25. ProfessorBernhandi
3U11 1978
Senn- u. Mostags Zailung, Wien
—
(Deutsches Volkstheater. —Volksbühne.) Nun hat auch
das Wiener Publikum Schnitzlers Komödte Nrofpssor Bern¬
hardi“ kennen gelernt. Diese gewit sehn gesteikt gezimmer¬
ten fünf Akte sind trotz des jseiberteitigen Zeufurverbotes
nicht übermäßig aufregend. Die großen artistischen Quali¬
täten des Wiener Dichters kommen voll zur Geltung. Man
erkennt seine scharse Beohachtungsgabe, seine Fählgkeit, Men¬
schen dichterisch zu sezieren, sie gegeneinanderzustellen und
im flüssigen Dialog ihr innerstes Wesen aufleuchten zu lassen.
Die warme, starke Menschlichkeit Schnitzlers treibt gleich einem
Springbrunnen leuchtende Raketen, die auch ihre Wirkung
auf die empfängliche Galerie nicht verfehlten. Ueheraus
sympathisch berührt auch seine loyale Unparteilichkeit, mit
der er Licht und Schatten verteilt. Keine Partel, keine Kon¬
fession, kein polltisches Bekenntnis kommt zu kurz oder
wird auf Kosten der anderen Schale der Wage übermäßig
belastet. Damit sind aber die Vorzüge des Werkes wirklich
erschöpft. Eine konzise Handlung liegt nicht vor. Es wird
unendlich viel gerebet, und man kann nicht behaupten, daß
die Gespräche über Religion, Politik, Pflichten und die an¬
deren nicht obligaten Schulgegenstände das Niveau der
besseren Stadtjours — seligen Angedenkens — wesentlich
übersteigen. Charakterisierungsmittel? Wahrscheinlich! Aber
schließlich auch charakteristisch für den Verfasser. Peinlich
wirkt auch das technische Detail, daß kaum ein Mensch die
Bühne betritt, der nicht vorher seine Visitkarte hereingeschickt
hätte, Gewiß durch das Milieu bedingt; trotzdem kann man
sich des Eindruckes der Unbeholfenheit nicht entziehen. Das
Deutsche Volkstheater hat sich dieses Stückes mit großer
Liebe angenommen. Herr Bernau spielt die Hauptrolle;:
breit, massig, auf festen Beinen. Nicht unsympathisch, aber
auch nicht von jener penetranten Eigenart, die das Vordringen;
des Direktors auf den ersten Platz rechtsertigen würde. Pracht¬
voll Herr Edthofer, man kann nicht mit weniger Mit¬
teln einen ganzen Menschen auf die Beine stellen. Herr
Homma ist der geborene Intrigant; von geradezu hassens¬
werter Echtheit. Lebendig die Herren Kutscher a, Fürth,
unnachahmlich grotesk. Forest, das ganze Ensemble der
Herren Onno, Elfeld, Goetz, Stein, Dietz und alle
anderen auf das eifrigste bemüht, die Szeue plastisch und
interessant zu gestalten.
Die „Volksbühne“ hat sich eine Dramatisierung Tok¬
stols „Die Kreutzersonate“ geleistet, über die nicht viel
Gutes zu sagen ist. Ihre beste Qualität ist, daß sie Rudolf.
Schildkrant wieder einmal Gelegenheit gibt, eine seiner
kernigen Figuren zu schaffen. Virtnos und voll lebendigster,
echter Kraft ist diese seine Art, das männliche Tier in allen
seinen Eifersuchts= und Affektsemanationen darzustellen. Auf.
diesem Gebiete ist er ein unübertrefflicher Meister. Der junge
Schildkraut, Marietta Weber, Frl. Fasser, Egon
Fridell sekundierten, beziehungsweise teilten sich in die
mit wenig technischer Geschicklichkeit zusammengeschusterten,
Rollen aus dem berühmten Romane des russischen Dichters.
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Münene
München
Kunst und Wissenschaft.
dt. [„Professor Bernhardi.“] Unser Wiener Korrespon¬
dent telegraphiert uns: Arthur Schnitzlerz, Komodie
„Professor Bernhardi“, die Jährelangs in Wien
verboten war, erschien jetzt zum erstenmal auf der Buhne
des Deutschen Volkstheckters. ### wirkie zündend.
Die hohe Ueberlegenheit, in An dau##Dichter mit der
politischen Lüge abrechnet, dad ####Menschentum, zu
dem sich das Stück über #lle Tendettweg erhebt, ubten
einen ungetoöhnlich starken Eindruck aus. Schnitzler
wurde beinbelt.
