Ve
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im Ungarischen Theater.
(Gastspiel des Berliner Kleinen Theaters.)
Von Elsa Stephani.
Budapest, 16. April.
Es ist für ein Stück in künstlerischer Hinsicht nie von
Vorteil, wenn es lange vor seiner Aufführung zum Zank¬
objekt politischer Kämpfe gemacht wird. Selbst der unbe¬
fangenste Zuschauer erliegt leicht der Versuchung einer
Stellungnahme, die sich nicht zwingend aus dem inneren
Sinne des Werkes selbst ergibt. Vermag ein Werk kraft
der ihm innewohnenden dichterischen Wahrheit diese nur
scheinbar und ganz äußerlich günstige, in Wirklichkeit aber
höchst gefahrbringende Reklame so zu überwinden, daß alle
Aeußerlichkeiten zusammenschrumpfen und der eigene Gehalt
plötzlich sehr wichtig erscheint, so ist es eine vollgültige
Kraftprobe.
Um Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ hätte
die Wiener Zensur wirklich nicht so viel Aufhebens machen
müssen, um ihr zu einem stürmischen Budapester Erfolg
zu verhelfen. Wäre es nur „aktuell“, nur satirisch innerhalb
lokaler Grenzen, so wären ihm wahrscheinlich auch seine
deutschen Erfolge nicht beschieden gewesen. Aber es ist
eben mehr als ein Pamphlet; in dem meisterhaft kon¬
struierten Einzelfall erweist sich eine menschlich überlegene
und abgeklärte Philosophie. Arthur Schnitzler ist Arzt;
und der Held dieses Aerztedramas sagt in einem bedeut¬
samen Augenblick: „Unsere Aufgabe ist es, auch jene zu
verstehen, die uns nicht verstehen können. Die parteilose
Skepsis, das leichtironische Lächeln des Allesverstehens
gibt dem Stücke seine persönliche philosophische Tönung.
Der Inhalt darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Der Fall des jüdischen Professors Bernhardi, der als Arzt
einem Priester den Zutritt zu einer Sterbenden verweigert,
um ihr den glücklichen Wahn der Genesung nicht rauben
zu müssen, ist oft und ausführlich wiedererzählt worden.
Heute konnte man sich aus eigener Anschauung überzeugen,
wie wenig tendenziös, wie ganz und gar nicht gehässig
Schnitzler die Hetze darstellt, die gewisse Elemente gegen
Professor Bernhardi in Szene setzen, wie scharf er
zeichnet, ohne irgend etwas zu verzeichnen. Ein Stück
Oesterreich wird in diesem Drama lebendig, und, was
schwerer wiegt, viele Stücke lebenswarmen Menschentums.
Schnitzler hat sich reichlich Zeit gelassen, uns den Fall
Bernhardi von allen Seiten zu beleuchten; fünf lange Akte
hindurch spinnt sich die Sache in gemächlichem Tempo fort,
während der dramatische Höhepunkt schon am Schluß des
ersten erreicht ist. Doch die Energie des Dichters erlahmt
höchstens für die Dauer des vierten Aktes ein ganz klein
wenig und der Zuschauer ist am Schlusse noch ebenso frisch
und empfänglich wie zu Beginn, obwohl der letzte Akt der
Handlung etwas lose, wie ein Epilog, angehängt ist -
allerdings ein sprühend witziger und amüsanter Epilog.
Zwei Dinge sind an diesem Stück bewunderungs¬
würdig und selbst bei Schnitzler überraschend, und wenn
man genau zusieht, so machen die beiden allein ein
ganzes Stück aus: die Menschen und der Dialog. Für
die Art, wie Schnitzler die anderthalb Dutzend Charaktere
auseinanderhält, die beinahe alle Aerzte sind, also mehr
oder weniger der gleichen Sphäre angehören, ist kein
Wort der Bewunderung zu warm. Ueber ein Dutzend
Menschen, lauter Männer — die kleine Rolle der Schwester
Ludmilla zählt nicht —, alle im Straßenanzug, alle bar
jener koloristischen Reizmittel, die sich dem Dramatiker
in Typen aus verschiedenem Milieu bieten und jeder
einzelne das, was man in der alten Theatersprache eine
Kabinettfigur nennt. Echte Menschen und bühnenwirksame
Rollen alle, ohne eine einzige Ausnahme.
Die Sprache ist die eigene potenzierte Sprache Arthur
Schnitzlers. Die Leichtigkeit dieses Meisterdialogs, der
ungekünstelt klingt und hohe Kunst ist, dessen Treffsicherheit
wie glückliche Zufälligkeit erscheint und dessen Witz immer
organisch aus der gegebenen Situation herauswächst und
sich niemals zu guten Witzen hergibt, dieses eigenste Gut
Arthur Schnitzlers übte auf unser Publikum eine so un¬
mittelbare Wirkung aus, wie sie in Wien, der stief¬
mütterlich verschlossenen Heimat dieses Wiener Stückes,
kaum stärker hätte sein können.
