ein Glückstraum von Wiedergenesung und neuem
Leben. Euphorie — so nennt der Arzt diese wunder¬
same Heiterkeit der Seele, unmittelbar vor ihrem Er¬
löschen. Es ist ihr letzes Glücksgefühl, das ihr nicht
verbittert werden soll. Und so stirbt das Mädchen
ohne die Tröstungen der Religion. Hat Professor
Bernhardi bei aller Reinheit seiner Absichten mit
Takt, mit Maß und mit feinsühligem Verständnis
der Psyche des Mädchens gehandelt, die durch die
seelische Zucht einer ihm fremden religiösen Lehre
ihre Färbung und Prägung empfing? Diese Fragen,
die zugleich Einwände sind, verleihen den gegen ihn
erhobenen Anklagen Gewicht. Aber diese Anklagen,
in die Oeffentlichkeit und in das Parlament
hinausgetragen, durch der Parteien Haß und!
Mißgunst verwirrt und verzerrt, entwickeln
sich rasch zu einer regelrechten, wüsten Hetze
gegen Professor Berhardi, der schließlich wegen?
Religionsstörung zu einer Gefängnisstrafe von zwei
Monaten verurteilt wird. Er hüßt die Strafe ab.
2
Liberale Blätter und „Freidenker aus der
Brigittenau“ wollen ihn nun als Märtyrer seiner
Ueberzeugung feiern. Professor Bernhordi winkt
entschieden ab. Er ist kein Kämpfer! Er hat nicht für
seine Ueberzeugung geblutet! Er erblickt in dieser
Angelegenheit überhaupt kein Politikum, keine
Gewissensfrage. Sie erscheint ihm bloß als unlieb¬
same Unterbrechung seiner ärztlichen Tätigkeit und
wissenschaftlichen Forschung. Er hat nur in einem
speziellen Falle das geran, was er für das Richtige
hielt. Das führt er dem Hofrat Winkler, hinter dessen
Zügen Max Burckhardt durchschimmert, zu Gemüte.
Und dieser Hofrat, der seinem Chef, dem in gedämpft
liberalen und sanft abgetönten klerikalen Farben
schillernden Unterrichtsminister Flint, ruhig ins
Gesicht sagt, daß man als Beamter entweder ein
Anarchist oder ein Trottel sein muß, erklärt dem
Professor Bernhardi: „Ich hätte in Ihrem Falle
vielleicht ebenso gehandelt wie Sie, aber dann wäre
ich grad so ein Viech gewesen wie Sie.
Mit diesen Worten endigt das Werk. Sie sind
bezeichnend. Also kein Kampf= und kein Problem¬
stück, aber eigentlich auch nicht ein Tendenzstück aus
einem Guß und mit einer geraden, glatten Wurf¬
richtung. Schnitzler ist keiner Partei eingeschworen
und zeigt in allen Lagern das Allzumenschliche in
seinen vielfachen Abstusungen bis zur „selbstlosen
Gemeinheit“. Zur großen Satire fehlt der Komödie
die Entrüstung. Indignatio fecit versum.“ Die Ent¬
rüstung hat meinen Vers geprägt! So schrieb
Juvenal, einer, der es wußte. Das Werk ist im
letzten Grunde das Erzeugnis einer scharfen
Intellektualität, einer sehr feinen, aber an der Ober¬
fläche hingleitenden ironischen Welt= und Menschen¬
betrachtung, ohne mitreißende innerliche Ergriffen¬
heit und darum auch ohne dramatisches Rückgrat und
ohne dramatischen Schwung. Man vergleiche Ibsens
„Vottsfeind“, der ja auch ein Arzt ist, mit dem Pro¬
fessor Bernhardi — und der Gegensatz zwischen
dichterischer Glut und kühl=ironischer Skepsis springt
lebendig ins Ange.
