egoistisch strebender
Kollegen und politischer Feinde, einer glaubens¬
fanatischen Krankenschwester und des zwar innerlich
ehrlich denkenden, aber auch fanatisch der „heiligen
Sache“ dienenden Priesters führen zu einer poli¬
tischen Interpellation und diese zur Anklage und
Verurteilung Bernhardis wegen Religionsverletzung.
Zwei Monate hat Bernhardi verbüßt. Gewaltig
ist die Schar seiner Anhänger gewachsen und auch
der Regierung ist der Fall bereits unangenehm
geworden. Da auch die Hauptzeugin, die Kranken¬
schwester, Beichte von ihrer falschen Aussage abge¬
legt hat, steht der vollen Rehabilitierung Bernhardis
nichts im Wege. Aber wie ihn vorher der Par¬
teien Hetze angewidert hat, will er auch jetzt von
einem neuen Rummel nichts wissen. Er sehnt sich
nach stillem Schaffen. Aus der Inhaltsangabe
heraus möchte man an ein handlungsreiches, hand¬
lungsbewegtes Stück glauben. Das ist es nun
keineswegs. Das Mehr der Handlung spielt sich
hinter den Kulissen ab, auf der Bühne nur eine
unendliche Reihe von Dialogen, von Reden, Aus¬
einandersetzungen. Aber gerade hier zeigt sich die
gewaltige Kunst Schnitzlers, diese fast 3½ stündigen
Dialoge so zu beleben, daß sie statt zu ermüden,
uns mit fortreißen, spannen bis zum letzten Augen¬
blicke. Und eines muß man besonders loben. Er hat
den Stoff nicht häßlich tendenziös gefärbt, sein Bern¬
hardi steht so über der Parteien Haß und Hetze,
erhaben hat er für sie nur Hohn und Satire.
Dieses alles Ueberragende wußte auch Colla Jessen
als Träger in der Titelrolle voll und ganz zu ge¬
wahren. Sein Bernhardi ist schon aus einem
Guß. Das partei= und religiös=gespaltete Professoren¬
Kollegium war durch die Herren Eßlair, Raabe,
Peppler, Grell, Heller, Ausfelder, Raabe, Duniecki,
Spanger. B.
(uschenangass anz, uewann.
schnitt aus:
Alsilieries Wiener Extrahlzk
Wien
14FEB.1912
Thlagesbehtn:
/„Pröfessor Bernhardi“ in München.
Die Leser haben bereits von dem großen Erfolg
des „Professor Bernhardi“ im Münchener Schauspiel¬
hause erfahren. Eine Anzahl Wiener Freunde des
Dichters wohnte der Premiere an, die einen für
Schnitzler überaus ehrenvollen Verlauf nahm. Der
Direktorstellvertreter des Wiener Deutschen Volks¬
theaters Herr Geiringer traf zur zweiten Aufführung
des Werkes in München ein. Trotz aller Bemühungen
konnte er keinen Platz in dem ausverkauften Hauso
finden. Resiguiert promenierte er vor dem
Theater, einen Agioteur zu suchen, war sein Sinn.
Da traf
einen Leidensgenossen,
der
ebenfalls nach einem Sitz angelie. Dieser Mann war
— Artur=Schuitzler inhöchsteigener Person! Er hatte
sich zu spät bei der Direktion gemeldet und konnte
auch nicht placiert werden. Ein ausgesperrter Poet,
der selbst in die Tasche greifen muß, um einen Sitz
zu dem eigenen Stück zu kaufen, eventuell sogar mit
Agio zu bezahlen... o herrliche Stadt am Isar¬
strand! In Wien werden den Bühnenautoren die
Sitzgelegenheiten leichter gemacht. Nach der
Vorstellung von „Professor Bernhardi“ gab es im
Hotel eine fidele Tafelrunde, der sich Leopold Kramer
zugesellt hatte, der gegenwärtig in den Münchener
Kammerspielen mit Ida Roland in Molnars „Das
Märchen vom Wolf“ spielt. Ueber die Mission Gei¬
ritgers zirkulieren allerlei Gerüchte . .. es heißt, dag
„Voikstheater bemühe sich, Ida Roland in Müngen
freizumachen.
box 30/3
——
ScHHlLgaee E
11FER 191 München
—
Münchner Schauspielhaus. Wohin man
bfickt, überall tobt heute der Kampf der Parteien,
Richtungen, Meinungen. Und vorbei die Zeiten,
Ho die Gegner in ehrlichem Kampfe sich messen.
