wahr. Nur die Armen im Geiste und im Herzen werden¬
in dieser Komödie eine Gefahr finden. Denn um was geht
es zunächst? Es geht um einen Kampf der Menschlichkeit
gegen das Dogma. Die Menschlichkeit will einem Ster¬
benden seine Ruhe lassen, das Dogma will ihm die
„Tröstungen der Religion““ spenden. Bernhardi verwei¬
gert dem Pfarrer den Eintritt in das Sterbezimmer einer
Kranken, die noch gar nicht weiß, daß sie sterben muß
So wird die Menschlichkeit „religionsfeindlich“ und ein
Stück, das einen solchen Konflikt behandelt, offenbar dei
Staat und der öffentlichen Ruhe gefährlich. Dabei he
Schnitzler eine durchaus vornehme Haltung bewahrt, e
hat die Objektivität des Dramatikers bewährt. Sei.
Pfarrer ist eine durchaus sympathische Gestalt, selbst ein
Ringender, in dem innere Pflicht und Beruf im Krie,
liegen und so kann es geschehen, daß er am Ende seinen
großen Unterredung mit Bernhardi diesem die Hand reichen
darf. Über den Abgrund hinüber. Aber in Österreich muß
jeder Vorgang sogleich ins politische Gebiet hinübergespielt
werden. Und so spinnt sich denn um den Fall Bernyardi
sogleich ein Netz von Jutrigen, immer dichter und dichter,
bis der arme Bernhardi wegen Religionsstörung in den
Kerker muß. Dabei kommt denn freilich so manches aus
Pampenlicht, was so manchem unangenehm ist. Aber wahr
st es. Die Wahrheit aber ist ebenso staatsgefährlich wie
die Menschlichkeit. Und es nützt auch hier nichts, daß
Schnitzler auch diese Nebenpersonen der politischen In¬
trigue so objektiv als ihm möglich zeichnet. Daß sogar
dieser Unterrichtsmininer Flint, ein Streber großen
Stiles, der in seinen Mitteln ohne Bedenken und Rücksicht
ist, nicht ganz unsympathisch wird. Denn Schnitzler wollte
kein Angriffsdrama schreiben. Dazu ist er nicht Dramatiker
geung. Ich glaube sogar, man verkennt den Kernpunkt
des ganzen Werkes. Er liegt nicht in dem Konslikt zwischen
Menschlichkeit und Dogma, zwischen Arzt und Pfarter.
Sondern in dem Konflikt in Bernhardi selbst. Bernhardi
hat unter einem Impuls gehandelt, damit ist die Sache
für ihn erledigt. Er denkt nicht daran, seinen Fall zu einem
„Fall“ zu machen, er ist kein Theoretiker und kein Ideolog,
er hat nicht das Zeug zum Märtyrer und Politiker. Und
nun drängt man ihm die Rolle des Märtyrers auf, nun
verstrickt man ihn in die Politik. Es gibt in diesem Kon¬
flikt Gelegenheiten und Möglichkeiten, sich aufzuschwingen,
ihn zugunsten der Sache, die er vertreten hat, auszunutzen.
Er versäumt diese Gelegenheiten, er will von diesen Mög¬
lichkeiten nichts wissen. Ein unpolitischer Mensch, der
durchaus in einer politischen Komödie mitwirken soll, weil
es nun einmal in Österreich so sein muß — das ist der
innerste Kern des Schnitzlerschen Stückes, wieder einmal
eine Seite der Tragik des Österreichertums. — Den un¬
geheueren, weitläufigen Ban dieser fünf Akte zu gliedern,
vollkommen zu beherrschen, bis in die letzten Winkel zu
beleben, ist eine Aufgabe, an die man mit einigem Ban¬
gen herantreten muß Herr Bing hat sich ihr mit einem
ungemeinen Eifer, einer rühmenswerten Ausdauer unter¬
zogen und einen außergewöhnlichen Erfolg errungen. Es
gehört keine kleine Spannkraft dazu, nicht wenig rein
physisches Vermögen, zwanzin sprechende Personen drei
Stunden lang auseinanderzuhalten und scharf zu charakte¬
risieren. Nur eine Sprechtechnik von seltener Vollkommen¬
heit kann sich dieser Leistung unterfangen. Mit welcher
Verve war etwa die Sitzung des dritten Aktes gebracht,
in der Vernhardi abgesetzt wird. Oder die Unterredung
wischen Bernhardi und dem Pfarrer — ein echt Schnitz¬
lerscher Dialog mit Hin und Her und fast überreicher
psychologischer Gliederung — wie kam die mit allen den
feinen Nüancen zur Geltung. Manche der Personen setzten
sich in der virtnosen Charakteristik Bings so scharf von
der Umgebung ab, daß man sie fast zu sehen glaubte: der
feine Gelehrtenkopf Pflugselders, der aristokratische Damen¬
professor Filitz, der hastige. nervöse Tugendvetter, der ge¬
schäftige, kleine, schwarze Dr. Adler und dieser ironische,
überlegene und resignierte Hofrat Winkler. Läßt man
die Reihe der Personen, die uns am 12. d. Herr Bing allein
durch die Kunst der Sprechnüancierung lebendig machen
konnte, noch einmal vorüberziehen, so ist nicht eine ein¬
zige unter ihnen, die blaß oder schemenhaft wäre. Dabei
war das Gedankliche bis in die letzten Enden erfaßt und
man hatte das Gefühl, als sei dem Vortragenden Problem¬
Ausschnitt ausze #
Manttsche.
