II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 542

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25. Professor Bernhandi box 31/3
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Stunden sind von jener Euphorie, von jener kör= Dummheit, getaufte Juden mit Neigung zum Bernhardi ist, trotz der zwei Monate Gefängnis,
perlichen und seelischen Glückseligkeit umstrahlt, Klerikalismus, deutschnationale Juden mit studen= kein Märtyrer. Er führt seinen Kampf nicht zu
Komödie die nur die blühendste Hoffnung weckt, keinen Ge-tischer Vergangenheit und Schmissen im Gesicht, Ende. Sein Gerechtigkeits=Fanatismus reicht so¬
verboten
danken an Todesnähe aufkommen läßt. Sie stirbt, tapfere und furchtsame Juden, politische und un=weit, daß er sich verurteilen läßt, aber die W.
ie ist sie, ohne das Sakzament empfangen zu haben. Der politische Juden, rassenreine Christen von über= dung, die eine nachträglich enthüllte alsche
b und zu
Professor wird Objekt einer klerikalen Hetze. Das zeugter Vorurteilslosigkeit, Männer, die auffahren,
das Auf¬
Zeugenaussage seinem Prozeß gibt, will er nicht
Kuratorium der Anstalt demissioniert. Eine Inter¬
wenn einem Juden ein Unrecht geschieht und noch
ch-Versen¬
ausnützen. Da wird er müde. Nicht ##al seine
pellation soll iim Parlament eingebracht werden,
viel mehr solche, die tatkräftig dazu beitragen.
weiblichen
Memoiren will er schleiben. Die Liebe zu seinem
er könnte sie hindern, wenn er sich zu einem Kom¬
Schnitzlers überlegener Witz hat eine Gesellschaft
Beruf, dem er nicht länger entzogen sein will,
ein ganz promiß bei dej Berufung eines Abteilungsleiters
graduierter Herren hingestellt, die sich mit viel läßt ihn den Streit um die Wahrheit vorzeitig
verstünde. Er klehnt ab, die Interpellation wird
Stück zu
Bosheit und Gemeinheit, oft sehr geistreich, fast albrechen. Abe diese Liebe zum Berif# ## u. die¬
eingebracht. Dr Unterrichtsminister, ein Freund
noch nicht
immer amüsant unterhält. Man kann an vielen sem Fall ein Versagen des moralischen Eisers, ist
Vernhardis, ill den Professor verteidigen, der
politisches
dieser vollsaftigen Männer eine rechte Freude
Sturm der Zyischenrufe knickt sein Vorhaben er
ein Versinken in die Gewohnheit, ist der Mangel
n Wiener
haben. Auch der k. k. Minister für Kultus und an Fähigkeit zum Ausharren bis in die letzten
läßt Vernhartt fallen, die Anklage wegen Reli¬
aus dem
Utzterricht ist eine vortreffliche österreichische Konsequenzen. Darum scheitert, vielleicht bewußt,
gionsstörung wird erhoben, die Geschworenen ver¬
„Fälle“
Studie. Diese Mischung von Herzlichkeit und die Absicht des Dramatilers dort, wo sie zu ihrem
urteilen Bernhardi. Er sitzt seine zwei Monate ab,
nationale
Falschheit, diese Impulsivität, gemildert durch großen dialektischen Wurf ausholt, wo sich in der
um dann, in bürgerlichem Ansehen ungekränkt, einen gesunden Egoismus, dieser Seelenmensch,
enen der
Unterredung zwischen dem Professor und dem.
von mancher neuerworbenen Gunst besonnt, zu dessen Opferbereitschaft dort aufhört, wo die Sorge
eist gegen seinem Beruf zurückzulehren. Der ganze Vorgang
Pfarrer die beiden Weltanschauungen mit einan¬
um die parlamentarische Abstimmung beginnt, ist der aussprechen sollen. Schnitzler ist auch zu kulti¬
Pfarrer, ist selbstverständlich und darum keine Tragödie,
früher in vielen österreichischen Kabinetten gesessen.
er Fall nur. Komödie.
viert, um das Freidenkertum über die religiös¬
meist die
Ebenso wie die Ministerien voll waren von Hof¬
gebundene Philosophie einen dröhnenden Sieg
Der ironisch=wehmütige Scharfblick, der in
ardi, zu
räten wie dieser Hofrat Winkler, der ein Anar¬
erfechten zu lassen. Die Argumente, welche die bei¬
dem Wiener Roman „Der Weg ins Freie“ man¬
n Phan¬
chist, mindestens aber Sozialdemokrat ist und zu
den Männer gegen einander vorbringen, klingen
ches politisch=psychologische Problem durchdrang,
erzähltes
der Sorte von hohen Staatsbeamten gehört, von sacht zu einem gedämpften Dialog ab, in dem
dieses
richtet sich hier auf das Innenleben einer Profes= denen Viktor Adler in einer seiner letzten Reden Bernhardi nicht einmal Recht behält. Er ist lein.
