II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 474

Be
25. PrefessEnhandi
Die Wage, Wien
10 JaN. 7979
ie.
Oskar Maurus Jontana:
Liberale Dramatik.
Schnitzlers Professor Bernhardi“, der jetzt vom Deutschen
Volkstheätek deutschvolktheaterlich gespielt wird, ist als Schau¬
spiel ziemlich uninteressant und nur interessant als Type der
liberalen Dramatik. An ihm kann man studieren, mit
welcher Leichtigkeit ein bürgerlich freiheitlicher Finger auf eine
sogenannte offene Wunde gelegt wird und mit welch eleganter
Skepsis ihr zugesprochen wird, sich zu schließen. Und wiederum
an ihm läßt sich feststellen, daß es dieser liberalen Dramatik
weniger um die offene Wunde, sondern mehr um den bürgerlich
freiheitlichen Finger geht, weniger um die Heilung, aber mehr
um eine skeptische Unterhaltung. Operation gelungen, Patient
gestorben — das ist das Kennwort der liberalen Dramatik. Sie
wird meisterhaft, gewissermaßen aus dem Handgelenk eperieren
und den Patienten mit voller Seelenruhe sterben lassen.
Zu dieser liberalen Dramatik gehört denn auch notwendig
der enge Horizont des Kirchturmpolitikers, der nur Fälle sieht,
aber nicht den einzigen Fall einer leidenden Menschheit, gehört
die streuherzige Keckheit eines Diagnostikers, der Namen der
Krankheiten nennend selbstzufrieden von Spitalsbett zu Spitals¬
bett wandelt.
Muß ich es erst sagen: Wir haben diese liberale Dramatik
satt. (Wir, das sind die Menschen, die den Menschen anrufen,
die den Menschen als Zentrum des Lebens sehen.) Was soll sie
uns noch? Wir klopfen auf ihre Finger, die eine Wunde ent¬
weihen, wir machen uns gehörlos gegen ihre ohnmächtig witzeln¬
den Debatten.
Wir wollen vom Dramatiker, daß er nicht zwischen den
Dingen spaziere und sich behaglich an ihnen reibe, wir wollen,
daß er aus den Dingen komme, die Tragik ihres Lebens und
alles Lebens trage und uns zu Morgenröten neuer Gemein¬
schaften reiße.
Die liberale Dramatik — das ist der dramatisierte Leit¬
artikel eines altgedienten demokratischen Organs. Irgend einer
schreit in ein Megaphon, daneben schlägt einer auf die Trommel,
zu ihren Füßen quillt ein Strom von Druckerschwärze, über
ihnen kommt aus einer Wolke verzeihendes Lächeln. Und die
Dummheit steht, die Niedertracht, der Polizistengeist, das Waren¬
haus der Lügen, die Sklaverei, die Aushungerung des Wertes
stehen und sind siegreich. Wenn sie es sind, was nützt dann,
o Leitartikler und Dramatiker, dein Megaphon, deine Trommel,
dein Strom von Druckerschwärze, dein verzeihendes Lächeln?
Wirf sie weg, sie sind nichts nütze.
Tabula rasa — in deinem Drama wenigstens, wenn du es
auf der Erde schon nicht vermagst. In deinem Drama wenigstens
sei jüngstes Gericht, sei die Verworfenheit verwörfen, werde der
Unschuld Krone des Märtyrers. Keiner verlasse dein Drama,
ohne den glühenden Wunsch nach der Freiheit des Menschen,
nach dem Umsturz der das Menschenherz bedrückenden Gewalten.
Noch immer gelle der Ruf: In tyrannos und immer wieder, denn
alle Dramatik, alle Kunst ist revolutionär, so aus dem innersten,
einfältigsten Grund der Seele heraus revolutionär, daß auch eine
siegreiche politische Revolution sich vor den Künstlern verschließt,
ja sie brandmarkt, weil sie in ihnen schon den Feind von Mor¬
gen wittert, den Bruder, der sich nicht verbürgerlichte und immer
noch der wunderbaren Stimme des Herzens lauscht.
Doch was weiß die liberale Dramatik davon? Sie kocht sich
sonntags ihr Huhn im Topfe, tranchiert und gabelt es, läßt viere¬
sfünfe sein, zündet sich eine Zigarre an und gähnt.
