II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 403

Sonntag
Wiener verlielt sind, in Berlin kalt lassen kann, so lassen auch
die New=Yorker nicht immer als schön gelten, was den Europäern
gesällt. Die Amerikaner sind dennoch sehr urteilsfähig, sie sind
sehr anspruchsvoll, aber sie halten auch treu zu einem, den sie
einmal liebgewonnen haben, sie sind ebenso treu wie die Wiener.
Das kann man bekanntlich den Berlinern nicht nachsagen —
hier muß sich ein Mime jeden Tag aufs neue seinen Platz vor
dem Publikum erkämpfen. Das mag für die Kunst gut sein, für
den Schauspieler ist es hart.
Alexander Moissi würde den Amerikanern wahrscheinlichg
gefallen, sicher ist das keineswegs, und darum dürfte ihm ein
Direktor, der ein verständiger Kaufmann ist, außer der freien
Fahrt, für das erste Gastspiel kaum die Hälfte des Honorars
gewähren, das er in Europa bekommt. Soviel ich höre, erhält
Moissi als Gast zirka 1200 Mark pro Abend. Wenn dagegen
Moissi drüben durchgreifende Erfolge hätte, bekäme er bald die
sechsfache Gage, die man ihm hier zahlt, und er könnte in
Amerika schnell ein steinreicher Mann werden.
Die meisten Schauspieler haben jedoch die Gewohnheit, das
ganze Risiko, das mit einem Gastspiel verbunden ist, auf den
Direktor abwälzen zu wollen, und wenn sie das Wort „Amerika“
hören, dann glauben sie, sie müßten gleich beim ersten Abschluß
Millionen auf den Tisch gelegt bekommen. So unterbleiben
manche aussichtsvollen Engagements.
Ich bin — beiläufig gesagt — in dieser Saison auch kein!
Millionär geworden, aber ich hatte sogar mit einem kleinen
Defizit gerechnet und habe einen ansehnlichen Gewinn erzielt, ob¬
wohl neben den natürlichen Schwierigkeiten einer ersten Saison
auch sonst nicht alles nach Wunsch ging. Vor allem hatten wir
einen abscheulichen Blizzard, wie er seit Jahrzehnten nicht da
war. Volle vier Wochen lag der Schnee mannshoch auf den
Sraßen; selbstverständlich stockt da der Verkehr, denn die Menschen
können nicht aus dem Hause, und außerdem haben sie andere
Sorgen, als ins Theater zu gehen. Ein deutscher Theaterleiter
hat in New=York auch aus dem Grunde einen schweren Stand,
weil er ein großes Ensemble mit sich führen muß — er muß
für alle Fälle, Krankheit der Mitglieder, Kontraktbrüche und der¬
gleichen, gewappnet sein, denn er kann natürlich keinen Ersatz
schaffen, es gibt keinen Schauspielermarkt wie hier, man ist wie
auf einer einsamen Insel.
Der deutsche Theaterdirektor hätte es drüben auch dann
etwas leichter, wenn die deutschen Dichter und die deutschen
Verleger endlich einsehen wollten, daß die Aufführung ihrer
Stücke in deutscher Sprache die englischen Aufführungen durchaus
nicht schädigt, sondern ihnen nur nützt. Die englischen Bühnen¬
leiter sind glücklich, wenn sie die Stücke, die sie aufführen wollen,
zunächst auf der deutschen Bühne sehen, wenn sie auf solche Art
zu beurteilen vermögen, was sich aus dem Stücke auf der Szene
machen läßt.
Gegenwärtig machen die englischen Theaterdirektoren folgen¬
des: Zum Beispiel zahlt Herr Schuberts, einer der größten
unter ihnen, eine Kaution von 5000 Mark dafür, daß er „Hans
Sonnenstößers Höllenfahrt" von Apel oder „Nur ein Traum“
von Lothar Schmidt innerhalb drei Jahren aufführen wird. Dann sk
paßt es Schuberts aus irgendwelchen Gründen nicht, die Stücke
zu spielen. Er hat ja seinen Zweck erreicht, wenn er der Kon¬
kurrenz einen guten Braten wegschnappt, er läßt die Kaution,:
eine wahre Kleinigkeit für den Millionär, der hundert englische
Theater hat, verfallen, und der Autor hat außer den 5000 Mark!:
das Nachsehen, denn nach drei Jahren ist das Stück für amerika¬
nische Begriffe veraltet. Hat aber eine deutsche Aufführung einen
anständigen Erfolg, dann ist es sicher, daß sich Schuberts oder
Vellasco 2c. das Stück zu ganz anderen Bedingungen — unter
anderem mit einer Aufführungsverpflichtung — sichern.
Dazu kommt noch, daß das deutsche Theater in New=York
der englischen Bühne keine wirksame Konkurrenz machen
kann. Denn die fünfzigmalige Aufführung eines Stückes in
deutscher Sprache ist etwas Ungewöhnliches. Ich hatte in dieser
Saison einen ganz großen Treffer gezogen: „Kasernenluft“ von
Stein und Söhnge, ein Militärdrama, das in der Mannschaft
spielt, ein sozusagen mit dem Hammer zurechtgemachtes Stück, aber
keineswegs ein ordinärer Reißer, denn die Sthilderung des Milieus
ist glänzend. Das ist etwa sechzigmal gegangen. Gute Erfolge
hatte ich noch mit Goethes „Faust“, dann mit Bernard Shaws
„Pygmalion“ mit Ibsens Stützen der Gesellschaft“, und nächst
„Kasernenluft“ zog am meisten Artur Schnitzlers „Pro¬
fessor Bernhardi“. Schnitzler stelle ich übrigens unter
den zeitgenössischen Dichtern am höchsten; ich bin auch ein Ver¬
ehrer von Hermann Bahr, dessen Stücke imwer amüsant sind.
Unter den deutschen Dichtern ist in Amerika keiner so vopulär