sorengruppe, deren Mitglieder einander in Kämp¬
vor Oesterreichs Zusammenbruch sprach, als er
Blutzeuge, er hätte nicht wie Johannes Hus oder
hältigkei=ferpose gegenüberstehen. Menschenkenntnis und
sagte: Zu mir kommen täglich Generäle und Hof¬
d seigen
Giordano Bruno den Scheiterhaufen bestiegen
Charakterbeobachtung haben ein in bunten Farben
räte mit der Frage: Warum machts Ihr nicht end¬
en Pro¬
und nur die vorauszusehende Milde seines Mar¬
schimmerndes Gemälde geschaffen, ein Spektrum
lich Revolution?“
der nur
von Gesinnungen, vom Schurken bis zum Idea¬
tyriums, das ihn gewiß nicht in seiner Praxis###
elbstver¬
Angesichts dieses anmutenden Gemenges schädigen wird, hat ihn dazu veranlaßt, den Kampft
listen, vom Streber bis zum reinen Toren. Das
Verwun¬
österreichischer Menschenrassen verliert man bei¬ aufzunehmen. Ein Held, durch den derselbe Riß
Kollegium der Aerzte des Elisabethinums weist
nahe die Hauptperson aus den Augen, den Pro- geht, der alle Schnitzlerschen Helden halbiert. Und#
Emit dem alle Arten deutschösterreichischer Männlichkeit auf,
fessor Bernhardi. Daran aber ist der Fehler von der einzige Märtyrer in diesem Glaubensstreit
Professorgeordnet nach ihrer Stellung zur Judenfrage.
Schnitzlers Vorzügen schuld, seine dichterisch¬
ist der Pfarrer, der seine zu schonende Zeugenaus¬
kenzim= Man sindet hier offene Antisemiten Geschmacks= seelische Eigentümlichkeit, der er auch hier treu sage durch Versetzung in einen galizischen Grenz¬
e letzten Antisemiten, Antisemiten aus Klugheit und aus bleibt, seine Vorliebe für die halben Helden. Denn ort büßt.
Darum ist die Philosophie dieser Komödie
nicht in der Aussprache zwischen dem Professor#
und dem Mann der Kirche enthalten, sondern in
dem hübschen, das Stück schließenden Gespräch
zwischen Veruhardi und dem Hofrat. Eine öster¬
reichische Philosophie, die Weltanschauung der per¬
sönlichen Behaglichkeit. „Wenn man immerfort#
das Richtige täte, oder vielmehr, wenn man nur
einmal in der Früh, so ohne sichs weiter zu über¬
legen, aufing, das Richtige zu tun und so in einem
fort den ganzen Tag lang das Richtige, so säße
man sicher noch derm Nachtmahl im Kriminal.“
So sprachen die Wiener Hofräte noch im Jahre
1912. Es war keine imposante Sittlichkeit, aber es
waren hübsche Merkworte fürs Leben, für ein
Leben, das nicht arm war an Schönheit und Ge¬
nuß; und es war eine Klugheit, die auch den von
solchen Männern Regierten nicht immer übel be¬
kommen musstel=Die Welt ist streng geworden, sie
ist dem Hofrat, der im Bureau zierliche Tele¬
phongespräche mit eleganten Frauen führte, hart#
an den Leib gerückt. Man muß den Bunnstrahl
politischen Puritanertums fürchten, wenn man sich
mit einer leisen, sinnenfrohen Sehnsucht an diese
Zeit erinnert, die durch einige Jahre und doch
wie durch eine Ewigkeit getrennt hinter uns liegt,
an diese Zeit, da Schnitzlers Hofräte noch leben¬
dige Gegenwartsschilderung waren. Wären nicht
die anderen, die unheilvoll energischen Hofräte ge¬
wesen die, statt mit Frauen zu sprechen und die
Akten zu registrieren, eine verständnislose brutale!
Sachlichkeit entfalteten: der gute Typus säße viel¬
leicht noch in österreichischen Ministerien. Ein ver¬
lorener Klang aus dem alten Wien hallt herüber.!
Ein verlerener Klang? Vielleicht wird er aucht
im republikanischen Wien leise weiterklingen.
Ludwig Steiner.In