II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 306

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25. PrefesseBernad
anitt atlamburger Freindenbiah
15 APR. 1977



S
sich, aus keiner Erkenntnis die letzten Konse¬
rufsgenossen Bernhardis, die Wiener Journali¬
S
quenzen zu ziehen: was er dafür zu geben hat,
stik und andere Dinge mehr charakterisiert. Aber
ist das Achselzucken einer ironischen Melancholie.
Schnitzler ist kein Ibsen. Er besitzt nicht die
Sie
An die Stelle der Tatkraft tritt die große
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Müdigkeit, das Versagen. Dieser elegisch=pessimi¬
Srie Mtichtr hn Arngereshtracn
Hund Aug
stische Grundzug gibt der Komödie ein tragisches
Reformator geboren. Denn wir haben nicht das
Ge
Relief, das keineswegs nach Lessings Rezept ist,
Gefühl, daß wir bis in die letzten Konsequenzen
der die Bastardformen der Dramatik absolut
gehen und unser Leben für unsere Ueberzeugung
verwarf und den Begriff der Tragikomödie mit
einsetzen müßten.“ Das Wort ist Schnitzler aus
Deutsches Schauspielhaus.
der Bezeichnung Hilarotragödie lächerlich machte.
der eigensten Seele gekommen. In allen seinen
Aber was wußte der gute Lessing von den
Stücken dreht und wendet er sein Problem so
K
„Differenzierungen“ der Stilbegriffe, auf die
lange, bis er schließlich mit der Frage endet:
Professor Bernhardi.
wir uns so viel zugute tun! Auch die Kunst¬
„Was ist Wahrheit?“ Und er zuckt müde die
Wollte Schnitzler Lessings weisem Nathan
begrenzungen vermischen und verwischen sich
Achseln und sagt wie Professor Bernhardi: ##
einen „Nathan den Unweisen“ gesellen? Sein
heute bis zur alles und nichts sagenden Aus¬
„Meine Ruh will ich haben.“ Das große Kampf¬
druckslosigkeit.
Professor Bernhardi steht im Grunde auf einer
stück geht aus wie das Horneberger Schießen.
ebenso hohen Warte als Lessings ehrwürdiger
Professor Bernhardi ist der Begründer und
Die Enttäuschung wirkt peinlich ernüchternd.
Patriarch. Aber er
noch kein abgeklärter
Leiter eines großen Krankenhauses in Wien, des
Denn technisch hat Schnitzler Vollendetes ge¬
Philosoph, sondern (anscheinend) eine Kraftnatur
leistet. Die außerordentlich feine Individuali¬
„Elisabethinums“. In ihm liegt ein junges Mäd¬
von genialischem Umfang und genialischer Fülle.
sierung der vierzehn Aerzte, die in der Komödie
chen im Sterben, aber sie ahnt nichts von ihrem
Er huldigt dem modernen Univerfalkultus des
Schicksal und würde im freudigen Glauben auf
auftreten, ihre geschickte Verteilung nach den Er¬
Verstandes und betrachtet alle Dinge nur als
ihre Genesung hinüberschlummern, wenn nicht
fordernissen der Handlung; die treffende Charakte¬
Angelegenheiten des Großhirns. Wenn er über
die Gebote ihres Glaubens die Anwesenheit
ristik des Un errichtsministers und des katholischen
die konfessionellen Schranken und die Unterschiede
eines Priesters erforderten, der sie für den Ab¬
Pfarrers, der geistvoll belebte pointenreiche Dia¬
des Blutes lächelt, geschieht es allerdings nicht
schied von der Erde mit den Sterbesakramenten
log, die unaufdringliche, aber zutreffende Schil¬
mit der weisen Ueverlegenheit seines Lands¬
versehen soll. Professor Bernhardi, dem diese
derung des Milieus, das alles hat ein Künst¬
mannes aus Jerusalem, der diese Dinge über¬
Anschauung als ein Aberglauben erscheinen
ler geschaffen, der ein Meister ist. Schade, daß
windet, indem er sie gelassen respektiert. Pro¬
muß und der der Sterbenden die Wohltat eines
r aus diesen Dingen nur ein Theater¬
fessor Bernhardi machen sie nur ungeduldig und
leichten Todes zu sichern wünscht, hält den von
stück zu schaffen wußte. Ein ungewöhnlich
unvorsichtig, zuweilen auch, wie seinen Autor,
fesselndes Theaterstück, gewiß Aber keine Dich=
einer Schwester herbeigerufenen Priester zurück.
elegisch und sentimental. In solchen Momenten
Die Auseinandersetzung zwischen beiden wird
tung, die sich ihren inneren Bedingungen ge¬
witd er leider pathetisch und fühlt mit schmerz¬
durch die Mitteilung unterbrochen, daß der Tod
mäß zu vollenden und den erörterten Konflikt
schem Augenausschlag, daß der Verstand allein
kraftvoll zu entwirren weiß.
bereits eingetreten sei. Die Schwester hatte die
Ces nicht tut. Lessings Nathan hatte es freilich
Kranke von dem Erscheinen des Dieners ihrer
Für die Aufführung hatte der Spielleiter
bequemer. In seinem Zeitalter schwerfälligen
Kirche unterrichtet und der Schreck über diese
Dr. Hagemann den ungemein schwer zu ?
