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S S
fBernhandi
Berliser Börser Courier, Berlir
Morgenausgabe
1—
Eine Prager Uraufführung.
Aus Prag schreibt uns unser Korrespondent:
Ich habe Ihnen seiner Zeit über die erfolgreichen Ur¬
aufführungen zweier Werke berichtet, deren Ver¬
fasser — unter dem Decknamen Anders — der Vor¬
stand der hiesigen dermatologischen Universitäts¬
klinik Prof. Kreibich war. Nun ist neuerlich ein be¬
kannter Prager Arzt und Gelehrter, wiederum merk¬
würdigerweise ein Dermataloge, mit einer dramati¬
schen Arbeit vor das Publikum getreten:
Prof.
Wälsch. Er hat das Pseudonym Franz Rainer
für seinen aus vier Einaktern bestehenden Zyklus ge¬
wählt, die unter dem Titel „Das heiße Herz“
zsammengefaßt sind. In allen vier Stücken werden
ruhige Menschenschicfsale plötzlich durch Explosionen
der Leidenschaft aus ihrem Geleise geworsen; alle
haben die Tragik der Eheirrung gemeinsam, den
Kampf des „heißen Herzens“ gegen die Konnention.
Im ersten Stück: „Der Fakir“, weckt der nach
Jahren wiedertehrende Jngendgeliedte der Hausfran, 1.
der sich an das Ende der Welt mit seinem Liebes¬
schmerz zurückgezogen hat, in der Frau das Weib.
Sie, die sich bisher klug und zurückhalend dem törich¬
„
ten und selbstgefalligen Gatten blind hingegeben
hatte, wirft sich mit Leidenschaft dem Jugendfreund
an den Hals.
Das zweite Stück, „Ein Wiedersehen“
läßt den früheren Geliebten zur Frau zuruckkehren,
nachdem diese Witwe geworden ist. Ihr Alles ist
ihr Kind, dessen Vaier der Geliebte, nicht der Gatte
war. Schon flammt ihr heißes Herz wieder auf, da
beleuchtet der plötzliche Tod dieses Kindes die Seele
des Mannes wie ein greller Blitz.
Seine Kälte,
seine Eigensucht, seine Gefühlslosigkeit zwingen sie
noch rechtzeitig zur Abkehr von ihm.
„Im Liebesnest“ der dritte Einakter, ist mit
gplosiver Spannung erfüllt. In das trauliche Bei¬
kammensein einer verheirateten Frau mit ihrem
Freund dringt ein Fremder ein, der, die Ueber¬
raschung zu einer brutalen Erpressung nützend, von
dem Freund der Frau erdolcht wird.
Das vierte Stück endlich, „Der Schnitter“
enthüllt in der Sterbestunde einer alten Frau ein
ihr Leben lang sorgsam gehütetes Geheimnis: daß
der junge Mann, den ihre Tochter sich erkoren hat,
ihr Sohn ist. Sie verhütet durch ihre Beichte die
blutschänderische Verbindung der Geschwister. Die
vier Akte sind geschickt, mit viel Sinn für das Büh¬
nenmäßige aufgebaut und variieren das Leitmotiv
in steter, wirksamer Steigerung. Stimmung, Form,
Geschmack und der kluge, fließende Dialog lassen in
dem Autor zugleich den Dichter und den erfahrenen,
gütigen, menschenfreundlichen Arzt erkennen. Das
Publiku#####ete den vier Szenen, die Regisseur
Herbert Mühlberg sehr glücklich ausgestaltete,
die wärmste Aufnähme.
Schnitzlers „Professor Bernhardi“
der im alten Oesterreich von der Zensur verboten
war, wurde hier zum erstenmal aufgeführt. Wie¬
wohl die Tage, da das Stück aktuell war, verflossen
zu sein scheinen, weckten doch der Kampf zwischen
Klerikalismus und Freidenkertum und die prächtig
gezeichneten österreichischen Beamten= und Gelehrten¬
typen das lebhafteste Interesse und demonstrative)
Beifallskundgebungen.
R. M
box 31/3
Wien, I., Concordiaplatz 19..—
Karisballer Tagbiat.
0( Stadttheater. Dienstag, den 27. Maj.
„Pinssessor Berohardi“, Komödie in säuf Aufzügen
von Artur Schnitzler. Die im alten Oesterreich verboten
gewesenen Bühnenwerke, deren es bei der Zopfigkeit der alten
Zenfur eine Unzahl gibt, kommen nun langsam zum Vorschein.
