II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 576

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25. Professor Bernhandi
Rist ier G
Anders Martin. Wir hatten den Krieg, die
BERLINER THEATER
Revolution; wir haben den Zeichner George Groß.
Eindeutigkeit verlangt das Parkett von Sternheims
VON GESELLSCHAFTSSTUCKEN
ehemals mehrdeutiger Gesellschaftskomödie. Ein
UND IHREM SCHICKSAL
klares Entweder-Oder. Nicht Altheidelberg und
Zynismus. Eines von beiden! Es wird geliefert:
Gesellschaftsstücke. Das ist ihr Schicksal: daß
vom geänderten Parkett aus ändert der Regisseur
sie, von einer Gesellschaft handelnd, sich auch
das Stück. Nicht mehr segnet der rührend an¬
an eine Gesellschaft wenden (wofern sie nicht in
mutige Wolke mit augen-nassem Gefühl das
allen ihren Teilen auch Mythisches, Immer-Gültiges
Thüringerländchen; ein anderer Kerl, mit einem
tragen .. was aber doch unmöglich ist). Das ist
Filzhut, forsch-trocken, wie hingestiftet von Georg
ihr Schicksal: daß sie gezwungen sind, eine Ge¬
Groß, eine Mechanik, stapft ein und aus. Selbst¬
sellschaft vorauszusetzen, ein Unfrei-Relatives
tätig laufen die Finger des Darstellers Gassen¬
also — nicht etwas Absolutes, wie eine Ge¬
hauer und Kalauer ab. Vunderbar seelenlos und
meinde es wäre, die durch ein freies Erleben
präcise; der deutsche Mensch ist völlig Phonola
sich erneuert und ergänzt. Auch „Bürger
geworden. Eine entschiedene Karrikatur, ein
Schippel“ von Sternheim teilt dieses Schicksal.
nackter, hingeätzter Hohn: so hat sich das Stück
Auch an ihm ist das Jahrzehnt seiner Existenz
von Viktor Arnold zu Julius E. Herrmann, von
(im Winter 1912/13 wurde das Lustspiel von den
Diegelmann zu Valentin, von Biensfeldt zu Eugen
Kammerspielen uraufgeführt) nicht spurlos vor¬
Rex verwandelt. Und nur so darf sie heute viel¬
übergegangen. Die geänderte Weltenschichtung
leicht gespielt werden, diese einmal so musi¬
bedingt ein geändertes Parkett.
kalische Komödie von der Lächerlichkeit dreier
Auf eine instinktsichere Weise hat jetzt, im
Stände. Wie die sich heut in den Haaren liegen,
Lessingtheater, vom veränderten Parkett aus der
das kann ja auch keine Musik mehr schildern!
Regisseur Karlheinz Martin auch das Stück
Damals, vor zehn Jahren, durfte sogar noch Alfred
verändert. Mit ein paar knappen, aber entschei¬
Abels prachtvoller Schippel charmant und beinahe
denden Griffen. In Reinhardts unvergeßbarer Ur¬
sentimental sein. Ein bedeutsames Gegenstück
gestaltung lief das Stück elliptisch um Bosheit
zum Charmanten und sentimentalen Fürsten, der
und um wirkliches Gefühl: neben Schippel, ein
wie der Proletarier von links — verlangend
zweiter Brennpunkt, stand Buchdruckereibesitzer
von rechts die Hand auf die blonde Hüfte des
Wolke. Mich täuscht da nicht die Erinnerug an
schließlich siegreichen Bürgertums legt.
den geliebten Viktor Arnold: mit dessen Rolle
Heute trägt Granach den roten Schopf. Er
hatte Reinhardt (wie auch mit der des Hicketier
geht noch weiter als Martin — und geht zu weit.
und Krey) Sternheim zweifellos besser verstanden,
Zu dynamisch, zu ernst, zu tragisch-wichtig zer¬
als Karlheinz Martin notgedrungen ihn heute ver¬
bricht dieser Schippel dem Regisseur den karrika¬
stehen darf. Sternheim — das bedeutete ursprüng¬
turistischen Fries. Das Stück ist Wurfküche seiner
lich doch etwas wie Nachthimmel und „Heim der
Kraft. Er platzt Georg-Kaisersche Energieen in
Sterne“ und ein Beginnen aus romantischem Über¬
Sternheims Porzellanladen hin — aus dem ganz
schwang. Sternheim — das war einmal der
unbeschädigt nur einer davonschwebt. Hubert
deutsch-mystische Dichter des „Don Juan“ und
von Meyerincks Leistung (der Fürst) ist
von „Ulrich und Brigitte“. Als Sternheim später
die reifste und rundeste des Abends: voll Martin¬
den Schippel schrieb, verspottete er zwar Deutsch¬
Groß’scher Karrikatur und voll vom Menuett¬
heit, Lied und Lorbeerkranz — aber er glaubte
schritt der Uraufführung, kontrapunktisch erdacht
noch gleichzeitig daran. Dashalb wird gerade
wie vom Zauber Reinhardt.
Reinhardts kontrapunktische Aufführung
II.
immer gedenkenswert bleiben — mit ihrem sym¬
bolischen dritten Aktschluß: links der unroman¬
Die Neuaufführung eines alten Gesellschafts¬
tisch-zynische Mädchenraub, auf der Leiter voll¬
stückes von Schnitzler bei Fritz Rotter
führt — rechts der „Jägerchor“ aus dem „Frei¬
(mit Salfner in der Titelrolle) macht mir Lust
schütz“, völlig ernst von schönen Stimmen
und Gelegenheit, den Jahrgang 1912/13 der
aus dem nachtlaubzitternden Fenster gesungen.
„Deutschen Montagszeitung“ aufzuschlagen und
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