25 Prefessen-Bernhandi
„Der Aben*“ 230r7 10-6
Theater und Kunst.
Ein Stück von gestern.
Arlur Schnitzler,s „Professor Bernhardi“ im
Prutschen Volkstheater.
„Professor Berzhardi“ ist eine tendenziöse Komödie von
gestern. „Vor#ch Jahren hätte sie Wunder gewirkt, heute
erweckt sie (Bldotspruch; daran trägt die endlich, in diesem
Falle leider zu spät befeitigte Zensur schuld.
Professor Bernhardf verwehrt dem Priester, an das
Bett einer Todkranken zu treken, der das letzte Aufflackern der
Lebensgeister, die Hoffnung des Gesundwerdens vorgankelt.
Die Wiener Öffentlichkeit erfährt von diesem Vorfall; das
übrige läßt sich an den Fingern ausrechnen. Bernhardi wird
vom Dienste enthoben, die Hyäuen der Politik schreien sich
im Parlament heiser, er wird von Gerichts wegen verurteilt
und schließlich entschädigt. Der Stoff schreit nach dem Tendenz¬
stück großen Stiles. Artur Schnitzler steht auf dem Pro¬
gramm. Arthur Schnitzler, der Schilderer Wiener Zustände.
Das rechtfertigt die Wandlung ins Komödienhafte. Sie wird
tatsächlich ermöglicht, weil Professor Bernhardi Jude ist; das
pervielfältigt die oberflächlichen Möglichkeiten des Konflikts.
Es trübt die Tendenz ungemein, ein zweites tendenziöses Ele¬
ment treibt Blasen, verhindert den klaren Blick in die Tiese
des Problems.
Das sozialkritische Gefühl Schnitzlers wird nie bis zun
Siedepunkt erhitzt. Manchmal scheint es, als ob seine Gestalte
zuviel Hirn hätten und zu wenig Herz. Es gibt etwas wi
eine große Szene im Stück. Der Priester fühlt sich verpflichte
den verurteilten Gegner aufzusuchen. Ein Wortgefecht zwei
durch einen Abgrund getrennter Weltanschauungen hebt a
Kein lautes Wort poltert, kein Gefühlsausbruch geschie
Jeder Satz ist glatt geschlissen, das Zwiegespräch blinkt u.
gleißt von vervielsachter Geistigkeit, die Erwartung wird aufs
hächste gespannt: es ist eine zahme Szene. eine Auseinander¬
setzzing zwischen Menschen mit gebändigtem Verstand Wir
sind bemüht worden, die Erwartung wurde angenehm ent¬
täuscht, der fesselnde Dialog macht die dramatischen Schwächen
pergessen.
Den Gegenwartswert dieser ärztlichen Standeskomödie
fechte ich an. Die Revolution hat auch dieses Stück, wie so
piele andere entwertet.
Adolf Molte¬
box 31/2
CöUtZ 19 70
WENER ZEITLINg
(Deutsches Volkstheater.) Vorgestern konnte
das bisher durch behördliche Verfügung von der Bühne
ferngehaltene streitbare Arztestück Artur Schnitzlers.1:
die Komödie „Professor Bernhardi“, zum
ersten Male in Wien öffentlich gespielt werden. Aus
der umfänglichen Buchausgabe und durch eine Vor¬
lesung Ferdinand Onnos ist das Werk gleichwohl dem
literarisch interessierten und auch dem bloß neugierigen
Teile des Publikums bekannt. Schnitzler, der Sohn
eines angesehenen Wiener Arztes und selbst Arzt,
kennt die Umwelt genau, die sein satirischer Stift zu
schildern unternimmt. Die Lokalsarbe ist echt. Eine
lange Reihe scharf gesehener Typen holt er mit kecken
Grissen mitten aus der Wirklichkeit heraus und geup.
piert sie geschickt um ein findig konstruiertes Motiv.
Im Grunde handelt es sich hier um das, was Kant
als den „Streii der Fakultäten“ bezeichnete. Die Medi¬
zin ist mit der Theologie in Konflikt geraten. Ein Arzt
hält es mit seiner Berufspflicht und seinem Gewissen
für unvereinbar, den Priester an das Lager einer
Sterbenden zu lassen, die in „Euphorie“ liegt. Das
ist ein letzter, beseligenber, flüchtiger Glückszustand,
Wiener Abendvon N. 20—
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der, körperliches Vohlbehagen vortäuschend, den
raschesten Kräfteverselle vorausläuft. Die Kranke stirb
ohne Beichte und Absolution. Für solches Verhalten
des Mannes der Wissenschaft gibt es vom Stand¬
punkte des gläubigen Christen keine Rechtferigung.
Aber ebenso unverantwortlich ist die Art, wie dann
daraus gierig politisches Kapital geschlagen, wie das
Tatsächliche durch lügenhafte Intrigen, gröbliche Ent¬
stellungen, von Neid und niedriger Sireberei aufge
sbauscht und umgebogen wird. Bernhardi wird vom
Gericht mit zwei Monaten Haft bestraft. Schnitzler hat
mit großem Geschick seinen heiklen Stoff in mancherlei
Beleuchtungen gerückt und es unternommen, Bespre¬
chungen, Erörterungen, Glossierungen den Anschein
lebendiger dramatischer Vorgänge zu geben Anzuer¬
kennen bleibt sein Geschmack, der große Stimmungs¬
mache und wohsseile Effekthascherei möglichst meidet.
An beweglichem Geist gebricht es diesem Stücke keines¬
swegs; zuletzt hebt es sich gar selbst ironisch
sauf. Was aber verhindert, daß man seiner
vom Herzen froh, werde, ist das spektatelnd
[Tendenziöse, das der ganzen Materie anhaftet, und
zman möchte fast mit dem Patriarchen aus „Nathan“
ssprechen: „... ist der vorgetrag'ne Fall nur so ein
Spiel des Witzes: so verlohnt es sich der Mühe nicht,
im Ernst ihn durchzudenken. . .“ Die Tarstellung trach¬
stete, das Darstellbare, das theatralisch Mögliche, heraus¬
zzubringen, was ihr zumeist auch ganz wohl gelang.
Direktor Vernau ist ein bühnengewandter Mann.
Sein Bernhardi ist sympathisch in der Haliung, nur
setwas zu trocken im Ton; norddeutsche Kühle enisrem¬
dete. Herr Onno gab den jungen Priester mit emp¬
findungsvoller Feinheit, mit zurückhaltnder, scheuer
Nobiesse und ohne flackernde Unruhe. Here Götzer¬
swies sich wieder einmal als vornehmer Charakteristiler.
sund Herr Forest ließ seine humoristischen Gaben er¬
Ifreulich walten. Herr Kutsthera stellt derb polternde
Redlichkeit nach altestem Theaterrezepi her. Das Stück
hatte einmütigen Beifall, und der Tichter durste sich
oft dankend zeigen.