So hat auch die zührige Direktion unseres Stadttheaters nach
dem „Feldherrnhügel“ unserer Theaterpublikam nun auch die
Bekanntschaft mit „Professor Bernhard!“ vermittelt. Profissor
Bernhardi, der Direktor eines Wiener Privatkrankenhauses,
nebenbei gesagt, ein Jube, verweigert dem Priester, der
gekommen ist, um eine im Sterben liegende Kranke zu ver¬
sehen, den Zuteitt zu ihr, nicht aus konfessionellem oder poli¬
tischem Fauatismus, sondern aus reiner Menschenliebe, weil
sich das Mädchen, das unmittelbar vor dem Tode steht, im
Zustande der Euphorie befinbet jenem merkwürdigen Zustand
äußeren Wohlbefindens, in dem der Kranke auf baldige Ge¬
nesung hofft. Auch das junge Mädchen ist felsenfest davon
überzengt, daß sie auf dem Wege der Genesung, ja daß
schon gesund ist, und erwartet ihren Geliebten, der sie aus
dem Elend dem Glück entgegenführen soll. Und dieses letzte
lurze Glück will der Menschenfreund Bernhardi dem Mädchen
durch das Erscheinen des Priesters nicht verkürgen lassen. Die
Folge ist eine unglaubliche Hetze gegen den Professor, wobei
der Umstand, daß er Jude ist, weidlich ausgenützt wird;
Strebertum, Antisemitismus und Vigotismus bringen es
schließlich soweit, daß der Professor wegen Religionsstörung
auf Grund falscher Zengenaussage verurteilt wird. Angeekelt!
von diesem Treiben will Bernhardi, als die Hauptzeugin
später gesteht, eine falsche Zeugenaussage gemacht zu hoben,
nicht einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens austreben.
Dasselbe wird aber gegen seinen Willen burchgeführt. Schnitzlers
liebenswürdige, graziöse Art, die Dinge gefällig vorzutragen,
geistreich zu sein, ohne durch aufdringliche Geistreicheleien
zu bluffen, gesellschaftlichen Schwächen keck zu Leibe zu gehen,
ohne dabei jemanden ernstlich weh zu tun, finden wir auch
in diesem Stücke wieder. Und auch seine Schwäche, die uns
in fast allen seiner neueren Komödien begegnet, tritt aus hier
entgegen, nämlich daß er das „Dramatische“ gar zu sehr
vernachlässigt und seine liebe, wienerische Manier, ausgiebig
zu plauschen und sich gar zu oft ins „weite Land“ der un¬
begreuzten Redseligkeit zu verlieren. So find denn auch manche
Szenen, besonders im 4. und 5 Akte, trotzdem sie gerabe für
die Herausarbeitung der Tendenz des Stückes die wichtigsten
sind, ermüdend in ihrer Langschweisigkeit. Die Darsteller
haben eine schwierige Aufgabe. Das Stück enthält lange
Kollen, die durchwegs gründliches Studium erheischen, gründ¬
licher, als es bei der Kürze der in Karlsbad zur Einstudierung
zur Verfügung stehenden Zeit möglich ist, und so kommt es
natärlich, daß manchmal vie Abhängigkeit vom Souffleurkaßen
gar zu auffällig wird. Die schwierige Rolle des Professor
Bernhardi gab Herr Emil Feldmar mit Sicherheit und
gemessener Ruhe, vielleicht allzuruhig, denn bei mauchen
Steller wirkte diese Ruhe fast zu unnatürlch Auch möchten
wir dem Künstler ein etwas lauteres Sprechen empfehlen, da
er in den hinteren Rängen fast unverständlich blieb. In
den Srofessorenrollen taten sich die Herren Gregor,
Allmer und Mraschner hervor. Eine hübsche ab¬
gerundete Leistung bot Herr Storm als Pfarrer Reder.
Mit dem gemütlichen Wiener Hofrat Winkler stellte Herr
Buchsein eine prächtige Figur auf die Bühne. Das Stück
weis nur eine einzige, noch dazu kurze Dameurolle, auf,
die der Krankenschwester Ludmilla, die von Frl. Horwitz
entsprechend dargestellt wurde. Die Regie hatte Herr Feldmar
mit Umsicht inne. Das Haus war gat besucht, und spendete
dem Stücke, das gewiß noch zahlreiche Wiederholungen mit
Erfollg erleben dürfte, reichlichen Beifall.