Ein häßliches, wildes Ringen, in dem oft kein
Mittel im Kampfe zu schlecht. Sehnen wir uns
zoa noch, diesem häßlichen Spiel auch auf der
Bühne zu begegnen? Nun, wir wären jedenfalls
um einen interessanten Abend, um ein interessantes
Stück ärmer wenn Artur Schnitzler seine fünf¬
aktige Komödie „Professor-Vernyar##nicht ge¬
schrieben hätte. Schnitzler versetzt uns nach Wien
um 1900. Fanatisch tobt der Kampf der Parteien.
Hie Semiten — hie Antisemiten tönt der Schlacht¬
ruf. Und alles wird zu Parteizwecken ausge¬
schlachtet. Ein Vorgang, der sich bei der Betei¬
ligtem guten Willen, leicht in Ruhe hätte austragen
lassen, wird durch der Parteien Hetze zur Parteien¬
Sache aufgebauscht. Professor Bernhardi, der
Vorstand einer großen Klinik, hat dem Priester
den Zutritt zum Sterbebett eines jungen, gefallenen
Mädchens verweigert, aus Menschlichkeit, weil er
der Unglücklichen, die keine Ahnung von ihrem nahen
Ende hat, die freudig von der Zukunft hofft, die
letzte Stunde nicht trüben will, aber auch vom
Pflichtstandpunkte des Arztes, der dem menschlichen
Leben jede Minute Lebensdauer abzuringen und
hier die durch das Erscheinen des Priesters als uner¬
warteten Todesboten bedingte plötzliche Katastrophe
abzuwenden hat. Streber und Neider, vor allem
aber die politischen Feinde des Juden Bernhardi,
der hier dem Vertreter des Christentums entgegen¬
tritt, bemächtigen sich in partei= und religions¬
fanatischer Weise des Falles. Die Preßhetze setzt
ein, die falschen Aussagen egoistisch strebender
Kollegen und politischer Feinde, einer glaubens¬
fanatischen Krankenschwester und des zwar innerlich
ehrlich denkenden, aber auch fanatisch der „heiligen
Sache“ dienenden Priesters führen zu einer poli¬
tischen Interpellation und diese zur Anklage und
Verurteilung Bernhardis wegen Religionsverletzung.
Zwei Monate hat Bernhardi verbüßt. Gewaltig
ist die Schar seiner Anhänger gewachsen und auch
der Regierung ist der Fall bereits unangenehm
geworden. Da auch die Hauptzeugin, die Kranken¬
schwester, Beichte von ihrer falschen Aussage abge¬
legt hat, steht der vollen Rehabilitierung Bernhardis
nichts im Wege. Aber wie ihn vorher der Par¬
teien Hetze angewidert hat, will er auch jetzt von
einem neuen Rummel nichts wissen. Er sehnt sich
nach stillem Schaffen. Aus der Inhaltsangabe
heraus möchte man an ein handlungsreiches, hand¬
lungsbewegtes Stück glauben. Das ist es nun
keineswegs. Das Mehr der Handlung spielt sich
hinter den Kulissen ab, auf der Bühne nur eine
unendliche Reihe von Dialogen, von Reden, Aus¬
einandersetzungen. Aber gerade hier zeigt sich die
gewaltige Kunst Schnitzlers, diese fast 3½ stündigen
Dialoge so zu beleben, daß sie statt zu ermüden,
uns mit fortreißen, spannen bis zum letzten Augen¬
blicke. Und eines muß man besonders loben. Er hat
den Stoff nicht häßlich tendenziös gefärbt, sein Bern¬
hardi steht so über der Parteien Haß und Hetze,
erhaben hat er für sie nur Hohn und Satire.
Dieses alles Ueberragende wußte auch Colla Jessen
als Träger in der Titelrolle voll und ganz zu ge¬
wahren. Sein Bernhardi ist schon aus einem
Guß. Das partei= und religiös=gespaltete Professoren¬
Kollegium war durch die Herren Eßlair, Raabe,
Peppler, Grell, Heller, Ausfelder, Raabe, Duniecki,
Spanger. B.