II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 322

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25 PBernhardi
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Ausschnitt aus:
7. 9 101“
Sehlstehs Pasher buge
vom:
Lobetheater.
Zum 1. Male.
„Professor Bernhardi.“
alers
Auch der heutige Premierenabend, an dem Arthur Sch
fünfaktige Komödie „Professor Bernhardi“ in Szene ging, brichte der
neuen Direktion des Lobetheaters ein volles Haus und einen starken!
äußeren Erfolg. An dem Beifall für das aufgeführte Stück selber
hat sich aber nur ein Teil, wenn man nicht gleich sagen will: eine
bestimmte Partei im Publikum beteiligt. Die andern ließen es wohl
mit etwas gemischten Gefühlen an sich vorüberziehen.
Der frühere Dramatiker Schnitzler ist in seinem neuesten
Bühnenwerk fast nicht wiederzuerkennen. Um die Mitte
der 90er Jahre, als er die köstlichen Anatolszenen schrieb
und die unvergeßliche Tragödie der Christine Weiring, da waren
Liebe und Liebelei das einzige Thema, das er fortwährend variierte.
über all den liebenswürdigen Szenen und Geschichten von den
„süßen Mädeln“ lag eine merkwürdige Verträumtheit, eine weh¬
mütige Ironie, kurz eine echt wienerische Atmosphäre. Er hat sich
dann später an größere Aufgaben gewagt und z. B. im „Grünen
Kakadu“ und im „Schleier der Beatrice“ zwei ihrer Art nach zwar
grundverschiedene, aber dichterisch sehr bedeutsame Dramen
geschaffen. In allerletzter Zeit nun wandte er sich politischen Pro¬
blemen zu und behandelte in seinem Roman „Der Weg ins Freie“
die Judenfrage in Österreich. Wie stark ihn, der selber
jüdischer Herkunft ist, dies Problem beschäftigt, zeigt auch das
ironisch als „Komödie“ betitelte Schauspiel „Professor Bern¬
hardi“ (die Buchausgabe ist bei S. Fischer, Berlin, erschienen).
Wir haben es hier mit einem ausgesprochenen Tendenzstück zu tun.
Schnitzler will darin nachweisen, daß auch heute noch — in Öster¬
reich wenigstens — mutatis mutandis das Wort des Patriarchen
im „Nathan“ gilt: der Jude wird verbrannt. Das Stück
spielt in Wien, um 1900. Man vergegenwärtige sich die
damaligen politischen Verhältnisse. Eine Welle des leiden¬
schaftlichsten Antisemitismus ging über die deutsch=öster¬
reichischen Staaten. Die Christlichsozialen mit Lueger an der
Spitze und die Alldeutschen unter Schönerers Führung bekämpften
beide den immer größer werdenden Einfluß des Judentums in
Wien. Es kamen damals auch jene ja heute noch geltenden und
viel umstrittenen Waidenhofener Beschlüsse zustande, worin die
nationale Studentenschaft jeden Juden von vornherein
für
satisfaktionsunfähig erklärte. In diese Epoche also fällt
Schnitzlers Schauspiel.
Seine Handlung ist kurz erzählt. Der jüdische Professor für
interne Medizin Dr. Bernhardi wirkt als Direktor in einer Wiener
Heilanstalt, dem unter einem Kuratorium angesehener Persönlich¬
keiten stehenden Elisabethinum. Nun befindet sich in seiner Behand¬
lung ein hoffnungslos erkranktes Mädchen, bei dem kurz vor dem
Tode Euphorie eingetreten ist, d. h., die sich vollständig wohl und
munter fühlt und ans baldige Aufstehen denkt. Da wird durch eine
Krankenschwester des Elisabethinums ein Geistlicher an das
Sterbebett des Mädchens gerufen, um ihm die letzte Hlung zu
zerteilen. Professor Bernhardi will aber seine ahnungslose Pati¬
sentin vor dem Schreck bewahren, den ihr die Spendung der
Sterbesakramente einflößen würde, und weist dem Pfarrer
sehr bestimmt die Tür. Daraus drehen ihm jetzt seine anti¬
semitischen Gegner unter den Kollegen einen Strick. Die Sache
wird kolossal aufgebauscht, die Christlichsozialen bringen im Parla¬
ment eine Interpellation ein, der Unterrichtsminister, ein früherer
Studiengenosse Bernhardis, veranlaßt sogar, daß gegen den Pro¬
fessor ein Verfahren wegen Religionsstörung eingeleitet wird. Der
Prozeß findet statt, die durchaus voreingenommenen Geschworenen
sprechen Bernhardi schuldig und die nicht weniger fanatischen
Richter verurteilen ihn zu zwei Monaten Gefängnis. Der Gelehrte
verzichtet auf jede Revision, sitzt seine Strafe ab und kehrt als
Märtyrer seiner überzeugung und Märtyrer des Judentums aus
dem Kerker zurück.
Ob der von Schnitzler hier sehr gewaltsam konstruierte „Fall“
überhaupt möglich wäre, ist belanglos. Jedenfalls kam es dem
Verfasser darauf an zu zeigen, daß der vornehme Jude im Kampf
gegen christliche (oder arische) Heuchelei und Gemeinheit unterliegen
muß. Es verschlägt dabei wenig, daß es auch unter den Christen
des Stücks anständige Menschen gibt, wie den Pfarrer Reder und
den „altliberalen“ Professor Pflugfelder, der sozusagen die Rolle des
Raisonneurs übernommen hat; auch daß unter den vorgeführten
Juden sich einige zweifelhafte Charaktere befinden, ändert nichts
an Schnitzlers Tendenz: die moralische überlegenheit des
Juden über die christlichen Gegner darzutun. Der Minister
Dr. Flint wird als Streber, als mit heuchlerischen Syllogismen sich
verteidigender Schuft gezeichnet; Bernhardis Kollege, Professor
Ebenwald, welcher der christlichsozialen Partei nahesteht, ist ein aus¬