Wollte Schnitzler das Judentum verherrlichen, dürfte
##r die Juden unter Bernhardis Kollegen nicht als so
fragwürdige Ehrenmänner hinstellen, wie er es tut.
Mit ihnen hat Vernhardi, wenn sie nicht seinen: Men¬
schentum nachstreben, ebensowenig zu tun, wie mit
Angehörigen onderer Konfessionen. So bleiben nur
noch Schnitzlers Streiflichter auf Oesterreichs Art, Po¬
litik zu treiben, welche die Zensur zu ihrem Vervot
veranlassen kynnte, womit sie nur Bernhardis=Schnitz¬
lers Behauptung, daß in Oesterreich jede ideelie Frage
auf das politische Gebiet abgedrängt werde, bestätigt
hat. Der Autor identifiziert sich in seinem Drama
ganz mil Bernhardi, der seine Vorläufer in Lessings
„Nathan“ und G. Hauptmanns „Der Narr in Christo
Emanuel Quint“ gefunden hat. Wie Vernhardi will
Schnitzler nichts, als die Ahnung von Enem schöneren
Zulunftsmenschentum vermitteln, das in dr Verschmel¬
zung der Anschauungen dreier Welten, Griechenschön¬
heit, Christusgüte und intellektueller Freiheit, seine
Erfüllung findet. Der Autor lehnt hiemit jede Ab¬
sicht zu unkünstlerischer Tendenz ab. Man kann es
ihm glauben. Er ist zu groß und innerlch zu reif.
um das bei mittleren Autoren nicht unbeliebte Re¬
klamemittei des Zensurverbotes notwendig zu haben,
um gehört zu werden. Wenn er auch nie k. u. k.
Festspieldichter war, das eine ist klar: Keine Ten¬
denz für das Judentum, keine Tendenz gegen das
Christentum, lediglich Prophezeiung freien Menschen¬
tums. — Man darf sich also über die mächtige Wur¬
kung dieses Dramas auf den Volksgeist heutiger Prä¬
gung nicht wundern, trotzdem es keine dramatischen
Effelle hat, trotzdem es — rein maskulin — keinen
Liebeskonslilt gestaltet; es ist wieder ein Lesedrama,
beginnt mit fertigen Charakteren, starren Vertretern
eines Tupus. Aber wie der Autor diese Typen im
Kreislauf um den einzigen Volimenschen im Drama,
Bernhardi, in glänzenden, scheinbar paradaren, tiefgrün¬
digen Dialogen durchleuchtet, macht das Drama so
ungemein fesselnd. — Die merkwürdige Art der Ge¬
staltung im Drama, fertige, nicht mehr entwicklungs¬
fähige Typen, bringt es mit sich, daß nicht der Schau¬
spieler seiner Rolle, sondern die Rolle, vor allem
der Tert, dem Schauspieler individuelle Farbe ver¬
leiht. Die Darsteller wirken
— mit Ausnahme der
Hauptrollen — wie Marionetten in der Hand eines
gewandten Puppenspielers. Das ist also kein per¬
sönlicher Nachteil unseres Ensembles, das sich unter
der lünstlerischen Führung des Direktor Weninger mit
staunenswertem Mut, zäher Energie und rastlosem Fleiß
als erste Provinzbühne an diese Niesenaufgabe heran¬
wogte. Vor allem: In der Originalität, in der
Nachempfindung des darzustellenden Typus durch die
Maske leisten alle Darsteller Ueberraschendes, Hervor¬
ragendes. In der Beherrschung der oft riesigen Satz¬
perioden — ohne auffälliges Vordrängen des Souf¬
leurs — bekunden sie hingebungsvolle Teilnahme, im
Zusammenspiel mitreißendes Temverament und an der
Idee des Dramas sich selbst entzündende Begeitierung.
Da alle Gestalten im Drama fertige, unveränderliche
Typen darstellen, erübrigt sich eine Detailbesprechung.
der Mitwirkenden; denn diese wäre lediglich eine Cha¬
rakterisierung der einzelnen Tyven, nicht des Schau¬
spielers, der ja keine dramatische Entwicklung durch¬
läuft, sondern von Anfang an nichts als sprechende,
für seine Person unwirksame Marionette bleibt. Wu¬
kung und Farbe ergibt sich erst aus dem Zusammen¬
spiel. Die Kunst, nicht nur von der Rolle zu empfan¬
gen, sondern ihr auch Klangfarbe zu geben, bleibt
lediglich dem Darsteller Bernhardis, Herrn Direktor
Weninger, vorbehalten. Dieser — in der Maske
Schnitzlers — beherrscht das Hauptinteresse des Aends
mit seiner glänzenden Sprechtechnik, seinem beweglichen,
auch auf feinste Eindrücke reagierenden Mienenspiel
und der Kunst seiner Gebärde. Sie ist sparsam, streng
bemessen, scharf individualisierend und erläutert sein
Verhältnis zur Rolle und sein tiefes Erfassen ver¬
selben oft durch kleine, kaum beachtete Bewegungen,
die den seitenen Menschen, den er darstellt, anschaulicher
verwirklichen als lange Dialoge. Die zunehmende in¬
nere Erkältung des in seiner besten Absicht verstörten
—
9. huite #en
#nn u., Initacho Boftuing
des Leitmeritzer Kreis
#cmeritz, Böhmen.