Ein Budapester Publikum und Berliner Schauspieler
und keine Feinheit, die im Zuschauerraum nicht
vollen Widerhall gesunden hätte! Diese prachtvolle Füh¬
Stelle der Regisseur Tirektor Viktor Barnowskr
genannt werden. Dieses Stück bietet keine bedeutenden
szenischen Probleme, wenigstens im dekorativen Sinne
nicht; und so wurde alle Sorgfalt, alles virtuose Können,
das diesem Regisseur eigen zu sein scheint, auf das
Akustische verwendet. Ein wunderbar feines Bühnen¬
gehör hat hier Abstufungen, Klangfarben, Raffinements
im Tempo und Rhythmus des Dialogs gefunden, die
reichlich für alle Farbigkeit aufzukommen vermochten, die
das Auge hier naturgemäß entbehren mußte.
Unter den Schauspielern fiel zunächst Alfred Abel
auf, nicht nur weil er als Pfarrer wesensfremd unter
den anderen stand. Er hat eine Art den Kopf zu nei¬
gen, die Hände zu krampfen und seine Worte schneidend
und schwer zu sprechen, die auf seine größeren Gestaltun¬
gen neugierig macht. Bruno Decarli in der Titel¬
rolle war von entsprechender ironischer Liebenswürdigkeit;
seine angenehme Stimme und warmherzige Art nahmen
günstig für ihn ein. Guido Herzfeld, Rudolf Klein¬
Rohden, Hans Sternberg und Erich Platen
waren vier Professoren von prachtvoller Verschiedenheit
und bewunderungswürdiger Unterordnung unter den
Charakter ihrer Rollen. Ihre persönliche Eigenart wird
an den folgenden Abenden festgestellt werden müssen.
Max Landa und Max Adalbert müssen auch ge¬
nannt werden. An dem stürmischen Erfolg des Abends
aber hatte jeder einzelne teil.
Den Höhepunkt erreicht dieser Erfolg nach dem drit¬
ten Akt, als Arthur Schnitzler selbst erschien, um für
den lauten Beifall zu danken. Dichter und Publikum,
Darsteller und „Zuschauer, konnten miteinander zu¬
frieden sein.
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Senen
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im Ungarischen Theater.
(Gastspiel des Berliner Kleinen Theaters.)
Von Elsa Stephani.
Budapest, 16. April.
Es ist für ein Stück in künstlerischer Hinsicht nie von
Vorteil, wenn es lange vor seiner Aufführung zum Zank¬
objekt politischer Kämpfe gemacht wird. Selbst der unbe¬
fangenste Zuschauer erliegt leicht der Versuchung einer
Stellungnahme, die sich nicht zwingend aus dem inneren
Sinne des Werkes selbst ergibt. Vermag ein Werk kraft
der ihm innewohnenden dichterischen Wahrheit diese nur
scheinbar und ganz äußerlich günstige, in Wirklichkeit aber
höchst gefahrbringende Reklame so zu überwinden, daß alle
Aeußerlichkeiten zusammenschrumpfen und der eigene Gehalt
plötzlich sehr wichtig erscheint, so ist es eine vollgültige
Kraftprobe.
Um Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ hätte
die Wiener Zensur wirklich nicht so viel Aufhebens machen
müssen, um ihr zu einem stürmischen Budapester Erfolg
zu verhelfen. Wäre es nur „aktuell“, nur satirisch innerhalb
lokaler Grenzen, so wären ihm wahrscheinlich auch seine
deutschen Erfolge nicht beschieden gewesen. Aber es ist
eben mehr als ein Pamphlet; in dem meisterhaft kon¬
struierten Einzelfall erweist sich eine menschlich überlegene
und abgeklärte Philosophie. Arthur Schnitzler ist Arzt;
und der Held dieses Aerztedramas sagt in einem bedeut¬
samen Augenblick: „Unsere Aufgabe ist es, auch jene zu
verstehen, die uns nicht verstehen können. Die parteilose
Skepsis, das leichtironische Lächeln des Allesverstehens
gibt dem Stücke seine persönliche philosophische Tönung.
Der Inhalt darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Der Fall des jüdischen Professors Bernhardi, der als Arzt
einem Priester den Zutritt zu einer Sterbenden verweigert,
um ihr den glücklichen Wahn der Genesung nicht rauben
zu müssen, ist oft und ausführlich wiedererzählt worden.