Will man übrigens Professor Bernhardi aus
seinem Wesenskern heraus verstehen, so muß man an
seine Vorgeschichte denken, die allerdings in der
Komödie verschwiegen wird. Ex hieß in seiner Jugend
Anatol, der, nachdem er sich satt geliebt, mit heißem
Bemühen medizinische Studien getrieben. Nun ist er
— er hat es weit gebracht — eine Zierde der medizini¬
schen Fakultät, ein vornehmer, gütiger Arzt und ein
abgeklärter Familienvater. Aber wenn eine ernste
Gewissensfrage an ihn herantritt, deren Lösung
einen ganzen Mann fordert, dann erwacht der alte
Anatol in ihm, und er denkt lächelnd an die Weisheit
jenes Rufes, den er in den Vorstädten, wo er einst¬
mals geliebelt, gehört: „Verkauft's mei G’wand,
i fahr' in Himmel!“
Das Publikum hat der Komödie eine sehr
warme Aufnahme bereitet. So mancher Hieb, der
früher gesessen hätte, erschien allerdings jetzt als ein
Lufthieb, Der stürmische Beifall, der Schnitzler)
1
Apfingen Darch die Werteh
Homma, Forest, Götz, Kutschera, Elfeld,
Golthaber und Askonas eindringliche
Lebendigkeit.
Marco Brociner.
3t2 19/8
Der Morgen Wien
Deutsches Volkstheater.
Samstag ist hier in Verbrechen der Zensur in seiner
ganzen Schwere aufgedeckt worden, nicht ein politisches
obgleich der Dolus ein politischer war — sondern ein künst¬
lerisches. Die alte österreichische Behörde hat verhindern wollen,
daß auf der Tribüne des Theaters von der Befreiung aus
der Sklaverei des unbedingten Machtschutzes der Staatskirche
auch nur gesprochen werde, wirklich verhindert aber hat sie nur
die künstlerische Befreiung eines Dichters. Der Ausschluß von
der Wiener Bühne hat Schnitzlers Entwicklung arg gehemmt.
Wäre ihm der Zeusor nicht gerade auf diesem Kreuzweg mit
seinem „Zoruck“ entgegengetretnen, dann wäre er wahr¬
scheinlich niemals wieder den alten Weg zur „Komödie der
Worte“ gegangen. Daß der Klerikalismus die Ablenkung der
Geister ins Erotische immer protegiert hat, ist freilich eine
alte Erfahrung. Er ist ein Verführer und ein Verderber, wie
immer auch die Kirche heißen mag, deren Interessen er dient.
Schnitlers, „Professor Bernhardi“ ist natürlich
ein-enbenzstück, nicht eine bloße Wienerische Komödie und
nicht eine Satire.Aber es ist vor allem das Werk eines
Dichters, und zwar das künstlerisch stärkste, reinste und tiefste
Schnitzlers. Es ist die Befreiung von der Anatol=Erbschaft,
die Befreiung in einem kühnen und edlen Wurf. Gerade da¬
durch, daß den Helden bei seiner Tat — die Freunde und
Feinde in ihren Voraussetzungen, Beweggründen und Folgen
verfälschen — keine Tendenz leitete, wird die Tendenz des
Dichters am reinsten und schärfsten zum Ausdruck gebracht:
die rein menschliche, politisch voraussetzungslose Tat wird vor
den Zerrspiegel unseres gesellschaftlichen und politischen Le¬
bens gestellt. Daru., darf der „Täter“ nur Mensch und Arzt
sein, von keinerlei Tendenz etwas wissen wollen, dann erst“
kommt die Wahrheit zur vollen Geltung, daß das, was Ver¬
fechter des Forschens und des Glaubens „wahrscheinlich für
alle Zeit trennen muß, nicht Feindseligkeit, sondern etwas
von höherer und hoffnungsloserer Art ist“. — In der Zeich¬
nung der Charaktere wie der Figuren und in der technischen
Durcharbeitung ist diese Komödie das Meisterwerk des
reiften Schnitzler; hoffentlich findet der Dichter jetzt zu dieser
Höhe zurück.
In der glänzenden Aufführung lohnte sich unermüdliche
Probenarbeit reichlich. Direktor Bernaus „Bernhardi“ ist
wohl die höchste Leistung, die einem Nichtschauspieler durch „
Intelligenz und künstlerischen Willen gelingen kann. Niemand'
kann uns diese Figur besser zeigen. Es bleibt nur ein zas¬
hafter Wunsch zurück: sie auch erleben zu dürfen.