S S
fBernhandi
Berliser Börser Courier, Berlir
Morgenausgabe
1—
Eine Prager Uraufführung.
Aus Prag schreibt uns unser Korrespondent:
Ich habe Ihnen seiner Zeit über die erfolgreichen Ur¬
aufführungen zweier Werke berichtet, deren Ver¬
fasser — unter dem Decknamen Anders — der Vor¬
stand der hiesigen dermatologischen Universitäts¬
klinik Prof. Kreibich war. Nun ist neuerlich ein be¬
kannter Prager Arzt und Gelehrter, wiederum merk¬
würdigerweise ein Dermataloge, mit einer dramati¬
schen Arbeit vor das Publikum getreten:
Prof.
Wälsch. Er hat das Pseudonym Franz Rainer
für seinen aus vier Einaktern bestehenden Zyklus ge¬
wählt, die unter dem Titel „Das heiße Herz“
zsammengefaßt sind. In allen vier Stücken werden
ruhige Menschenschicfsale plötzlich durch Explosionen
der Leidenschaft aus ihrem Geleise geworsen; alle
haben die Tragik der Eheirrung gemeinsam, den
Kampf des „heißen Herzens“ gegen die Konnention.
Im ersten Stück: „Der Fakir“, weckt der nach
Jahren wiedertehrende Jngendgeliedte der Hausfran, 1.
der sich an das Ende der Welt mit seinem Liebes¬
schmerz zurückgezogen hat, in der Frau das Weib.
Sie, die sich bisher klug und zurückhalend dem törich¬
„
ten und selbstgefalligen Gatten blind hingegeben
hatte, wirft sich mit Leidenschaft dem Jugendfreund
an den Hals.
Das zweite Stück, „Ein Wiedersehen“
läßt den früheren Geliebten zur Frau zuruckkehren,
nachdem diese Witwe geworden ist. Ihr Alles ist
ihr Kind, dessen Vaier der Geliebte, nicht der Gatte
war. Schon flammt ihr heißes Herz wieder auf, da
beleuchtet der plötzliche Tod dieses Kindes die Seele
des Mannes wie ein greller Blitz.
Seine Kälte,
seine Eigensucht, seine Gefühlslosigkeit zwingen sie
noch rechtzeitig zur Abkehr von ihm.
„Im Liebesnest“ der dritte Einakter, ist mit
gplosiver Spannung erfüllt. In das trauliche Bei¬
kammensein einer verheirateten Frau mit ihrem
Freund dringt ein Fremder ein, der, die Ueber¬
raschung zu einer brutalen Erpressung nützend, von
dem Freund der Frau erdolcht wird.
Das vierte Stück endlich, „Der Schnitter“
enthüllt in der Sterbestunde einer alten Frau ein
ihr Leben lang sorgsam gehütetes Geheimnis: daß
der junge Mann, den ihre Tochter sich erkoren hat,
ihr Sohn ist. Sie verhütet durch ihre Beichte die
blutschänderische Verbindung der Geschwister. Die
vier Akte sind geschickt, mit viel Sinn für das Büh¬
nenmäßige aufgebaut und variieren das Leitmotiv
in steter, wirksamer Steigerung. Stimmung, Form,
Geschmack und der kluge, fließende Dialog lassen in
dem Autor zugleich den Dichter und den erfahrenen,
gütigen, menschenfreundlichen Arzt erkennen. Das
Publiku#####ete den vier Szenen, die Regisseur
Herbert Mühlberg sehr glücklich ausgestaltete,
die wärmste Aufnähme.
Schnitzlers „Professor Bernhardi“
der im alten Oesterreich von der Zensur verboten
war, wurde hier zum erstenmal aufgeführt. Wie¬
wohl die Tage, da das Stück aktuell war, verflossen
zu sein scheinen, weckten doch der Kampf zwischen
Klerikalismus und Freidenkertum und die prächtig
gezeichneten österreichischen Beamten= und Gelehrten¬
typen das lebhafteste Interesse und demonstrative)
Beifallskundgebungen.
R. M
box 31/3
Wien, I., Concordiaplatz 19..—
Karisballer Tagbiat.
0( Stadttheater. Dienstag, den 27. Maj.
„Pinssessor Berohardi“, Komödie in säuf Aufzügen
von Artur Schnitzler. Die im alten Oesterreich verboten
gewesenen Bühnenwerke, deren es bei der Zopfigkeit der alten
Zenfur eine Unzahl gibt, kommen nun langsam zum Vorschein.