Heute konnte man sich aus eigener Anschauung überzeugen,
wie wenig tendenziös, wie ganz und gar nicht gehässig
Schnitzler die Hetze darstellt, die gewisse Elemente gegen
Professor Bernhardi in Szene setzen, wie scharf er
zeichnet, ohne irgend etwas zu verzeichnen. Ein Stück
Oesterreich wird in diesem Drama lebendig, und, was
schwerer wiegt, viele Stücke lebenswarmen Menschentums.
Schnitzler hat sich reichlich Zeit gelassen, uns den Fall
Bernhardi von allen Seiten zu beleuchten; fünf lange Akte
hindurch spinnt sich die Sache in gemächlichem Tempo fort,
während der dramatische Höhepunkt schon am Schluß des
ersten erreicht ist. Doch die Energie des Dichters erlahmt
höchstens für die Dauer des vierten Aktes ein ganz klein
wenig und der Zuschauer ist am Schlusse noch ebenso frisch
und empfänglich wie zu Beginn, obwohl der letzte Akt der
Handlung etwas lose, wie ein Epilog, angehängt ist -
allerdings ein sprühend witziger und amüsanter Epilog.
Zwei Dinge sind an diesem Stück bewunderungs¬
würdig und selbst bei Schnitzler überraschend, und wenn
man genau zusieht, so machen die beiden allein ein
ganzes Stück aus: die Menschen und der Dialog. Für
die Art, wie Schnitzler die anderthalb Dutzend Charaktere
auseinanderhält, die beinahe alle Aerzte sind, also mehr
oder weniger der gleichen Sphäre angehören, ist kein
Wort der Bewunderung zu warm. Ueber ein Dutzend
Menschen, lauter Männer — die kleine Rolle der Schwester
Ludmilla zählt nicht —, alle im Straßenanzug, alle bar
jener koloristischen Reizmittel, die sich dem Dramatiker
in Typen aus verschiedenem Milieu bieten und jeder
einzelne das, was man in der alten Theatersprache eine
Kabinettfigur nennt. Echte Menschen und bühnenwirksame
Rollen alle, ohne eine einzige Ausnahme.
Die Sprache ist die eigene potenzierte Sprache Arthur
Schnitzlers. Die Leichtigkeit dieses Meisterdialogs, der
ungekünstelt klingt und hohe Kunst ist, dessen Treffsicherheit
wie glückliche Zufälligkeit erscheint und dessen Witz immer
organisch aus der gegebenen Situation herauswächst und
sich niemals zu guten Witzen hergibt, dieses eigenste Gut
Arthur Schnitzlers übte auf unser Publikum eine so un¬
mittelbare Wirkung aus, wie sie in Wien, der stief¬
mütterlich verschlossenen Heimat dieses Wiener Stückes,
kaum stärker hätte sein können.
Ein Budapester Publikum und Berliner Schauspieler
und keine Feinheit, die im Zuschauerraum nicht
vollen Widerhall gesunden hätte! Diese prachtvolle Füh¬
Stelle der Regisseur Tirektor Viktor Barnowskr
genannt werden. Dieses Stück bietet keine bedeutenden
szenischen Probleme, wenigstens im dekorativen Sinne
nicht; und so wurde alle Sorgfalt, alles virtuose Können,
das diesem Regisseur eigen zu sein scheint, auf das
Akustische verwendet. Ein wunderbar feines Bühnen¬
gehör hat hier Abstufungen, Klangfarben, Raffinements
im Tempo und Rhythmus des Dialogs gefunden, die
reichlich für alle Farbigkeit aufzukommen vermochten, die
das Auge hier naturgemäß entbehren mußte.
Unter den Schauspielern fiel zunächst Alfred Abel
auf, nicht nur weil er als Pfarrer wesensfremd unter
den anderen stand. Er hat eine Art den Kopf zu nei¬
gen, die Hände zu krampfen und seine Worte schneidend
und schwer zu sprechen, die auf seine größeren Gestaltun¬
gen neugierig macht. Bruno Decarli in der Titel¬
rolle war von entsprechender ironischer Liebenswürdigkeit;
seine angenehme Stimme und warmherzige Art nahmen
günstig für ihn ein. Guido Herzfeld, Rudolf Klein¬
Rohden, Hans Sternberg und Erich Platen
waren vier Professoren von prachtvoller Verschiedenheit
und bewunderungswürdiger Unterordnung unter den
Charakter ihrer Rollen. Ihre persönliche Eigenart wird
an den folgenden Abenden festgestellt werden müssen.
Max Landa und Max Adalbert müssen auch ge¬
nannt werden. An dem stürmischen Erfolg des Abends
aber hatte jeder einzelne teil.
Den Höhepunkt erreicht dieser Erfolg nach dem drit¬
ten Akt, als Arthur Schnitzler selbst erschien, um für
den lauten Beifall zu danken. Dichter und Publikum,
Darsteller und „Zuschauer, konnten miteinander zu¬
frieden sein.
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