hal
B
1#nh
(Neue akademische Vereinigung.] Am Vorlese¬
sch der jüngsten Veranstaltung dieser Vereinigung
rschien Herr Bing, Mitglied unseres Stadtthea¬
ers, und las Artur=Schnitzlers „Professor Bern¬
hardi“, eine Komödie in 5 Akten, denen sich der 6.
der unbegreiflichen Beschlagnahme durch die Wie¬
ner Zensur und fast noch ein 7. anschließen. An
diesem „Professor Bernhardi“ hat sich die Schnitzler¬
sche Eigen= und Wesensart, seine unkräftige Weltan¬
schauung, seine müdweiche Lebens= und Denkungs¬
art, haben sich ferner alle Vorzüge und Nachteile
seiner früheren Werke wiederholt; allerdings stehen
wir einem anderen Milieu gegenüber, allerdings
sprudeln hier scheinbar andere Ideen: aber diese
Wnterströmungen münden alle in denselben geisti¬
gen Born, aus dem „Der Weg ins Freie", „Das
weite Land“, „Anatol“, „Liebelei“ usw. geschöpft.
Schnitzler, dessen Werke am ersten Tage so waren
wie am letzten, kennt keine Entwicklung, kein
Wachstum, besser gesagt keine Wandlung; al¬
len seinen Dichtungen eignet dieselbe ungewöhnliche
Breite, dieselbe Frontentwicklung, die Höhe aber,
das Hinansteigen fehlt ihnen aber gänzlich. Er kann
sich eben nur wiederholen. Gewiß hat er den Kon¬
flikt zwischen der flügelfreien Vernunft, der Frei¬
heit des vernünftigen Wollens und der Gebunden¬
heit des Dogmas interessant, ja fast ergreifend ge¬
staltet; gewiß hat er Gestalten und Verhältnisse auf
die Bretter gezaubert, die dem wirklichen Leben na¬
turgetreu entnommen sind; ob aber diese „Komödie“.
trotz aller dieser genannten Vorzüge einen glückli¬
chen Wurf bedeutet, ist eine Frage, die, wie K.
Kraus richtig meint, schon in nächster Zukunft ge¬
löst werden wird. Auch sie ist eben wieder viel zu
sehr Gedankenwelt, auch über sie ist wieder dieser
samtene Flor weicher, resignierender Phi¬
losophie gebreitet; und ihr fehlt die Bildner¬
kraft die Kraft überhaupt — und infolgedessen die
Fähigkeit zu begeistern, was ja bei jedem Dra¬
ma fast das Wichtigste, gewissermaßen der Prüf¬
stein für deren Zeit= oder Dauerwert bedeutet.
Schnitzler begeistert nicht: und das ist das Entschei¬
dende. — Herr Bing konnte zu den Veranstaltern
vor der Vorlesung mit Sachs wohl sagen: „Euch
macht ihrs leicht, mir macht ihrs schwer“. Aber er
bestand, bestand ganz vorzüglich. Wer 20 Rollen in
so origineller, scharf profilierter Unterschiedlichkeit
auseinander halten kann, wer jede Rolle so fein)
charakterisiert aus dem Geisie der Dichtung heraus¬
schälen, wer die Kontraste so gewaltig, fast nerven¬
zermalmend und die Stimmungen so packend, so
„ansteckend“ gut auslösen kann, der darf getrost sich
an die schwersten Aufgaben der Rezitationskunst wa¬
gen. Die Gestaltung einzelner Figuren war eine
derart lebendige, daß sie selbst auf den Brettern die
Illusion des Zuhörers nicht besser getäuscht hätten.
Herrn Bing, der über ein höchst ausdrucksvolles,
nuancenreiches Organ verfügt, wurde reicher Bei¬
fall zuteil.