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Wielt # 3PEZ 1976
Wien.
(Deutsches Volkstheater.) Zum erstenmal: „Profe
sor Bernhardi“, Schauspiel in fünf Akten von Arthur
Schnitzler-Professor Bernhardi, Jube, verweigert dem
kathokischen Priester Zutritt an ein Sterbelager. Das tut er
um der Euphorie der Sterbenden Willen. Und der akatho¬
lische Zuschauer sagt zu des Professors Menschenfreundlich¬
keit Bravo. Der Priester kann naturgemäß nicht Bravo
sagen, denn für ihn steht die Sache so, daß der Professor
der Sterbenden, um ihr das letzte irdische Viertelstündchen:
zu erleichtern, die nachirdische Ewigkeit wesentlich erschwert
hat. Also kann ein Katholik, der glaubt, wohl behaupten, daß
der Professor Bernhardi nicht menschenfreundlich gehandelt
hat. Und Katholiken müssen solcher Behauptung ihr Bravo
spenden. Der Konflikt ist ein reiner Glaubenskonflikt. Als
solcher kommt er im Schnitzlerschen Stück nicht zur Aus¬
tragung, kaum zur Sprache. Sondern eine Welle der un¬
reinen, die Stadt (die Stadt Wien) durchspülenden politi¬
schen Kanalwässer greift den Fall und zieht ihn in den ge¬
wissen „Strudel“ hinab. Neider, Intriganten, Böslinge,
Streber, Jesuiten und Talnudisten veranstalten eine Hetz¬
jagd gegen den Professor: Biedere, Gerechte, unbedingt
Kreuzbrave — ich brauche nicht zu sagen, daß ihr Wortführer
im Deutschen Volkstheater Herr Kutschera — stehen ihm
bei. Wir lernen Individuen kennen. Zum Beispiel: den
Unterrichtsminister, der seine Ueberzeugung um seiner
Ueberzeugung willen des Oefteren verrät, ins Geschäft der
Wahrheit Lügen investiert. (Das tut übrigens vor Gericht,
welches den Professor wegen Religionsstörung in den Arrest
schickt, auch der Priester.) Oder den gutartigen, frivolen
Hofrat, welcher in einem Nihilismus der Witzigkeit geistig¬
moralischen Unterstand gefunden hat. Oder Bernhardi
selbst, dem die Abweisung des Priesters eine Reflexbewegung
war und der sich nun dagegen wehrt, daß von Feind oder
Freund eine große programmatische Geste daraus gemacht
werde. Eine Persönlichkeit ist der Professor gerade nicht.
Aber offenbar sollte er das gar nicht sein, sondern schlecht¬
weg ein redlicher, gescheidter, wirkender Mann mittleren
Formats. Als solcher spielt ihn auch Herr Bernau, weich
in den Konturen, mit bescheidenen Mitteln inneren „Kern“
andeutend. Mit Kunst hat das Schnitzlersche Stück nichts zu
tun. Es ist eine sauber geflochtene, breite, fädenreiche De¬
batte, hineingewirkt Figuren und Bildchen aus dem politi¬
schen Wien von 1900. Die Szene Bernhardi=Priester, in der
das Stück sich vom Boden lösen und in kühlere, dunstlose
Regionen aufschweben will, erfüllt nicht ganz ihren Zweck.
Sie weht nur ein Düftchen besserer Schnitzlerscher Melan¬
holie heran. Gut dargestellt — Onno, Götz, Homma,
Edthofer, Fürth — hatte der Diskussionsabend, mit!