So hat auch die zührige Direktion unseres Stadttheaters nach
dem „Feldherrnhügel“ unserer Theaterpublikam nun auch die
Bekanntschaft mit „Professor Bernhard!“ vermittelt. Profissor
Bernhardi, der Direktor eines Wiener Privatkrankenhauses,
nebenbei gesagt, ein Jube, verweigert dem Priester, der
gekommen ist, um eine im Sterben liegende Kranke zu ver¬
sehen, den Zuteitt zu ihr, nicht aus konfessionellem oder poli¬
tischem Fauatismus, sondern aus reiner Menschenliebe, weil
sich das Mädchen, das unmittelbar vor dem Tode steht, im
Zustande der Euphorie befinbet jenem merkwürdigen Zustand
äußeren Wohlbefindens, in dem der Kranke auf baldige Ge¬
nesung hofft. Auch das junge Mädchen ist felsenfest davon
überzengt, daß sie auf dem Wege der Genesung, ja daß
schon gesund ist, und erwartet ihren Geliebten, der sie aus
dem Elend dem Glück entgegenführen soll. Und dieses letzte
lurze Glück will der Menschenfreund Bernhardi dem Mädchen
durch das Erscheinen des Priesters nicht verkürgen lassen. Die
Folge ist eine unglaubliche Hetze gegen den Professor, wobei
der Umstand, daß er Jude ist, weidlich ausgenützt wird;
Strebertum, Antisemitismus und Vigotismus bringen es
schließlich soweit, daß der Professor wegen Religionsstörung
auf Grund falscher Zengenaussage verurteilt wird. Angeekelt!
von diesem Treiben will Bernhardi, als die Hauptzeugin
später gesteht, eine falsche Zeugenaussage gemacht zu hoben,
nicht einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens austreben.
Dasselbe wird aber gegen seinen Willen burchgeführt. Schnitzlers
liebenswürdige, graziöse Art, die Dinge gefällig vorzutragen,
geistreich zu sein, ohne durch aufdringliche Geistreicheleien
zu bluffen, gesellschaftlichen Schwächen keck zu Leibe zu gehen,
ohne dabei jemanden ernstlich weh zu tun, finden wir auch
in diesem Stücke wieder. Und auch seine Schwäche, die uns
in fast allen seiner neueren Komödien begegnet, tritt aus hier
entgegen, nämlich daß er das „Dramatische“ gar zu sehr
vernachlässigt und seine liebe, wienerische Manier, ausgiebig
zu plauschen und sich gar zu oft ins „weite Land“ der un¬
begreuzten Redseligkeit zu verlieren. So find denn auch manche
Szenen, besonders im 4. und 5 Akte, trotzdem sie gerabe für
die Herausarbeitung der Tendenz des Stückes die wichtigsten
sind, ermüdend in ihrer Langschweisigkeit. Die Darsteller
haben eine schwierige Aufgabe. Das Stück enthält lange
Kollen, die durchwegs gründliches Studium erheischen, gründ¬
licher, als es bei der Kürze der in Karlsbad zur Einstudierung
zur Verfügung stehenden Zeit möglich ist, und so kommt es
natärlich, daß manchmal vie Abhängigkeit vom Souffleurkaßen
gar zu auffällig wird. Die schwierige Rolle des Professor
Bernhardi gab Herr Emil Feldmar mit Sicherheit und
gemessener Ruhe, vielleicht allzuruhig, denn bei mauchen
Steller wirkte diese Ruhe fast zu unnatürlch Auch möchten
wir dem Künstler ein etwas lauteres Sprechen empfehlen, da
er in den hinteren Rängen fast unverständlich blieb. In
den Srofessorenrollen taten sich die Herren Gregor,
Allmer und Mraschner hervor. Eine hübsche ab¬
gerundete Leistung bot Herr Storm als Pfarrer Reder.
Mit dem gemütlichen Wiener Hofrat Winkler stellte Herr
Buchsein eine prächtige Figur auf die Bühne. Das Stück
weis nur eine einzige, noch dazu kurze Dameurolle, auf,
die der Krankenschwester Ludmilla, die von Frl. Horwitz
entsprechend dargestellt wurde. Die Regie hatte Herr Feldmar
mit Umsicht inne. Das Haus war gat besucht, und spendete
dem Stücke, das gewiß noch zahlreiche Wiederholungen mit
Erfollg erleben dürfte, reichlichen Beifall.