II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 458

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25 Enhandr
REICHSPOST, AGGE#
Deutsches Voikstheater. Am Samstag wurde zum ersten¬
(mal gegeben: „Professor Bernhardi“ Komödie in
fünf Akten von Artur Schnißler Die Preise um 1004 er¬
höht, das Theater völlig ausverkauft, feierlich gehobene Span¬
nung, es war wie im Tempel. Das Tendenzstück, in Oesterreich
lange von der Zenfür zurückgehalten, schließlich auch noch durch
die Grippesperre verschoben, seinerzeit, als es entstand und in
Buchform erschien (1913), vielfach und allgemein, auch in der
„Reichspost“ besprochen, konnte endlich seine Wirksamkeit auch
auf der Bühne erproben; es war nicht so arg, nur zweimal
belohnte man politische Deklamationen bei offener Bühne mit
Beifall, nach dem Fallen des Vorhanges schrie der Applaus zu
stark, man merkte die Mache, man ärgerte sich über das Gejohle der
Unverständigen hoch ohen in den Rängen, aber es kam zu
keinem Skandal, es gab — außer dem öfteren Sichzeigen des
Autors — keine Sensation; die nicht der Kunst wegen
gekommen waren, gingen enttäuscht hinweg und die anderen
auch. Nicht als ob das Stück Schnitzlers schlechter wäre als
seine anderen, es ist ein echter Schnitzler, reich an Einfällen,
kunstgerecht gebaut, der Dialog lebhaft und anregend. Fragen
werden eine Menge aufgeworfen und alle bis zum letzten Rest
durchgesprochen (mit Worten und Händen), an Motiven fehlt
es wahrlich nicht, das Stück verarbeitet wenigstens drei
Lustspielstoffe, lebenswahre Figuren laufen ihrer fast so
viele auf der Bühne herum, als Personen im Verzeichnis
stehen (nur eine ist völlig unwahr, ist erklügelt und erdichtet,
nämlich die Hauptfigur, der Professor Bernhardi), man unter¬
hält sich an mancher gescheiten Aeußerung und die Judenschaft
sieht sich lachend in einigen Typen glänzend gezeichnet usw.
Aber für eine Sensation hatten die letzten Monate alle Hilfe
zeraubt, die Zibeben von Kuchen weggegessen, dieser junge
„Schnitzler“ trat vor, „gebleicht in der Fülle der Jahre“, oder
——

zerzauft von stürmischen Zeiten. Die Tendenz wurde wohl an¬
schaulich, aber nicht wirksam. Der Medizinprofessor Bernhardi,
der einem Geistlichen den Zutritt zu einer Sterbenden ver¬
weigerte, dadurch ein politisches Lawinchen loslöste, im Schwur¬
ver¬
gerichtssaale — aus den Tatsachen nicht verständlich —
urteilt wird usw., ist heute kaum imstande, etne tiefe Anteil¬
nahme zu erringen. Ein katholisches Publikum hätte an einigen
Stellen Gelegenheit gehabt, sich zu wehren, wenn eines da¬
gewesen wäre, Antisemiten finden sich durchaus abgestoßen,
das Stück ist für Juden geschrieben. Auch die schöne
Bernhardi und
dem Juden
Unterredung zwischen
dem katholischen Pfarrer (im 4. Akt); sie wird freilich nicht von
jedermann verstanden werden. Daß Ferdinand Onno den
Pfarrer gab und ihn mit feinem Takt ohne die gewohnte
Uebertreibung gescheit und ruhig und natürlich spielte, machte
diese Szene zu einem Entgelt für andere Dinge im Stück. —
Die vielen Professorenrollen lagen durchaus in bewährten
Händen. Viktor Kutschera, Karl Forest und besonders
Jaro Fürth und Fritz Gotthaber stellten wirksame
Typen auf die Beine und der anarchistische Hofrat des Anton
Edthofer rettete liebenswürdig den letzten Akt. Weniger
gut gelang es Wilhelm Klitsch, dem Minister Resonnanz zu
verschaffen und Rudolf Teubler machte die Gestalt eines
Tiroler Mediziners mit dem Felsklotznamen Hochroitz¬
pointner geradezu lächerlich, denn Tiroler Mundart ist nie
nach Art des Poldi Huber aus Hernals zu sprechen.