Ditsch —
in dieser Komödie eine Gefahr finden. Denn um was geht
es zunächst? Es geht um einen Kampf der Menschlichkeit
gegen das Dogma. Die Menschlichkeit will einem Ster¬
benden seine Ruhe lassen, das Dogma will ihm die
„Tröstungen der Religion““ spenden. Bernhardi verwei¬
gert dem Pfarrer den Eintritt in das Sterbezimmer einer
Kranken, die noch gar nicht weiß, daß sie sterben muß
So wird die Menschlichkeit „religionsfeindlich“ und ein
Stück, das einen solchen Konflikt behandelt, offenbar dei
Staat und der öffentlichen Ruhe gefährlich. Dabei he
Schnitzler eine durchaus vornehme Haltung bewahrt, e
hat die Objektivität des Dramatikers bewährt. Sei.
Pfarrer ist eine durchaus sympathische Gestalt, selbst ein
Ringender, in dem innere Pflicht und Beruf im Krie,
liegen und so kann es geschehen, daß er am Ende seinen
großen Unterredung mit Bernhardi diesem die Hand reichen
darf. Über den Abgrund hinüber. Aber in Österreich muß
jeder Vorgang sogleich ins politische Gebiet hinübergespielt
werden. Und so spinnt sich denn um den Fall Bernyardi
sogleich ein Netz von Jutrigen, immer dichter und dichter,
bis der arme Bernhardi wegen Religionsstörung in den
Kerker muß. Dabei kommt denn freilich so manches aus
Pampenlicht, was so manchem unangenehm ist. Aber wahr
st es. Die Wahrheit aber ist ebenso staatsgefährlich wie
die Menschlichkeit. Und es nützt auch hier nichts, daß
Schnitzler auch diese Nebenpersonen der politischen In¬
trigue so objektiv als ihm möglich zeichnet. Daß sogar
dieser Unterrichtsmininer Flint, ein Streber großen
Stiles, der in seinen Mitteln ohne Bedenken und Rücksicht
ist, nicht ganz unsympathisch wird. Denn Schnitzler wollte
kein Angriffsdrama schreiben. Dazu ist er nicht Dramatiker
geung. Ich glaube sogar, man verkennt den Kernpunkt
des ganzen Werkes. Er liegt nicht in dem Konslikt zwischen
Menschlichkeit und Dogma, zwischen Arzt und Pfarter.
Sondern in dem Konflikt in Bernhardi selbst. Bernhardi
hat unter einem Impuls gehandelt, damit ist die Sache
für ihn erledigt. Er denkt nicht daran, seinen Fall zu einem
„Fall“ zu machen, er ist kein Theoretiker und kein Ideolog,
er hat nicht das Zeug zum Märtyrer und Politiker. Und
nun drängt man ihm die Rolle des Märtyrers auf, nun
verstrickt man ihn in die Politik. Es gibt in diesem Kon¬
flikt Gelegenheiten und Möglichkeiten, sich aufzuschwingen,
ihn zugunsten der Sache, die er vertreten hat, auszunutzen.
Er versäumt diese Gelegenheiten, er will von diesen Mög¬
lichkeiten nichts wissen. Ein unpolitischer Mensch, der
durchaus in einer politischen Komödie mitwirken soll, weil
es nun einmal in Österreich so sein muß — das ist der
innerste Kern des Schnitzlerschen Stückes, wieder einmal
eine Seite der Tragik des Österreichertums. — Den un¬
geheueren, weitläufigen Ban dieser fünf Akte zu gliedern,
vollkommen zu beherrschen, bis in die letzten Winkel zu
beleben, ist eine Aufgabe, an die man mit einigem Ban¬
gen herantreten muß Herr Bing hat sich ihr mit einem
ungemeinen Eifer, einer rühmenswerten Ausdauer unter¬
zogen und einen außergewöhnlichen Erfolg errungen. Es
gehört keine kleine Spannkraft dazu, nicht wenig rein
physisches Vermögen, zwanzin sprechende Personen drei
Stunden lang auseinanderzuhalten und scharf zu charakte¬
risieren. Nur eine Sprechtechnik von seltener Vollkommen¬
heit kann sich dieser Leistung unterfangen. Mit welcher
Verve war etwa die Sitzung des dritten Aktes gebracht,
in der Vernhardi abgesetzt wird. Oder die Unterredung
wischen Bernhardi und dem Pfarrer — ein echt Schnitz¬
lerscher Dialog mit Hin und Her und fast überreicher
psychologischer Gliederung — wie kam die mit allen den
feinen Nüancen zur Geltung. Manche der Personen setzten
sich in der virtnosen Charakteristik Bings so scharf von
der Umgebung ab, daß man sie fast zu sehen glaubte: der
feine Gelehrtenkopf Pflugselders, der aristokratische Damen¬
professor Filitz, der hastige. nervöse Tugendvetter, der ge¬
schäftige, kleine, schwarze Dr. Adler und dieser ironische,
überlegene und resignierte Hofrat Winkler. Läßt man
die Reihe der Personen, die uns am 12. d. Herr Bing allein
durch die Kunst der Sprechnüancierung lebendig machen
konnte, noch einmal vorüberziehen, so ist nicht eine ein¬
zige unter ihnen, die blaß oder schemenhaft wäre. Dabei
war das Gedankliche bis in die letzten Enden erfaßt und
man hatte das Gefühl, als sei dem Vortragenden Problem¬
Ausschnitt ausze #
Manttsche.
