II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 578

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auftauchte — die ganz bekannte Bezeichnung eines
Aber das weitaus größte an dieser großen
Zustandes, der vor dem Tode manchmal eintritt
Dichtung ist nicht das Antlitz Kleists, zu dem
und der dem Kranken die süßesten Lebenshoff¬
ihre Züge sich manchmal zusammenschließen,
nungen vorgaukelt — so war es, als ob sich auf
sondern die wunderbare Verwandlung, die aus
diesem Gesicht langsam die Züge Shaws macht.
einmal etwas Süßes, Wohlduftendes in diesem
Denn auch hier: Ebenbürtigkeit. Wenn der Ro߬
Aerztezimmer verbreite: ein Blumenstrauß mochte,
verborgen in einem einzigen Worte und der Spiege¬
kamm in seiner tausendfüßigen Macht sich auf
die tausendfüßige Macht des Junkers, den Staat,
lung, die es auf den Gesichtern der anderen her¬
stürzt, so sind es immerhin zwei Willen, die auf
vorbringt, vorübergetragen worden sein.“
einander platzen. An der Peripherie beider Sterne
mögen manche Moleküle lässiger denken, die
Ja, ich erinnere mich. „Professor Bernhardi“
war durchgefallen. Soweit das Stück eines
beiden Zentren eilen jedenfalls aus wütendstem
anerkannten und sonst in Serien gespielten Autors
Willen gegeneinander. Aber Bernhardi? Aber der
überhaupt durchfallen konnte, war dies Gesell¬
Priester? Schnitzler ist in den genialen Einfall
schaftsstück durchgefallen, in Barnowskys „Kleinem
geraten, daß die beiden Lawinenkerne eigentlich
Theater“, und zwar aus gesellschaftlichen Gründen,
nicht Lawinenkerne sein wollen, daß sie eigentlich
die zu betrachten historisch lohnt.
Quietisten sind, daß sie am liebsten von innen
Das künstlerische Niveau Berlins (man weiß,
aus gegen ihre Peripherie, ihre Anhänger, revol¬
es war kein geringes Niveau) war damals rein
tieren möchten. Die Szene, in der sie sich dies
romantisch-impressionistischer Art. Und gerade
gegenseitig entdecken und sich beide zaghaft zu
für diesen Pegelstand, der ziemlich einheitlich von
nähern beginnen (Bernhardi handelt denn später
der Bühne her quer durch das Publikum in die
nach seiner Erkenntnis, während der Priester, teil¬
Redaktionsstuben ging, kam „Professor Bernhardi“
weise aus Feigheit, teilweise aus heroischem
nicht in Betracht. Man konnte nicht begreifen,
Politismus schließlich in seiner einmal ange¬
warum in einem Stück nur Männer auftraten —
nommenen Meinungskugel verbleibt), hat man
edelmuttriefend genannt, weil man darin einen
Männer, die nicht zu Frauen sprachen, Männer, in
seltenen Austausch von nGerechtigkeiten“ er¬
deren linker Brustseite das Uhrwerk der Ideen lief.
blickte. In Wirklichkeit ist sie von jenem tragi¬
Man witterte da eine Rückkehr zum eben ein¬
schen Humor, der Shaw heißt — dabei viel weniger
gesargten lbsen. Das Stück war — obendrein für
Schnitzler, von dem altgoldnes Herbstlaub zu er¬
auftrumpfend, knochennackt und deiktisch.
warten war und Abendrauch des Wienerwalds -
Wäre dem Regisseur Barnowsky bisher nichts
zu norwegisch, um angenehm zu sein.
anderes eingefallen als dies: während der Streit
Und heute? Schicksal der Gesellschaftsstücke!
zwischen Bernhardi und dem Pfarrer zum heiligen
Florian ausbricht, die übrigen Schauspieler weg¬
Um des genauen Gegenteils willen findet es laue
zuhalten, sie mit Kleinigkeiten zu beschäftigen,
Rezensenten. Nicht weil es ein Männerstück ist
so daß sie nicht zuhören — dadurch wird nicht
und voll Thesensetzung: Goerings „Seeschlacht“,
Tollers „Wandlung“, „Masse Mensch“, „Maschinen¬
etwa, materialistisch, nur dargetan, daß diese Szene
stürmer“ — alle Revolutionsstücke waren Männer¬
widersprechende Zeugenaussagen später aufweisen
kann, sondern, daß dies Geschehnis selbst ur¬
dramen und setzten Thesen im ldeellen. Aber seit
sprünglich ganz geringfügig, unwichtig, ungefähr¬
Krieg und Revolution scheint gerade „Professor
lich auch den Darumstehenden erscheint — wäre
Bernhardi“ nicht männlich genug. Einst mißfiel
diesem Regisseur sonst nie etwas gelungen, er
an diesem Schauspiel das Norwegertum — heute
schuldigt man es der Österreicherei an.
wäre schon der Einzige in Berlin, der, augenblick¬
lich, nach Reinhardt in Betracht kommt. Er brachte
Früher störte, was ich in halbbewußter Übertrei¬
bung das Kleistische nannte, heute die Maske Shaws.
diesmal mit den Seinen (Adalbert, Landa, Klein¬
Rhoden, Marx, Platen, Herzfeld, Gottowt, Abel) alles
Dagegen läßt sich nun wenig sagen. Ein Parkett
heraus, was Schnitzler wollte; sämtliche Halb¬
kann man schwer widerlegen. Ein Dichter, der
stimmen, Zwischentöne, Seitenlichter. Er sorgte
ein Gesellschaftsstück schreibt, muß ohnehin
wissen, daß er nur für einen Augenblick schreibt;
nicht nur, daß sich der Leitartikel vermenschlichte:
den Augenblick, der in der Realität entweder ist
er übersah auch nicht die kleinen Lieblichkeiten
oder nicht ist. Ist er in der Realität, glückt
in diesen Szenen. Wenn das Wort Euphorie
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