II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 579

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25. Profe Bernhand
es dem Dichter den Kairos der Griechen zu
Die heroische Geistesart geht das Leben von vorne
packen, so stellt er mit seinem Werk den be¬
an (Beethoven, Schiller, Kleist), die skeptische
treffenden Augenblick in die unendliche Reihe der
sucht es im Umweg zu zwingen: kämpferisch ist
Ewigkeit ein, und der Augenblick ist kein Augen¬
auch die Skepsis. Die skeptische Philosophie des
blick mehr. So ging es Schiller mit seinen
Protagoras war eine Kampfhandlung gegen den
„Räubern“ Vom gepackten Parkett her wurde
athenischen Staat (eine elastische; ihr Urheber
dies Gesellschaftsstück in etwas Mythisches um¬
trank nicht Gift wie Sokrates, der Heroe). Die
geschaffen.
Linie Swift-Shaw macht seit dreihundert Jahren
Das also scheint Schnitzler nicht gelungen zu
der englischen Gesellschaft zu schaffen — und
sein. Sofern aber hier am Mißlingen die Öster¬
das blosse Vorhandensein des Werkes von Voltaire,
reicherei schuldig erscheint, will ich doch sozio¬
Renan, Michelet, Anatole France ist dem franzö¬
logischen Einspruch erheben. — Was ist das
sischen Imperialismus unangenehmer, als er zu¬
eigentlich: Österreicherei?
geben möchte. Man sollte den stark vitalistischen,
Schriebe ich heute ausführlich über den letzten
das Leben mit tausendundeiner List festhaltenden,
Akt des „Bernhardi“ (über den Akt, worin ein
gar nicht morbiden Grundzug der österreichischen
Ministerialrat meint, daß es „sich eh' nicht ver¬
Skepsis besser betrachten lernen. Seltsam: das
lohne“ und der Professor, gesammelt-ernüchtert,
Objekt der österreichischen Kunst, der öster¬
aus der Politik sich entfernt), ich würde ihn gerade
reichische Mensch, stirbt doch bekanntlich
rühmend der Österreicherei bezichtigen. Nicht
seit hundert Jahren. Wie kommt es, daß er immer
von Shaw mehr würde ich sprechen; sein Name
noch lebt — daß es ihm besser zu gehen scheint
galt mir auch wohl damals nur als ein Tertium
als dem tüchtigeren Deutschen, daß seine Kronen¬
für Skepsis. Ganz nämlich wie es eine
währung stabilisiert ist, daß er eine republikanische
spezifisch athenische, irische, französische oder
Reichswehr hat, daß keine nennenswert monarchis¬
berlinische Skepsis gibt (eine deutsche charakte¬
tische und kommunistische Gefahr ihm droht?
ristischerweise kaum), so gibt es vor allem auch
Geschieht das alles, weil er „halt kein Idealist“
eine österreichische Skepsis — und
ist, weil er vielleicht in seiner Gesamtheit das
die ist ein herrliches Eigengewächs. Für mich
Schnitzler-Geheimnis besitzt, für seine ldeen nicht
beginnt sie in der Klaviermusik Schuberts (man
zu sterben, sondern lieber für sein Leben zu
höre nur einmal den Gegensatz zu den immer
leben? (Auch das ist übrigens eine Idee.)
bejahenden, affirmativen Endungen der Mozart¬
III.
schen Schreibart heraus!). Von ihr läuft die edie
Linie des Zweifels zu Grillparzer, Raimund und
Gesellschaftsstücke und ihr Schicksal. Es mögen
Nestroy, formt sich zu journalistischem Angriff
Reiche vergehen und die Schichten der Lebenden
etwa bei Kürnberger und Karl Kraus, erreicht ihren
wechseln: ein Schauspiel, das von Juden handelt,
künstlerisch höchsten Lauf in einigen Werken
scheint den seltsamen Fluch zu haben, immer im
Hofmannsthals („Terzinen über Vergänglichkeit“.
Kairos zu kommen, etwas Immer-Aktuelles (leider!),
„Der Schwierige“) und gibt noch bei schwächeren
Mythisches zu sein. So geht denn in Taggers
Künstlern wie Schnitzler und Bahr zuweilen das
„Renaissancetheater“ und seht Euch Tschirikows
feine und kräftige Rückgrat ihrer Dialogführung ab.
„Juden“ an — den aus feinen und groben Fäden
An dem Inhalt dieser Geistesrichtung muß etwas
gewebten, mit viel Klugheit, Beobachtung und den
sein, ich zweifle nicht, was einen absoluten Wert
rechten Farben des Herzens ausgelegten Gobelin.
repräsentiert — nur hat es der Norddeutsche
Mitleid und Furcht sind nicht nur die Keimzellen
ungern wahr. Die neuerlich laue Aufnahme des
des Dramas; es sind auch die Ur-Instrumente
Schnitzlerstückes beweist es wieder: die meisten
der Schauspielkunst. Ihre Grelle dämpft Karl¬
Menschen hierzulande hören, wo Skepsis gestaltet
heinz Martin hier ins herzstockend Leise
wurde, das k fort und denken, es wäre Sepsis
um: ihm gelingt eine Leistung großer En¬
gemeint. Fäulnis, ein Sich-Fallen-Lassen, eine
semblekunst, aus der man lobend jeden
Gehirn- und Muskelschwäche. Ja ist denn, aus
erwähnen müßte. Ich begnüge mich mit
er Geistesgeschichte, eigentlich niemandem auf¬
Emanuel Reicher, dem Uhr- und Gold¬
fallen, daß alle skeptische Seelenhaltung nur
macher aus der Brahm-Zeit, und einem jungen
#e Kriegslist gegenüber dem Leben ist?
Alexander Kardan, der ein Gefäß der
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