hal
B
1#nh
(Neue akademische Vereinigung.] Am Vorlese¬
sch der jüngsten Veranstaltung dieser Vereinigung
rschien Herr Bing, Mitglied unseres Stadtthea¬
ers, und las Artur=Schnitzlers „Professor Bern¬
hardi“, eine Komödie in 5 Akten, denen sich der 6.
der unbegreiflichen Beschlagnahme durch die Wie¬
ner Zensur und fast noch ein 7. anschließen. An
diesem „Professor Bernhardi“ hat sich die Schnitzler¬
sche Eigen= und Wesensart, seine unkräftige Weltan¬
schauung, seine müdweiche Lebens= und Denkungs¬
art, haben sich ferner alle Vorzüge und Nachteile
seiner früheren Werke wiederholt; allerdings stehen
wir einem anderen Milieu gegenüber, allerdings
sprudeln hier scheinbar andere Ideen: aber diese
Wnterströmungen münden alle in denselben geisti¬
gen Born, aus dem „Der Weg ins Freie", „Das
weite Land“, „Anatol“, „Liebelei“ usw. geschöpft.
Schnitzler, dessen Werke am ersten Tage so waren
wie am letzten, kennt keine Entwicklung, kein
Wachstum, besser gesagt keine Wandlung; al¬
len seinen Dichtungen eignet dieselbe ungewöhnliche
Breite, dieselbe Frontentwicklung, die Höhe aber,
das Hinansteigen fehlt ihnen aber gänzlich. Er kann
sich eben nur wiederholen. Gewiß hat er den Kon¬
flikt zwischen der flügelfreien Vernunft, der Frei¬
heit des vernünftigen Wollens und der Gebunden¬
heit des Dogmas interessant, ja fast ergreifend ge¬
staltet; gewiß hat er Gestalten und Verhältnisse auf
die Bretter gezaubert, die dem wirklichen Leben na¬
turgetreu entnommen sind; ob aber diese „Komödie“.
trotz aller dieser genannten Vorzüge einen glückli¬
chen Wurf bedeutet, ist eine Frage, die, wie K.
Kraus richtig meint, schon in nächster Zukunft ge¬
löst werden wird. Auch sie ist eben wieder viel zu
sehr Gedankenwelt, auch über sie ist wieder dieser
samtene Flor weicher, resignierender Phi¬
losophie gebreitet; und ihr fehlt die Bildner¬
kraft die Kraft überhaupt — und infolgedessen die
Fähigkeit zu begeistern, was ja bei jedem Dra¬
ma fast das Wichtigste, gewissermaßen der Prüf¬
stein für deren Zeit= oder Dauerwert bedeutet.
Schnitzler begeistert nicht: und das ist das Entschei¬
dende. — Herr Bing konnte zu den Veranstaltern
vor der Vorlesung mit Sachs wohl sagen: „Euch
macht ihrs leicht, mir macht ihrs schwer“. Aber er
bestand, bestand ganz vorzüglich. Wer 20 Rollen in
so origineller, scharf profilierter Unterschiedlichkeit
auseinander halten kann, wer jede Rolle so fein)
charakterisiert aus dem Geisie der Dichtung heraus¬
schälen, wer die Kontraste so gewaltig, fast nerven¬
zermalmend und die Stimmungen so packend, so
„ansteckend“ gut auslösen kann, der darf getrost sich
an die schwersten Aufgaben der Rezitationskunst wa¬
gen. Die Gestaltung einzelner Figuren war eine
derart lebendige, daß sie selbst auf den Brettern die
Illusion des Zuhörers nicht besser getäuscht hätten.
Herrn Bing, der über ein höchst ausdrucksvolles,
nuancenreiches Organ verfügt, wurde reicher Bei¬
fall zuteil.
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