Leben. Euphorie — so nennt der Arzt diese wunder¬
same Heiterkeit der Seele, unmittelbar vor ihrem Er¬
löschen. Es ist ihr letzes Glücksgefühl, das ihr nicht
verbittert werden soll. Und so stirbt das Mädchen
ohne die Tröstungen der Religion. Hat Professor
Bernhardi bei aller Reinheit seiner Absichten mit
Takt, mit Maß und mit feinsühligem Verständnis
der Psyche des Mädchens gehandelt, die durch die
seelische Zucht einer ihm fremden religiösen Lehre
ihre Färbung und Prägung empfing? Diese Fragen,
die zugleich Einwände sind, verleihen den gegen ihn
erhobenen Anklagen Gewicht. Aber diese Anklagen,
in die Oeffentlichkeit und in das Parlament
hinausgetragen, durch der Parteien Haß und!
Mißgunst verwirrt und verzerrt, entwickeln
sich rasch zu einer regelrechten, wüsten Hetze
gegen Professor Berhardi, der schließlich wegen?
Religionsstörung zu einer Gefängnisstrafe von zwei
Monaten verurteilt wird. Er hüßt die Strafe ab.
2
Liberale Blätter und „Freidenker aus der
Brigittenau“ wollen ihn nun als Märtyrer seiner
Ueberzeugung feiern. Professor Bernhordi winkt
entschieden ab. Er ist kein Kämpfer! Er hat nicht für
seine Ueberzeugung geblutet! Er erblickt in dieser
Angelegenheit überhaupt kein Politikum, keine
Gewissensfrage. Sie erscheint ihm bloß als unlieb¬
same Unterbrechung seiner ärztlichen Tätigkeit und
wissenschaftlichen Forschung. Er hat nur in einem
speziellen Falle das geran, was er für das Richtige
hielt. Das führt er dem Hofrat Winkler, hinter dessen
Zügen Max Burckhardt durchschimmert, zu Gemüte.
Und dieser Hofrat, der seinem Chef, dem in gedämpft
liberalen und sanft abgetönten klerikalen Farben
schillernden Unterrichtsminister Flint, ruhig ins
Gesicht sagt, daß man als Beamter entweder ein
Anarchist oder ein Trottel sein muß, erklärt dem
Professor Bernhardi: „Ich hätte in Ihrem Falle
vielleicht ebenso gehandelt wie Sie, aber dann wäre
ich grad so ein Viech gewesen wie Sie.
Mit diesen Worten endigt das Werk. Sie sind
bezeichnend. Also kein Kampf= und kein Problem¬
stück, aber eigentlich auch nicht ein Tendenzstück aus
einem Guß und mit einer geraden, glatten Wurf¬
richtung. Schnitzler ist keiner Partei eingeschworen
und zeigt in allen Lagern das Allzumenschliche in
seinen vielfachen Abstusungen bis zur „selbstlosen
Gemeinheit“. Zur großen Satire fehlt der Komödie
die Entrüstung. Indignatio fecit versum.“ Die Ent¬
rüstung hat meinen Vers geprägt! So schrieb
Juvenal, einer, der es wußte. Das Werk ist im
letzten Grunde das Erzeugnis einer scharfen
Intellektualität, einer sehr feinen, aber an der Ober¬
fläche hingleitenden ironischen Welt= und Menschen¬
betrachtung, ohne mitreißende innerliche Ergriffen¬
heit und darum auch ohne dramatisches Rückgrat und
ohne dramatischen Schwung. Man vergleiche Ibsens
„Vottsfeind“, der ja auch ein Arzt ist, mit dem Pro¬
fessor Bernhardi — und der Gegensatz zwischen
dichterischer Glut und kühl=ironischer Skepsis springt
lebendig ins Ange.
