box 31/3
25. BrefesBernhand
—
de in ein mitniche Gilcg von Dihte. —
Residenz=Theater: „Professor Bernhardi
5X vom Zuschauerraum aus angeblickt. Der Dichter schlägt sich mit
einem Problem. Man freut sich, daß es in Wiener Stadtluft hinein¬
Artur Schnitzler wurde vor kurzem 60 Jahre alt. Man getaucht wurde. Alles wird dadurch sanfter, alles wird dadurch
hob ihn nicht so geräuschvoll zur feierlichen Aufmerksamkeit der inniger an den Boden verknüpft. Schnitzler, selber ein Arzt, hat
Menge empor, wie es Gerhart Hauptmann sich gefallen lassen mußte.
viele Aerzte in dieser Komödie erkannt und gezeichnet. Man möchte
Ja, es schien sogar, als wenn man etwas kühl an dem jungen Manne
sagen, der sechzigjährige Klassiker des Aerztedramas, hat die Stand¬
vorbeiging, der eben den ersten Schritt ins Greisenalter tat. Die
und Rangliste seiner Fachgenossen hochgerecht aufgeschrieben.
Bühnen Deutschlands spielten in der letzten Zeit wenig Schnitzler, und
Das Stück ist sehr gut gezimmert. Die Theorie, die verhandelt
wenn sie ihn spielten, erinnerten sie sich nur an den Skandalerfolg
wird, klingt ständig ins Ohr. Sie klingt, weil das Gleichgewicht der
des „Reigens“ oder an die Molligkeit des süßen Mädchens, das nach Theaterszenen sehr behutsam und weise ausgewogen wurde. Vier
dem Urteil kinger Literaturforscher Schnitzlers unsterbliches Geschöpf
ernste Akte haben einen fünften als Satirspiel, in dem alles von
sein soll. Nun, er ist mehr als ein Schöpfer der fesselnden Schlüpf¬
der heitersten Seite gestreift wird.
rigkeit oder der mahnenden Gutmütigkeit. Er war auch ein Ge¬
Die Komödie ganz wienerisch zu spielen, gelingt dem Residenz¬
sellschaftskritiker, er hat sich sogar mit der Politik herumgeschlagen.
theater nicht. Heinz Salfner, der Bernhardi, gibt seinem Arzt
Nur pflegte er die Tendenz nicht sehr laut in den Mund zu nehmen.
eine sehr schöne, von Ironie durchronnene Ausdeutung. Er ist gutf
Hatte er z. B., wie in diesem Aerztestück, vom Professor Bernhardi
in seiner Rolle, er spielt nicht nur von außen her, was eigentlich die
Unduldsamkeit der Kirche gegenüber der Mildigkeit der medizinischen
übrigen alle taten. Die übrigen rieben sich nur an der Fassade ihrer
Wissenschaft sestzustellen, so tat er es nicht mit der drohenden Faust.
Rolle. Sie spielten mit Maske, nicht mit ihrer Kraft. Und ein
Er belächelte, er hechelte mit Humor.
Wirrwarr des Dialektischen herrschte, durch den man gerade Schnitzler.
Dieser Arzt, der seinen armen Patienten die letzte Lebensstunde
immer verdirbt. Gewiß, das Gepulverte in dieser Komödie der Welt¬
nicht durch den Zelotismus vergällen lassen möchte, ist wahrlich kein
anschauungen gelingt immer. Der Regisseur muß aber über dieses
Fanatiker oder Parteigänger. Der Sterbende, der von seinem Tode Selbstverständliche hinaus die Dinge und die Menschen nuancieren.)
nichts ahnt, ja, der von dem Wunder einer glückseligen Stimmung
Da versagten der Regisseur und die Schauspieler vollständig.
kurz vor dem Verscheiden begünstigt wird, gehe hin in Frieden. Wie
Max Hochdorf.
kann es ein Menschenfreund von Rang und rechtlichem Empfinden
gestatten, daß der Pfafse zu diesem lebenden Leichnam tritt, um ihm
die letzte Oelung aufzuzwingen? Das Stück spielt im kaiserlichen
Wien. Doktor Vernhardis Fall kompliziert sich dadurch, daß er
jüdischer Abkunst ist. Aus dem Freidenkerstück wird ein Rassen= und
Religionsstück. Kein Zweifel, für wen Schnitzler Partei nimmt. Aber
es gibt auch im Parteinehmen eine gewisse Vornehmheit, die höchst
moralisch wirkt. Die Bornierten und Streder in der Komödie werden
karikiert, sicherlich, aber ein Psycholog setzt die Lichter so zart auf,
daß er auch an die tieferen Herzenskammern der Verfinsterten Wahr=
heit heranbringt. Es gibt sogar einen Moment der Tragik in dieser
Komödie. Der Arzt hat eben die Gesängnisstrafe abgesessen, die
ihm seine vermeintliche Gotteslästerung eintrug. Der Priester, der
Hauptschuldige an dieser Verurteilung, kommt, um sich auszusöhnen.
Nun stehen sich gegenüber der Mann Gottes und der Mann mit
der freien Religion, der sich still, aber nicht minder energisch rühmt,
daß er auch den Born der tieferen Sittlichkeit suche. Und man weiß
nicht, ob bei der pathetischen Rede und Gegenreve, die ein Ringen
um höchste Weltanschauung ist, der kirchlich=fromme oder der weltlich¬
fromme das ewige Recht gesunden hat. Priester und Arzt stehen
vor einem Abgrund, jeder an einem anderen Rande. Sie wollen
nicht in die Schlucht des Abgrundes blicken. Sie wollen sich nur
die Hände reichen.