gesprengten Zensurfesseln leise klirrend, mächtige Publikums¬
wirkung. Die Zuhörer wurden der noblen Schnitzlerschen
Art, empfindliche Stellen zu berühren, ohne daß die Be¬
rührung tief ginge oder weh täte, dankbarst froh. A. p
T. SLEEROER:O 5
BEDIINER TAGBLAT
□ Schnitzlers „Professor Bernhardl“ in Wien. Felix
Halten telegraphiert uns aus Wien Arthur Schnitzlers Ko¬
mödie „Profissei Bernhardi“, die jahrelang in Wien ver¬
boten war erschien zum erstenmal auf dem Podium des Deut¬
schen Volkstheaters. Hier in Wien, wo die Zustände, die
Schnitzler zeichnet, in üppiger Blüte stehen, wirkte das Stück einfach
zundend. Die hohe Ueberlegenheit, in der da ein Dic
her mnst der. —
1
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politischen Lüge abrechnet, das reine Menschentum, zu dem sich das
Stuck über alle Tendenz hinweg erhebt, abten enen ungewöhnlich “
starken Eindruck. Schnitzler wurde stürmisch gerusen und beinbelt“
— „ kt „ 0l. 44za
3U11 1978
Senn- u. Mostags Zailung, Wien
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(Deutsches Volkstheater. —Volksbühne.) Nun hat auch
das Wiener Publikum Schnitzlers Komödte Nrofpssor Bern¬
hardi“ kennen gelernt. Diese gewit sehn gesteikt gezimmer¬
ten fünf Akte sind trotz des jseiberteitigen Zeufurverbotes
nicht übermäßig aufregend. Die großen artistischen Quali¬
täten des Wiener Dichters kommen voll zur Geltung. Man
erkennt seine scharse Beohachtungsgabe, seine Fählgkeit, Men¬
schen dichterisch zu sezieren, sie gegeneinanderzustellen und
im flüssigen Dialog ihr innerstes Wesen aufleuchten zu lassen.
Die warme, starke Menschlichkeit Schnitzlers treibt gleich einem
Springbrunnen leuchtende Raketen, die auch ihre Wirkung
auf die empfängliche Galerie nicht verfehlten. Ueheraus
sympathisch berührt auch seine loyale Unparteilichkeit, mit
der er Licht und Schatten verteilt. Keine Partel, keine Kon¬
fession, kein polltisches Bekenntnis kommt zu kurz oder
wird auf Kosten der anderen Schale der Wage übermäßig
belastet. Damit sind aber die Vorzüge des Werkes wirklich
erschöpft. Eine konzise Handlung liegt nicht vor. Es wird
unendlich viel gerebet, und man kann nicht behaupten, daß
die Gespräche über Religion, Politik, Pflichten und die an¬
deren nicht obligaten Schulgegenstände das Niveau der
besseren Stadtjours — seligen Angedenkens — wesentlich
übersteigen. Charakterisierungsmittel? Wahrscheinlich! Aber
schließlich auch charakteristisch für den Verfasser. Peinlich
wirkt auch das technische Detail, daß kaum ein Mensch die
Bühne betritt, der nicht vorher seine Visitkarte hereingeschickt
hätte, Gewiß durch das Milieu bedingt; trotzdem kann man
sich des Eindruckes der Unbeholfenheit nicht entziehen. Das
Deutsche Volkstheater hat sich dieses Stückes mit großer
Liebe angenommen. Herr Bernau spielt die Hauptrolle;:
breit, massig, auf festen Beinen. Nicht unsympathisch, aber
auch nicht von jener penetranten Eigenart, die das Vordringen;
des Direktors auf den ersten Platz rechtsertigen würde. Pracht¬
voll Herr Edthofer, man kann nicht mit weniger Mit¬
teln einen ganzen Menschen auf die Beine stellen. Herr
Homma ist der geborene Intrigant; von geradezu hassens¬
werter Echtheit. Lebendig die Herren Kutscher a, Fürth,
unnachahmlich grotesk. Forest, das ganze Ensemble der
Herren Onno, Elfeld, Goetz, Stein, Dietz und alle
anderen auf das eifrigste bemüht, die Szeue plastisch und
interessant zu gestalten.
Die „Volksbühne“ hat sich eine Dramatisierung Tok¬
stols „Die Kreutzersonate“ geleistet, über die nicht viel
Gutes zu sagen ist. Ihre beste Qualität ist, daß sie Rudolf.
Schildkrant wieder einmal Gelegenheit gibt, eine seiner
kernigen Figuren zu schaffen. Virtnos und voll lebendigster,
echter Kraft ist diese seine Art, das männliche Tier in allen
seinen Eifersuchts= und Affektsemanationen darzustellen. Auf.
diesem Gebiete ist er ein unübertrefflicher Meister. Der junge
Schildkraut, Marietta Weber, Frl. Fasser, Egon
Fridell sekundierten, beziehungsweise teilten sich in die
mit wenig technischer Geschicklichkeit zusammengeschusterten,
Rollen aus dem berühmten Romane des russischen Dichters.
u ung den de e e ene
Z3ut 1 9
Münene
München
Kunst und Wissenschaft.
dt. [„Professor Bernhardi.“] Unser Wiener Korrespon¬
dent telegraphiert uns: Arthur Schnitzlerz, Komodie
„Professor Bernhardi“, die Jährelangs in Wien
verboten war, erschien jetzt zum erstenmal auf der Buhne
des Deutschen Volkstheckters. ### wirkie zündend.