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LHierarisches Centralblat, Laipzig
Theater.
Wien. Es bedurfte erst eines revelutionären Umsturzes, um
rtur Scniger Kumüdie „Professor Bernhardi“ in Wien
Erstauffuhrung im Deutschen Volksibeater bringen zu können. In
zur
Berlip kam es seiner Zeit glatt durch (val. die ausführliche Besprechung
im 44. Jahrg. (1913, Nr. 1, Sp. 9ig. d. Bl.). Die Darstellung gab
sich alle Mühe, die vielen Figuren des Wirkes lebenswehr zu spielen,
And ermiete verspäleten, aber hichtsdestoweniger großen Beifall. — Die
Bübnenleiter sind seit der Theatersperre bloß auf zwei Spieltage in
jeder Woche angewiesen und Jiese nützen sie begreiflicherweise dazu aus,
um ihre Neuheiten abzustoßch. An einem Abend fanden nicht weniger
als sonf Premièren statt. X. Die Erstauffüh ung von Leo Tolstois
„Kreugersonate“ an der Vollsbühne¬
Wien,
waslseien Wie Aetachan v.
AN

— Professor Lospenstein.
Schnitzlers Profeslor Bernbardi“
ist zureinen Zunsner der Nrutschen Bolks.
theaters geworden. Direktor Bernau kam
Werke brauchen, die Kasse machen. Um dem Zulau
des Publikums zu genügen, wird „Professor Bern.—
hardi“ an Sonntagen zweimal: Nachmittag und
Abend gespielt. Geolagte Schausvieler! Müssen von
Uhr nachmittags bis 8 Uhr abends im Dienste der
Musen stehen und finden nur knappe Zeit zum Atem¬
holen oder zu einer Jause, was heutzutage Jause
heißt. Da heißt es rasch die Pause zwischen Matince
und Abendvorstellung ausnützen. Abchminken
Toiletlewechsel Gang ins Kaffeehaus und schnell
zurück in die Garderove. um neuerlich Maske zu
machen. Die Maeken, welche die Künstier des
Deutschen Volkstheaters für „Professor Bernhardi“
wählen, verdienen als kleine Kunstwerke gewertet zu
werden. Das Publikum bekommt eine Reihe von
Charakterköpfen zu schauen, wie aus der Wirklichkeit
auf die Bretter gestiegen. Eine der besten Masken
trägt Karl Forest, der Darsteller des Dr. Loewen¬
stein. Professor für Kinderkrankheiten, so heißt es
auf dem Zettel. Diese köstliche Vermummung benützend.
schmiebeten zwei, stets zu Scherzen aufgelegte Schau¬
svieler ihren Jux. Sie wußten von früher,
daß Forest aus Gründen der Bequemlichkeit
unterlasse zwischen den zwei Aufführungen seine!
äußere Erscheinung zu verändern. Er behält die für
das Theater bestimmten Kleider am Leibe, ebenso die
Perücke am Kopfe und den falschen Bart auf den
Wangen. So verkappt, betrittt er kürzlich das Café.
setzt sich an ein Tischlein deck dich und vertieft sich
in eine Zeitung. Bald hebt in seiner Nachbarschaft
ein Tuscheln, ein Flüstern unb Zischeln an ...
Die zwei Schausvieler des Volk theaters tänschten
einem in der Lerchenfelderstraße etablierten Kausmanne
vor, der Her. in dem dämmerigen Winkel sei der berühmte
Professor Loewenstein, Spezialist für innere Krank¬
h#eiten und Sonderling.=Ordiniert nicht für die All¬
gemeinheit, wählt seine Pa ienten nach Belieben,
wenn ihn der „Fall“ interessiert. Der Kaufmann, ein
Hypochonder mit allen möglichn und unmöglichen
Krankheiten im Leibe, nimmt
eine Visitkarte,
beschreibt sie mit der Bitte.
sich vorstellen
zu
dürsen und schickt die Botschaft dem
ahnungslosen Zeitungsle er. Forest nimmt die Karte,
liest und wirft sie unter den Tisch. Dummer Ulk. Der
Kaufmann läßt nicht lecker und rückt dem vermeint¬
lichen Professor an den Leib.
der dem Herrn
zuerst ein Glas Wasser einschäutt und dann die Wahr¬
heit kredenzt.
-FSh
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