Verkehrs lebten die Rassen meyr oder weniger
Mitteilung hat ihr Ableben beschleunigt. Wäre
treffenden richtigen Ton gefunden. Sie hielt in &
geschieden voneinander und lernten sich kaum
man nicht in einem fanarisch katholischen Lande,
der gemäßigt realistischen Herrichtung des
kennen. Das allgemeine Durcheinander unserer
so würde der Vorgang als ein unglücklicher Zu¬
Milieus, in der zutreffenden Zeichnung der
Tage hat uns aber dem allgemeinen Verbrüde¬
fall betrachtet und vergessen werden. In dem
Charaktere und in der Behandlung des Dialogs ##
rungsideal des Nathandichters nicht näher ge¬
Wien des Erzbischofs Nagl wird eine „Affäre“
die richtige Mitte zwischen Komödie und Tra¬
bracht, sondern im Gegenteil die tiefgehenden
daraus. Der Arzt wird wegen Religionsstörung
gödie. Oder suchte sie zu halten. Denn nicht alle
Unterschiede erst recht aufgedeckt. Besonders in
zur Verantwortung gezogen; die politischen Par¬
Darsteller waren fähig gewesen, auf die Inten¬
Oesterreich, dem Lande der vielen Völker und
teien bemächtigen sich des Vorfalles, der auch
tionen ihres Leiters einzugehen, und versielen?
Völlchen. Professor Bernhardi hat dieser Ent¬
von den mißgünstigen Kollegen ihres genialen
lustspielmäßigen Uebertreibungen, die die Ge¬
wicklung erstannlicherweise keine besondere Auf¬
Direktors zu selbstsüchtigen Zwecken ausgebeutet
samtwirkung gefährdeten. Ausgezeichnet war
merksamkeit gescheult, obgleich sie sich einem so
wird — kurzum, Professor Bernhardi wird zu
Nhil in der Rolle des Titelhelden, waren
überlegenen Verstand von selber aufdrängen
zwei Monaten Gesängnis verurteilt. Von seinen
ferner Montor (Prof. Ebenwald), Brahm¬
müßte; er steht in dieser Beziehung noch auf
Anhängern wird er nach dem Verlauf dieser
(Prof. Cyprian), Kreidemann (Professor
dem Standpunkt Lessings. Er kennt nur eine
Frist im Triumph aus dem Gefängnis geholt.
Pflugfelder), Holstein (Prof. Fielitz), An¬
Leidenschaft: seiner ärztlichen Wissenschaft zu
Sie erwarten von ihm, daß er gleich Ibsens
dresen (Prof. Tugendvetter), v. Dollen
dienen und seinen Patienten zu helfen, welches
Dr. Stockmann willensstark und begeisterungsfähig
(Dr. Adler),
ichler (Hochroitzpoininer),
Blutes sie auch seien. Von allem übrigen denkt
für seine Ueberzeugung eintritt und eine neue
Lang (Minister), Wlach (Hofrat), Wag¬
er mit einer schönen Skepsis, an der nur un¬
Flutwelle der Kultur heraufbeschwört. Vielleicht
ner (Pfarrer) und Kallenberger (Dr.
angenehm auffällt, wie leicht sie von sich selber
hegten die arglosen Zuhörer eine ähnliche Er¬
Feuermann). Im Publikum erweckte das Stück!
gerührt ist. Es ist, wie die Entwicklung der
wartung. Nicht mit Unrecht. Denn sie wird durch
die lebhafteste Anteilnahme, die auch durch den
Komödie zeigt, die Skepfis des Dichters selber.
die schneidige und geistvolle Satire wachgerusen,
abflauenden Schluß kaum gemindert wurde und
Auch er hat, wie sein Held, Scharssinn und
mit der der Verfasser das moderne Oesterreich
die sich nach dem letzten Fallen des Vorhangs
Menschenkenntnie; auch ihn empört die Be¬ bereuchtet, seine verworrenen politischen Zu¬
in unermüdlichem Beifall, der mit den Haupt=
schränktheit der Durchschnittsmenschen und die stände, die Parteiheuchelei, die kirchliche Intole¬
darstellern auch den Spielleiter immer wiedey
Unauständigkeit ihrer Gesinnung;, aher er schenk! ranz, das Streber= und Kliquenwesen der Be=I hervorrief, kundgab.
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