IL.FER. 19
Stadttheater Leitmesitz.
j'sProfessor Bernhardi“. Auf zahlreiche
Anftigen aus dem Publikum, ob die Aufführung
des Achnitzler'schen Werses auch für die Jugend
und namentlich für Mädchen geeignet ist, wird mit¬
geleilt, daß das seinerzeitige Aufführungsverbot
nicht etwa aus geger die Ethik verstoßenden Grün¬
den erfolgte, sondern nur, weil dem Stücke von
der Zensur eine andere Tendenz zugeschoben wur¬
de, welche Schnitzler aber nie und niemals ver¬
folgte. Arthur Schnitzler hat mit diesem köstlichen
Schattenspiel nur die Zustände öffentlicher Anstal¬
ten im „guten Alt=Oesterreich“ beleuchten wollen.
Professor Bernhardi ist die Tragikomödie des an¬
ständigen Mannes und wird ihm ein stramm organi¬
siertes „Hochwitzpointnertum“ gegenübergestellt, eine
fein zusammenhallende Gesellschaft von Bruderln
mit akademischen Grader. Die Gemeinheit in allen
Formen, die schlichte Gemeinheit, die begabte Ge¬
meinheit, die nackte, uninteressierte, nur in sich selbst
vergnügte, die unfähige und die prachtvoll geistig
mastierte ti#een Bernhardi gegenüber und veran¬
stallen das Kesseltreiben, von dem ein Kandidat
gemütvoll meint, es werde dem Direktor das Genick
brechen. Das Stück entspringt aus einer Spitals¬
episode, einer Situatiorh in der Bernhardi nur
einfach das tut, was inneres Gefühl und bestes
Wissen erkeischer. Und darum ist der Brennpunkt
des Stückes nicht die Polarität des einen ober an¬
deren Glaubers, die Anlaß des Konflittes bilden
soll, sondern die Polarität des anständigen Man¬
nes und der vielfältigen Gemeinheit, die sich gegen
ihn verbindet. Schnitzler ist in Bernhardi ein streu¬
gerer und betrübterer Moralist als bisher.
##r die Juden unter Bernhardis Kollegen nicht als so
fragwürdige Ehrenmänner hinstellen, wie er es tut.
Mit ihnen hat Vernhardi, wenn sie nicht seinen: Men¬
schentum nachstreben, ebensowenig zu tun, wie mit
Angehörigen onderer Konfessionen. So bleiben nur
noch Schnitzlers Streiflichter auf Oesterreichs Art, Po¬
litik zu treiben, welche die Zensur zu ihrem Vervot
veranlassen kynnte, womit sie nur Bernhardis=Schnitz¬
lers Behauptung, daß in Oesterreich jede ideelie Frage
auf das politische Gebiet abgedrängt werde, bestätigt
hat. Der Autor identifiziert sich in seinem Drama
ganz mil Bernhardi, der seine Vorläufer in Lessings
„Nathan“ und G. Hauptmanns „Der Narr in Christo
Emanuel Quint“ gefunden hat. Wie Vernhardi will
Schnitzler nichts, als die Ahnung von Enem schöneren
Zulunftsmenschentum vermitteln, das in dr Verschmel¬
zung der Anschauungen dreier Welten, Griechenschön¬
heit, Christusgüte und intellektueller Freiheit, seine
Erfüllung findet. Der Autor lehnt hiemit jede Ab¬
sicht zu unkünstlerischer Tendenz ab. Man kann es
ihm glauben. Er ist zu groß und innerlch zu reif.
um das bei mittleren Autoren nicht unbeliebte Re¬
klamemittei des Zensurverbotes notwendig zu haben,
um gehört zu werden. Wenn er auch nie k. u. k.