Die hohe Ueberlegenheit, in An dau##Dichter mit der
politischen Lüge abrechnet, dad ####Menschentum, zu
dem sich das Stück über #lle Tendettweg erhebt, ubten
einen ungetoöhnlich starken Eindruck aus. Schnitzler
wurde beinbelt.
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Wielt # 3PEZ 1976
Wien.
(Deutsches Volkstheater.) Zum erstenmal: „Profe
sor Bernhardi“, Schauspiel in fünf Akten von Arthur
Schnitzler-Professor Bernhardi, Jube, verweigert dem
kathokischen Priester Zutritt an ein Sterbelager. Das tut er
um der Euphorie der Sterbenden Willen. Und der akatho¬
lische Zuschauer sagt zu des Professors Menschenfreundlich¬
keit Bravo. Der Priester kann naturgemäß nicht Bravo
sagen, denn für ihn steht die Sache so, daß der Professor
der Sterbenden, um ihr das letzte irdische Viertelstündchen:
zu erleichtern, die nachirdische Ewigkeit wesentlich erschwert
hat. Also kann ein Katholik, der glaubt, wohl behaupten, daß
der Professor Bernhardi nicht menschenfreundlich gehandelt
hat. Und Katholiken müssen solcher Behauptung ihr Bravo
spenden. Der Konflikt ist ein reiner Glaubenskonflikt. Als
solcher kommt er im Schnitzlerschen Stück nicht zur Aus¬
tragung, kaum zur Sprache. Sondern eine Welle der un¬
reinen, die Stadt (die Stadt Wien) durchspülenden politi¬
schen Kanalwässer greift den Fall und zieht ihn in den ge¬
wissen „Strudel“ hinab. Neider, Intriganten, Böslinge,
Streber, Jesuiten und Talnudisten veranstalten eine Hetz¬
jagd gegen den Professor: Biedere, Gerechte, unbedingt
Kreuzbrave — ich brauche nicht zu sagen, daß ihr Wortführer
im Deutschen Volkstheater Herr Kutschera — stehen ihm
bei. Wir lernen Individuen kennen. Zum Beispiel: den
Unterrichtsminister, der seine Ueberzeugung um seiner
Ueberzeugung willen des Oefteren verrät, ins Geschäft der
Wahrheit Lügen investiert. (Das tut übrigens vor Gericht,
welches den Professor wegen Religionsstörung in den Arrest
schickt, auch der Priester.) Oder den gutartigen, frivolen
Hofrat, welcher in einem Nihilismus der Witzigkeit geistig¬
moralischen Unterstand gefunden hat. Oder Bernhardi
selbst, dem die Abweisung des Priesters eine Reflexbewegung
war und der sich nun dagegen wehrt, daß von Feind oder
Freund eine große programmatische Geste daraus gemacht
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Aber offenbar sollte er das gar nicht sein, sondern schlecht¬
weg ein redlicher, gescheidter, wirkender Mann mittleren
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in den Konturen, mit bescheidenen Mitteln inneren „Kern“
andeutend. Mit Kunst hat das Schnitzlersche Stück nichts zu
tun. Es ist eine sauber geflochtene, breite, fädenreiche De¬
batte, hineingewirkt Figuren und Bildchen aus dem politi¬
schen Wien von 1900. Die Szene Bernhardi=Priester, in der
das Stück sich vom Boden lösen und in kühlere, dunstlose
Regionen aufschweben will, erfüllt nicht ganz ihren Zweck.
Sie weht nur ein Düftchen besserer Schnitzlerscher Melan¬
holie heran. Gut dargestellt — Onno, Götz, Homma,
Edthofer, Fürth — hatte der Diskussionsabend, mit!
gesprengten Zensurfesseln leise klirrend, mächtige Publikums¬
wirkung. Die Zuhörer wurden der noblen Schnitzlerschen
Art, empfindliche Stellen zu berühren, ohne daß die Be¬
rührung tief ginge oder weh täte, dankbarst froh. A. p
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□ Schnitzlers „Professor Bernhardl“ in Wien. Felix
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mödie „Profissei Bernhardi“, die jahrelang in Wien ver¬
boten war erschien zum erstenmal auf dem Podium des Deut¬
schen Volkstheaters. Hier in Wien, wo die Zustände, die
Schnitzler zeichnet, in üppiger Blüte stehen, wirkte das Stück einfach
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her mnst der. —
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