Teäzh 28.7. 22
25. BrefesBernhand
—
de in ein mitniche Gilcg von Dihte. —
Residenz=Theater: „Professor Bernhardi
5X vom Zuschauerraum aus angeblickt. Der Dichter schlägt sich mit
einem Problem. Man freut sich, daß es in Wiener Stadtluft hinein¬
Artur Schnitzler wurde vor kurzem 60 Jahre alt. Man getaucht wurde. Alles wird dadurch sanfter, alles wird dadurch
hob ihn nicht so geräuschvoll zur feierlichen Aufmerksamkeit der inniger an den Boden verknüpft. Schnitzler, selber ein Arzt, hat
Menge empor, wie es Gerhart Hauptmann sich gefallen lassen mußte.
viele Aerzte in dieser Komödie erkannt und gezeichnet. Man möchte
Ja, es schien sogar, als wenn man etwas kühl an dem jungen Manne
sagen, der sechzigjährige Klassiker des Aerztedramas, hat die Stand¬
vorbeiging, der eben den ersten Schritt ins Greisenalter tat. Die
und Rangliste seiner Fachgenossen hochgerecht aufgeschrieben.
Bühnen Deutschlands spielten in der letzten Zeit wenig Schnitzler, und
Das Stück ist sehr gut gezimmert. Die Theorie, die verhandelt
wenn sie ihn spielten, erinnerten sie sich nur an den Skandalerfolg
wird, klingt ständig ins Ohr. Sie klingt, weil das Gleichgewicht der
des „Reigens“ oder an die Molligkeit des süßen Mädchens, das nach Theaterszenen sehr behutsam und weise ausgewogen wurde. Vier
dem Urteil kinger Literaturforscher Schnitzlers unsterbliches Geschöpf
ernste Akte haben einen fünften als Satirspiel, in dem alles von
sein soll. Nun, er ist mehr als ein Schöpfer der fesselnden Schlüpf¬
der heitersten Seite gestreift wird.
rigkeit oder der mahnenden Gutmütigkeit. Er war auch ein Ge¬
Die Komödie ganz wienerisch zu spielen, gelingt dem Residenz¬
sellschaftskritiker, er hat sich sogar mit der Politik herumgeschlagen.
theater nicht. Heinz Salfner, der Bernhardi, gibt seinem Arzt
Nur pflegte er die Tendenz nicht sehr laut in den Mund zu nehmen.
eine sehr schöne, von Ironie durchronnene Ausdeutung. Er ist gutf
Hatte er z. B., wie in diesem Aerztestück, vom Professor Bernhardi
in seiner Rolle, er spielt nicht nur von außen her, was eigentlich die
Unduldsamkeit der Kirche gegenüber der Mildigkeit der medizinischen
übrigen alle taten. Die übrigen rieben sich nur an der Fassade ihrer
Wissenschaft sestzustellen, so tat er es nicht mit der drohenden Faust.
Rolle. Sie spielten mit Maske, nicht mit ihrer Kraft. Und ein
Er belächelte, er hechelte mit Humor.
Wirrwarr des Dialektischen herrschte, durch den man gerade Schnitzler.
Dieser Arzt, der seinen armen Patienten die letzte Lebensstunde
immer verdirbt. Gewiß, das Gepulverte in dieser Komödie der Welt¬
nicht durch den Zelotismus vergällen lassen möchte, ist wahrlich kein
anschauungen gelingt immer. Der Regisseur muß aber über dieses
Fanatiker oder Parteigänger. Der Sterbende, der von seinem Tode Selbstverständliche hinaus die Dinge und die Menschen nuancieren.)
nichts ahnt, ja, der von dem Wunder einer glückseligen Stimmung
Da versagten der Regisseur und die Schauspieler vollständig.
kurz vor dem Verscheiden begünstigt wird, gehe hin in Frieden. Wie
Max Hochdorf.
kann es ein Menschenfreund von Rang und rechtlichem Empfinden
gestatten, daß der Pfafse zu diesem lebenden Leichnam tritt, um ihm
die letzte Oelung aufzuzwingen? Das Stück spielt im kaiserlichen
Wien. Doktor Vernhardis Fall kompliziert sich dadurch, daß er
jüdischer Abkunst ist. Aus dem Freidenkerstück wird ein Rassen= und
Religionsstück. Kein Zweifel, für wen Schnitzler Partei nimmt. Aber
es gibt auch im Parteinehmen eine gewisse Vornehmheit, die höchst
moralisch wirkt. Die Bornierten und Streder in der Komödie werden
karikiert, sicherlich, aber ein Psycholog setzt die Lichter so zart auf,
daß er auch an die tieferen Herzenskammern der Verfinsterten Wahr=
heit heranbringt. Es gibt sogar einen Moment der Tragik in dieser
Komödie. Der Arzt hat eben die Gesängnisstrafe abgesessen, die
ihm seine vermeintliche Gotteslästerung eintrug. Der Priester, der
Hauptschuldige an dieser Verurteilung, kommt, um sich auszusöhnen.
Nun stehen sich gegenüber der Mann Gottes und der Mann mit
der freien Religion, der sich still, aber nicht minder energisch rühmt,
daß er auch den Born der tieferen Sittlichkeit suche. Und man weiß
nicht, ob bei der pathetischen Rede und Gegenreve, die ein Ringen
um höchste Weltanschauung ist, der kirchlich=fromme oder der weltlich¬
fromme das ewige Recht gesunden hat. Priester und Arzt stehen
vor einem Abgrund, jeder an einem anderen Rande. Sie wollen
nicht in die Schlucht des Abgrundes blicken. Sie wollen sich nur
die Hände reichen.
Teäzh 28.7. 22