Festspieldichter war, das eine ist klar: Keine Ten¬
denz für das Judentum, keine Tendenz gegen das
Christentum, lediglich Prophezeiung freien Menschen¬
tums. — Man darf sich also über die mächtige Wur¬
kung dieses Dramas auf den Volksgeist heutiger Prä¬
gung nicht wundern, trotzdem es keine dramatischen
Effelle hat, trotzdem es — rein maskulin — keinen
Liebeskonslilt gestaltet; es ist wieder ein Lesedrama,
beginnt mit fertigen Charakteren, starren Vertretern
eines Tupus. Aber wie der Autor diese Typen im
Kreislauf um den einzigen Volimenschen im Drama,
Bernhardi, in glänzenden, scheinbar paradaren, tiefgrün¬
digen Dialogen durchleuchtet, macht das Drama so
ungemein fesselnd. — Die merkwürdige Art der Ge¬
staltung im Drama, fertige, nicht mehr entwicklungs¬
fähige Typen, bringt es mit sich, daß nicht der Schau¬
spieler seiner Rolle, sondern die Rolle, vor allem
der Tert, dem Schauspieler individuelle Farbe ver¬
leiht. Die Darsteller wirken
— mit Ausnahme der
Hauptrollen — wie Marionetten in der Hand eines
gewandten Puppenspielers. Das ist also kein per¬
sönlicher Nachteil unseres Ensembles, das sich unter
der lünstlerischen Führung des Direktor Weninger mit
staunenswertem Mut, zäher Energie und rastlosem Fleiß
als erste Provinzbühne an diese Niesenaufgabe heran¬
wogte. Vor allem: In der Originalität, in der
Nachempfindung des darzustellenden Typus durch die
Maske leisten alle Darsteller Ueberraschendes, Hervor¬
ragendes. In der Beherrschung der oft riesigen Satz¬
perioden — ohne auffälliges Vordrängen des Souf¬
leurs — bekunden sie hingebungsvolle Teilnahme, im
Zusammenspiel mitreißendes Temverament und an der
Idee des Dramas sich selbst entzündende Begeitierung.
Da alle Gestalten im Drama fertige, unveränderliche
Typen darstellen, erübrigt sich eine Detailbesprechung.
der Mitwirkenden; denn diese wäre lediglich eine Cha¬
rakterisierung der einzelnen Tyven, nicht des Schau¬
spielers, der ja keine dramatische Entwicklung durch¬
läuft, sondern von Anfang an nichts als sprechende,
für seine Person unwirksame Marionette bleibt. Wu¬
kung und Farbe ergibt sich erst aus dem Zusammen¬
spiel. Die Kunst, nicht nur von der Rolle zu empfan¬
gen, sondern ihr auch Klangfarbe zu geben, bleibt
lediglich dem Darsteller Bernhardis, Herrn Direktor
Weninger, vorbehalten. Dieser — in der Maske
Schnitzlers — beherrscht das Hauptinteresse des Aends
mit seiner glänzenden Sprechtechnik, seinem beweglichen,
auch auf feinste Eindrücke reagierenden Mienenspiel
und der Kunst seiner Gebärde. Sie ist sparsam, streng
bemessen, scharf individualisierend und erläutert sein
Verhältnis zur Rolle und sein tiefes Erfassen ver¬
selben oft durch kleine, kaum beachtete Bewegungen,
die den seitenen Menschen, den er darstellt, anschaulicher
verwirklichen als lange Dialoge. Die zunehmende in¬
nere Erkältung des in seiner besten Absicht verstörten
—
9. huite #en
#nn u., Initacho Boftuing
des Leitmeritzer Kreis
#cmeritz, Böhmen.
IL.FER. 19
Stadttheater Leitmesitz.
j'sProfessor Bernhardi“. Auf zahlreiche
Anftigen aus dem Publikum, ob die Aufführung
des Achnitzler'schen Werses auch für die Jugend
und namentlich für Mädchen geeignet ist, wird mit¬
geleilt, daß das seinerzeitige Aufführungsverbot
nicht etwa aus geger die Ethik verstoßenden Grün¬
den erfolgte, sondern nur, weil dem Stücke von
der Zensur eine andere Tendenz zugeschoben wur¬
de, welche Schnitzler aber nie und niemals ver¬
folgte. Arthur Schnitzler hat mit diesem köstlichen
Schattenspiel nur die Zustände öffentlicher Anstal¬
ten im „guten Alt=Oesterreich“ beleuchten wollen.
Professor Bernhardi ist die Tragikomödie des an¬
ständigen Mannes und wird ihm ein stramm organi¬
siertes „Hochwitzpointnertum“ gegenübergestellt, eine
fein zusammenhallende Gesellschaft von Bruderln
mit akademischen Grader. Die Gemeinheit in allen
Formen, die schlichte Gemeinheit, die begabte Ge¬
meinheit, die nackte, uninteressierte, nur in sich selbst
vergnügte, die unfähige und die prachtvoll geistig
mastierte ti#een Bernhardi gegenüber und veran¬
stallen das Kesseltreiben, von dem ein Kandidat
gemütvoll meint, es werde dem Direktor das Genick
brechen. Das Stück entspringt aus einer Spitals¬
episode, einer Situatiorh in der Bernhardi nur
einfach das tut, was inneres Gefühl und bestes
Wissen erkeischer. Und darum ist der Brennpunkt
des Stückes nicht die Polarität des einen ober an¬
deren Glaubers, die Anlaß des Konflittes bilden
soll, sondern die Polarität des anständigen Man¬
nes und der vielfältigen Gemeinheit, die sich gegen
ihn verbindet. Schnitzler ist in Bernhardi ein streu¬
gerer und betrübterer Moralist als bisher.