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box 31/2
25. PrürBernhand
„Die Theater- und Kino-Woche.
ganz einfach ein anstän¬
diger Mensch, besitzt also
in gewissem Sinne die
Vermessenheit, sein inne¬
res Gefühl, sein Gewissen
für seine Handlungsweise
entscheiden zu lassen,
nicht in Form von Prinzip
und Erwägung, sondern
einfach als unbedingte
Forderung der Stunde,
die für den berufenen
Arzt das Absolute ist.
Nicht Mangel der Ehrfucht
bestimmt den Impuls
Bernhardis, sondern der
Umstand, daß der überaus
beschäftigte Arzt nicht
gelernt hat an dem Ein¬
zelfall gefühllos vorüber¬
zugehen. Und darum ist
der Herzpunkt des Stückes
nicht die Polarität
des juden und des
Katholiken, die An¬
Phot. Weitzmann
laß des Konfliktes bilden
Herr Askonas
soll, sondern die Pola¬
rität des anständigen Mannes und der vielfälti¬
gen Gemeinheit, die sich-gegen ihn verbindet.
Und darum wird in der am tiefsten gearbeiteten Szene des
Stückes, dem Besuch des Geistlichen bei dem Arzt, zwar mit
Entschiedenheit das Trennende ihrer Gesinnung, die abgründige
Artverschiedenheit der beiden herausgearbeitet, aber doch auch
die Brück über dem Abgrund gezeigt, auf der die beiden sich
einander begegnen und die Hand reichen dürfen.
Und in einer zweiten großen Szene, in dem Gespräch Bern¬
hardis mit Flint, ist diese innere Polarität des anständigen
Mannes mit dem Unterrichtsminister, der armselig versagt,
wenn das Versprechenhalten unbequem wird, ebenfalls der Hebel.
Eine dichterische Vertiefung der Umrißgestalten der Satire ist
dadurch bewirkt, ein Wirklichkeitskomplex in Gestalten und Fabel
eingearbeitet, wie dies Schnitzler früher vielleicht nie im selben
Maß gelungen ist.
Schnitzler ist im Bernhardi ein strengerer und betrübterer
Moralist als bisher. In-Anatol= und -Liebelei- gab er den sitten¬
bildlichen Ausschnitt der Wiener jeunesse dorée der 90er Jahre,
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25. PrürBernhand
„Die Theater- und Kino-Woche.
ganz einfach ein anstän¬
diger Mensch, besitzt also
in gewissem Sinne die
Vermessenheit, sein inne¬
res Gefühl, sein Gewissen
für seine Handlungsweise
entscheiden zu lassen,
nicht in Form von Prinzip
und Erwägung, sondern
einfach als unbedingte
Forderung der Stunde,
die für den berufenen
Arzt das Absolute ist.
Nicht Mangel der Ehrfucht
bestimmt den Impuls
Bernhardis, sondern der
Umstand, daß der überaus
beschäftigte Arzt nicht
gelernt hat an dem Ein¬
zelfall gefühllos vorüber¬
zugehen. Und darum ist
der Herzpunkt des Stückes
nicht die Polarität
des juden und des
Katholiken, die An¬
Phot. Weitzmann
laß des Konfliktes bilden
Herr Askonas
soll, sondern die Pola¬
rität des anständigen Mannes und der vielfälti¬
gen Gemeinheit, die sich-gegen ihn verbindet.
Und darum wird in der am tiefsten gearbeiteten Szene des
Stückes, dem Besuch des Geistlichen bei dem Arzt, zwar mit
Entschiedenheit das Trennende ihrer Gesinnung, die abgründige
Artverschiedenheit der beiden herausgearbeitet, aber doch auch
die Brück über dem Abgrund gezeigt, auf der die beiden sich
einander begegnen und die Hand reichen dürfen.
Und in einer zweiten großen Szene, in dem Gespräch Bern¬
hardis mit Flint, ist diese innere Polarität des anständigen
Mannes mit dem Unterrichtsminister, der armselig versagt,
wenn das Versprechenhalten unbequem wird, ebenfalls der Hebel.
Eine dichterische Vertiefung der Umrißgestalten der Satire ist
dadurch bewirkt, ein Wirklichkeitskomplex in Gestalten und Fabel
eingearbeitet, wie dies Schnitzler früher vielleicht nie im selben
Maß gelungen ist.
Schnitzler ist im Bernhardi ein strengerer und betrübterer
Moralist als bisher. In-Anatol= und -Liebelei- gab er den sitten¬
bildlichen Ausschnitt der Wiener jeunesse dorée der 90er Jahre,