Direktor Alfred Bernau, der die Hauptrolle dar¬
stellte, zeigte wie im „Armen Heinrich“ daß es ihm als Schau¬
spieler nicht an Geschmack, Verstand und Geschicklichkeit fehlt,
wohl aber an dem Geheimnisvollen der Schauspielkunst, das
sich nicht lernen, und am Vollklang der Sttmme, die sich nicht
kommandieren läßt. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß
Schnitzlers „Professor Bernhardi“ aus politischen Tagesfragen
vergangener Zeiten geboren, sich kaum in die Zukunft wird
retten lassen, er ist ein Kriegsopfer geworden und zwar eines
von denen, die nicht zu beklagen sind. Man schreibt, wie jetzt
in den liquidierenden Aemtern allenthalben geschieht, darunter;
N
Nichts mehr zu verfügen, nach Kenntnis ad acta.
Der Tschaifamirn=shend des Wiener Tankünstler¬
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2.. RLLER
„esaische Geitung, Berlin
Iim Deutschen Vollstheater geb es am Sonuchend
schnihlers sechs Jahre lang verboten gewesener „Prosessor
Bernyaroi“, eia noch nicht blind gewordenes Spiegelbild Alt¬
Oesterreichs, dag vom Publikum mit wärmistem Denk auch für den
Titelhelden ausenommen wurde. In den Kammerspielen des Deut¬
schen Vollstheaters hat Fuldas „Lebensschüler“ die gleiche
Aufnahme wie in Verlin gefunden. Auf der Volksbühne werde
eine von Schebon besorgte Bühnenbearbeitung der Tolstolschen
Kreuzersonate“ trotz Schildkrauts Temperament ohne innere,
Teilnahme hingenommen.
Are
4.
Deutsches Tagblatt
Ost deutsche Rundschau
50t7 19 18
Unter den Trümmern der Monarchie wurde auch das alt¬
österreichische Zensurverfahren begraben, das Axtur Schnin¬
lers Komödie „Professor Bernhardi“ zus Ger
stand jahrelanger Zeitungskämpfe machte. Das Wiener Auf¬
führungsverbot hatte an dem Erfolg des Werkes sicherlich
stärkeren Anteil als seine dramatischen Eigenschaften; denn
schon zur Zeit, als sich die Uraufführung des Tendenzstückes
vor dem Machtspruch der österreichischen Zensurbehörden in
das Berliner Kleine Theater hat flüchten müssen, hoben die
reichsdeutschen Blätten alle hervor, daß man es weder mit
einem Drama noch mit einem Helden zu tun habe, sondern
nur mit parlamentarischen und unparlamentarischen Rede¬
schlachten, in deren langwierigem Verlauf Professor Bern¬
hardi vor der Würde eines Kulturkämpfers zur Wurschtigkeit
eines mattherzigen Ironikers herabsinke. Nur das Verbot ließ
die Frucht chmackhafter erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist,
nur das Verbot erweckte und erweiterte ein Begehren, das
andernfalls auf die Wiener Schnitzler Gemeinde beschrünkt ###
geblieben wäre. Nun man endlich „Professor Bernhardi“ im
Deutschen Volkstheater gesehen hat, fragte man sich
unwillkürlich, was an dem Stücke denn so Gefährliches sei—
Wohlan: ein jüdischer Arzt verweigert einem katholischen
Priester den Zutritt zu einer Sterbenden, um ihr die be¬
seeligende Wohltat einer letzten Hoffnung nicht zu rauben.
Also ein Alt der Meligionsstörung? Möglich. Aber nur als
Vorwand zu einen dagischen Konflikt. Denn schließlich wird
Professor Bernhardi an Berechtigung seiner Handlungs¬
weise selber irre und er wendet nechjust von seinen freisinni¬
gen Anhängern ab, die den Fall zu einer Kulturkampfange¬
legenheit aufbauschen möchten. Wenn also nicht religiöse Ge¬
fühle zu schützen waren, wozu dann das Verbot? Das
damalige Unterrichtsministerium fühlte sich eben durch zwei
ironisierte Gestalten in ihrem Ansehen bedroht, und darum
der ganze Rummel, von dem wir nun endlich befreit sind.
Das Deutsche Volkstheater bot eine sorgfältig vorbereitete
Aufführung, an deren Spitze sich. Direktor Bernau als
wohltemperierter Darsteller des Titelhelden selber stellte.
Auch der Schwarm von ganz= und halbjüdischen Aerztetypen
fand gut disserenzierende Vertreter und die Herren Klitsch
und Edthofer verhonigelten mit taktvoller Mäßigung die
Schaukel= und Gaukelpolitik der Unterrichts= und Kultusbe¬
hörde anno Hartl. Die Beifallsstürme, die Schnitzler um¬
Nten, blieben ungestört .