Will man übrigens Professor Bernhardi aus
seinem Wesenskern heraus verstehen, so muß man an
seine Vorgeschichte denken, die allerdings in der
Komödie verschwiegen wird. Ex hieß in seiner Jugend
Anatol, der, nachdem er sich satt geliebt, mit heißem
Bemühen medizinische Studien getrieben. Nun ist er
— er hat es weit gebracht — eine Zierde der medizini¬
schen Fakultät, ein vornehmer, gütiger Arzt und ein
abgeklärter Familienvater. Aber wenn eine ernste
Gewissensfrage an ihn herantritt, deren Lösung
einen ganzen Mann fordert, dann erwacht der alte
Anatol in ihm, und er denkt lächelnd an die Weisheit
jenes Rufes, den er in den Vorstädten, wo er einst¬
mals geliebelt, gehört: „Verkauft's mei G’wand,
i fahr' in Himmel!“
Das Publikum hat der Komödie eine sehr
warme Aufnahme bereitet. So mancher Hieb, der
früher gesessen hätte, erschien allerdings jetzt als ein
Lufthieb, Der stürmische Beifall, der Schnitzler)
1
Apfingen Darch die Werteh
Homma, Forest, Götz, Kutschera, Elfeld,
Golthaber und Askonas eindringliche
Lebendigkeit.
Marco Brociner.
3t2 19/8
Der Morgen Wien
Deutsches Volkstheater.
Samstag ist hier in Verbrechen der Zensur in seiner
ganzen Schwere aufgedeckt worden, nicht ein politisches
obgleich der Dolus ein politischer war — sondern ein künst¬
lerisches. Die alte österreichische Behörde hat verhindern wollen,
daß auf der Tribüne des Theaters von der Befreiung aus
der Sklaverei des unbedingten Machtschutzes der Staatskirche
auch nur gesprochen werde, wirklich verhindert aber hat sie nur
die künstlerische Befreiung eines Dichters. Der Ausschluß von
der Wiener Bühne hat Schnitzlers Entwicklung arg gehemmt.
Wäre ihm der Zeusor nicht gerade auf diesem Kreuzweg mit
seinem „Zoruck“ entgegengetretnen, dann wäre er wahr¬
scheinlich niemals wieder den alten Weg zur „Komödie der
Worte“ gegangen. Daß der Klerikalismus die Ablenkung der
Geister ins Erotische immer protegiert hat, ist freilich eine
alte Erfahrung. Er ist ein Verführer und ein Verderber, wie
immer auch die Kirche heißen mag, deren Interessen er dient.
Schnitlers, „Professor Bernhardi“ ist natürlich
ein-enbenzstück, nicht eine bloße Wienerische Komödie und
nicht eine Satire.Aber es ist vor allem das Werk eines
Dichters, und zwar das künstlerisch stärkste, reinste und tiefste
Schnitzlers. Es ist die Befreiung von der Anatol=Erbschaft,
die Befreiung in einem kühnen und edlen Wurf. Gerade da¬
durch, daß den Helden bei seiner Tat — die Freunde und
Feinde in ihren Voraussetzungen, Beweggründen und Folgen
verfälschen — keine Tendenz leitete, wird die Tendenz des
Dichters am reinsten und schärfsten zum Ausdruck gebracht:
die rein menschliche, politisch voraussetzungslose Tat wird vor
den Zerrspiegel unseres gesellschaftlichen und politischen Le¬
bens gestellt. Daru., darf der „Täter“ nur Mensch und Arzt
sein, von keinerlei Tendenz etwas wissen wollen, dann erst“
kommt die Wahrheit zur vollen Geltung, daß das, was Ver¬
fechter des Forschens und des Glaubens „wahrscheinlich für
alle Zeit trennen muß, nicht Feindseligkeit, sondern etwas
von höherer und hoffnungsloserer Art ist“. — In der Zeich¬
nung der Charaktere wie der Figuren und in der technischen
Durcharbeitung ist diese Komödie das Meisterwerk des
reiften Schnitzler; hoffentlich findet der Dichter jetzt zu dieser
Höhe zurück.
In der glänzenden Aufführung lohnte sich unermüdliche
Probenarbeit reichlich. Direktor Bernaus „Bernhardi“ ist
wohl die höchste Leistung, die einem Nichtschauspieler durch „
Intelligenz und künstlerischen Willen gelingen kann. Niemand'
kann uns diese Figur besser zeigen. Es bleibt nur ein zas¬
hafter Wunsch zurück: sie auch erleben zu dürfen.