II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 446

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25 Rernhandi
box 31/2
Die Zein, Wien
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Tgeater und Kana.
2
„Professor Bernhardi.“
im Deutschen Bolks¬
(Erstaufführnn
theater.)
eo- Einiges von weittragender Beden¬
tung hat sich ereignet, Throne haben stürzen,
Reiche entstehen und vergehen müssen, ehe die
erste Aufführung von ArthurScuitlers
Komödie „Professor Bernhardi“ in Wien
möglich werden konnte. Sieben Jahre — aber
welche Jahrel — liegen zwischen dem Erscheinen
des Buches und gestern. Der Fall Bernhardi war
einmal eine große politische Affäre bei uns:
sogar die geplante Aufführung in Preßburg vor
geladenen Gästen wurde durch „höhere“ Gewalt
verhindert, und die politischen Parteien von
rechts und von links schlugen förmliche Schlachten
um diese so vornehm und so taktvoll kühne
Komödie. Wenn man jetzt die „Freiheiten“ er¬
lebt, die wir uns erst durch Weltkrieg und
Revolution erobern mußten, fühlt man so recht
die Beschämung der Vormundschaft, unter der
wir nun zusammengebrochen sind. Man darf die
Gefahren, vor denen sie uns bewahrt hat, wirklich
nicht mit denen vergleichen, denen sie uns aus¬
ungerecht
geliefert hat, sonst müßte man
werden.
Schnitzler versucht in seinem Professor
Verhardi einen Arzt zu zeigen, der zum
Politiker oder Märtyrer einer Weltanschauung
weder Lust noch Veranlagung hat. Er ver¬
weigert dem Priester, der einer Sterbenden die
letzte Delung erteilen will, den Eintritt zu der
Kranken, weil diese keine Ahnung hat, daß sie
sterben muß, sondern im Gegenteil von dem
Glücksgefühl sicherer Genesung erfüllt ist.
Dieser Arzt ist ein Jude. Klerikale und Anti¬
semiten bemächtigen sich des Falles. Der stark
opportunistische Minister für Kultus und
Unterricht gibt den Freund bei einer Inter¬
pellationsbeantwortung im Abgeordnetenhaus
preis, weil er es sich mit den Klerikalen nicht
verderben darf, die Anklage wegen Religions¬
störung wird erhoben, Professor Bernhardi zu
#wei Monaten Kerker verurteilt. Am Tage, da
er das Gefängnis verläßt, stellt sich seine
Unschuld heraus. Die Kronzeugin der Anklage
hat in der Beichte gestanden, daß ihre Aussage,
Vernhardi habe den Priester mit Gewalt am
Bekreken des Krankenzimmers verhindert, eine ##
falsche war. Nichts steht der Wieberaufnahme
des Prozesses entgegen, aber Bernhardi erachtet
den Fall für sich als erledigt. Er ist kein Kämpfer,

er war nur ein Opfer, er will nicht mehr in
den Gerichtssaal, sondern nur zurück zu seiner
Arbeit.
Schnitzler hat sich seine Arbeit nicht leicht
gemacht. Er hat Licht und Schatten mit
Fußerster Delikatesse zu verteilen versucht, das
Tema, das er selbst anstimmt, und die Beglei¬
tung, die von der Umgebung beigestellt wird,
möglichst streng auseinander gehalten. Die
Figuren sind meisterhaft nach dein Leben ge¬
zeichnet. Die technische Führung der Aus¬
einandersetzung über den Fall ist von einer
künstlerischen Vollendung, die über die
Handlungsarmut von vier Akten glänzend hin¬
weghilft.
Die Aufführung des Deutschen Volks¬
theaters war eine ausgezeichnete, man merkte
ihr die unfreiwillige Muße sehr vorteilhaft an,