II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 739

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25. Professe-Bernhand
das die Vorzensur, in Neu=Deutschland besorgt das — ja, wer
wohl? Besorgt das jeder, der die Polizei überzeugt, daß sie nicht
„Professor Bernhard!“
stark genug sein wird, die Aufführung gegen seine Aergernis¬
nehmer und Stinkbombenwerfer zu schützen.
Theater in der Königgrätzer Straße
Manchmal überzeugt auch die Regierung sich selbst, findet sich
Die Uraufführung der Komödie von Arthur Schnitzler fand
selbst zu schwach, um die Ordnung zu erhalten. So geschehen zu
am 27. November 1912 im Kleinen Theater statt. Ich hole meine
Berlin und zu München.
alte Kritik hervor und finde über ihr einen Nekrolog auf Dr. Otto
Schnitzler= Zeitstück ist außerordentlich aktuell geblieben, ist für
Brahm, der seit längerer Zeit schwer zuckerkrank am Darmkrebs
uns Reichsdeutsche sogar noch aktueller geworde.. In meiner
gestorben ist. Die Kunde vom Tode des Theatergewaltigen und ach
alten Kritik finde ich ein allzu überlegenes Sätzchen: In Oester¬
so Theatermüden verbreitete sich im Parkett nach dem ersten Akte
reich kann kein Apfel zur Erde fallen, ohne daß die Frucht poli¬
des Stückes, der in der Klinik des Elisabethinums während des
tisch berochen wird. Diesen Apfel haben wir nun auch. Wie
Sterbens einer Patientin spielt.
weise ist dieses Stück und in wie beschämender Weise müssen wir
Ich erinnere an den Fall: Professor Bernhardi verhindert aus
dem Dichter auch gegen uns recht geben, nach einer so er¬
rein ärztlichen und menschlichen Gründen einen Vertreier der
folgreichen Vermehrung von Klassen= und Rassenhaß! Und was
Kirche, die vorgeschriebenen Tröstungen der Religion dem sterben¬
es sonst noch für Haß gibt!
den Mädchen zu bringen, das im Zustand der Euphorie die
Wenn heute einer ein Zeitstück schreibt, so richtet er es gewöhn¬
schönsten Augenblicke ihres armen Daseins genießt.
lich gegen irgendeinen Mißstand in unserer Rechtsordnung,
Der berühmte Arzt und der Priester haben eine Szene der
worauf im letzten Akt einer zu sagen hat: Ich beantrage die Ab¬
Auseinandersetzung; es ist die einzige, in der der Zorn nicht
schaffung des Paragraphen 175 oder 218. Schnitzler beantragt
lachen oder lächeln darf, und in der die Komödie sich eine
gar nichts, weil er sich gegen allgemeinere, von keinem Gesetz
Suopendierung gefallen lassen muß. Die beiden Männer, der
geschützte Mißstände richtet in unserer Geistes= und Gesichts¬
Wissenschaft und der Kirche reichen sich am Schluß die Hände —,
ordnung.
über einem Abgrund.
Schnitzler hat eine Komödie geschrieben, die, zum großen Teil
Händedruck über Abgrund ist immer mißlich. Um so mehr, als
wenigstens, eine gute Komödie blieb; sie macht uns nachdenllich,
in diesem Abgrund die Frage liegt, die zu entscheiden auch dieses
zugleich lachen und lächeln. Sein Zeitstück ist durch einen Helden
kluge und menschliche Stück sich nicht beauftragt findet. Gibt es
bevorzugt, der gar kein Heldentum will, sondern vielmehn seine
einen persönlichen Gott? Gibt es den, und sollte er gar kirchlich
Ruhe, um Kranke zu heilen, Krankheiten zu verhindern. Bern¬
gesinnt sein, so hat Professor Bernhardi unrecht.
hardi selbst verhält sich ironisch zu seinem Fall, der noch eine
Der Fall wird zu einer Affäre, nur weil Professor Bernhardi
Alfäre werden konnte, am Anfang des 20. Jahrhunderts!
Jude ist, zu einer Interpellation im Parlament, zu zwei Monaten
Allein diese Haltung macht die klare Figur schwierig. Fritz
Gefängnis für ihn, und für die Welt zu einer Aufregung von
Kortner hat das mit einer reifen Meisterschaft bewältigt. Für¬
Gesinnung, Gesinnungstüchtigkeit, Gesinnungslosigkeit zwischen
seinen berühmten Aezt verzichtete er auf alle Eleganz und medi¬
Liberalen, Klerikalen, Deutschnationalen, Antisemiten, Zionisten
zinalrätliche Würde: ein unscheinbaver, um Formen wenig be¬
und anderen Juden. O du mein Altösterreich!
mühter Jude. Eine Anständigkeit und Herzlichkeit, die sich in
Im Anfang meiner alten Kritik finde ich den Satz: Der Zeit
geistiger Ueberlegenheit gehen lassen kann; auch eine Schmerz¬
ihren Spiegel vorhalten, das hat Shakespeare empfohlen, das hat
empfindung gegen die menschliche Gemeinheit, aber nur als ein
Arthur Schnitzler gewollt. War es meine Absicht, die Aera des
leises Zucken, das sich schnell ins Ivonische hinübeilächelt. Sach¬
lich, einfach, schön!
Zeitstücks zu verkünden? Es war nicht meine Absicht. Zeitstück
hat es immer gegeben, schon vor Aeschylus und bei den noch älteren
Die Treue, die Barnowsky seinem Schnitzler und seinem Bern¬
Griechen; in Athen wurde eine aktuelle Tragödie, ein Kriegsstück,
hardi hielt, ist ihm durch einen schönen Erfolg seiner lebhaft trei¬
verboten, weil sie zu aufregend war.
benden und festhaltenden Neuinfzenierung belohnt worden. Man
Der Professor Bernhardi war damals in Alt=Oesterreich ver¬
sah unter den Aerzten sehr wohlgeratene Typen, darunter Felix
boten, so gut, wie „Die Weber“ und „Frühlings Erwachen“ in
Bressart, Erwin Kalser, Rudolf Platte, Herbert Grünbaum, Heinz
Alt=Deutschland verboten waren. Man könnte also einmal defi¬
Salfner, der selbst einmal ein guter Bernhardi war. Paul Otto
nieren: Zeitstücke sind die besten Stücke unserer besten Dichter
sehr sein als Minister, Paul Hörbiger sehr lustig als Hofrat.
Stahl=Nachhaur würdig im Talar des Priesters.
(trifft nicht mehr zu). Und ein andermal: Zeitstücke sind diejeni¬
gen, die verboten werden müssen. In Alt=Deutschland besorgte
Arthur Eloesser.
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