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25. PrfesBernhand
Berliner Börsen-Zeitung Nr. 40, Freitag, 24. Januar.
A. Schnitzler: Professor Bernhardi.
wegs so rechthabevisch, daß er auf seinem juristischen
Theater in der Königgrätzer Straße.
Tugendschein bestände. Er hat den Betrieb satt. Und das
Schlußwort hat schließlich der joviale Hofrat aus dem
Darf der Arzt einem Priester, der einer Kranken die
Kultusministerium, eine typisch österreichische Kreuzung
Sakramente reichen will, den Zutritt zu der Kranken der¬
von Anarchist und Trottel — er ist ein ebenso liebens¬
weigern, wenn er der Ansicht ist, daß das Erscheinen des
würdiger Anarchist wie gewandter Trottel — der Vernhardi
Priesters der Kranken erst ihren hoffnungslosen Zustand
erklärt, wie langweilig das Leben sein würde, wenn man
offenbart? Das ist hier die Frage. Die Kranke durchlebt 1
immer nur von Morgens bis Alends das Richtige tun
unmittelbar vor ihren Tod, der nach Ansicht des Arztes un¬
würde.
aufhalibar ist, einen Traumzustand, der ihr möglicherweise
Dem Stück, das sich mit sehr ernsten Problemen
die glücklichste Stunde ihres armen Daseins schenkt.
herumschlägt, wird plötzlich eine Komödienlösung gegeben.
In Schnitzlers Komödie — Komödie: Komödic ist
Die Konflikte verpufsen in einem Bonmot. Das ist öster¬
das Stück nur durch seinen Schluß, doch davon später —
reichisch. Es steckt aber zweifellos eine allerdings resignie¬
steht nun nicht die Menschlichkeit gegen das Dogma, auch
rende Weisheit darin. Auch sonst ist Schnitzlers Stück mit
nicht eine freie Auffassung gegen die kirchliche Auffassung.
vielen schlechten und guten Eigenschaften des Oesterreicher¬
Weder dramatisch noch tragisch, weder im Handlungsver¬
tums belastet und gesegnet. Es hat die liebenswürdige Resig¬
lauf noch innerlich. Schon hier biegt das Stück aus dem
nation und den liebenswürdigen Humor und die #ffene
Wesentlichen ins na sagen wir Politische ab — das trifft
und herzliche Aufrichtigkeit, der es lediglich an Konsequenz
noch immer an besten eine von äußeren Momenten be¬
fehlt.
stimmte Handlung. Aber das hat nicht viel zu sagen. Bei
Es wimmelt in dem Stück von den verschiedensten
Schnitzler ist der Wille zur sachlichen Diskussion stärker und
Charakteren. Einige sind menschlich, einige wie gesagt auch
die geistige Kultur weitaus höher als wir es heute bei der
einseitig gesehen. Einen vollen Menschen mit seiner
sogenannten Zeitdramatik gewöhnt sind. Schnitzler führt
ganzen inneren Problematik oder Kraft wie Haupt¬
die Frage menschlich, juristisch und politisch weiter, wobei
mann, wie Ibsen gibt Schnitzler nicht, sondern einen
es sich zeigt, daß das Politische, das heißt das „Streber¬
geraden Charakter in der Maschinerie politischer Umtriebe,
tum“, stärker ist als Menschlichkeit und Recht. Damit hat
wobei dieser Charakterm Demonstrationsobjekt als
Schnitzler zweifellos nicht nur die große Wunde des Oesterreich
Handlung treibende und leienschaffende Eigenkraft ist.
von 1910, sondern, so schmerzlich es uns auch sein mag, auch
Bernhardi ist keine wirkende Ge## ut, sondern Auslöser einer
die große Wunde des Deutschland von 1930 berührt.
Handlung, die mehr Zustände aufdeckt als menschliche
Menschen, die auf allen Seiten das Beste wollen, müssen
Leidenschaft, er ist ein Kontrapunkt zu bestimmten Zu¬
es erleben, daß ihre Absichten im politischen Betrieb zu
ständen. Aber diese Zustände werden lebendig und
reinen Machtfragen mißbraucht werden. Das Wesentliche
fesselnd auf einem ansehnlichen (auch dialogischen) Niveau
steht schließlich gar nicht mehr zur Diskussion. Offen¬
geschildert.
brutale oder heimlich=heuchlerische Machtgelüste mit einem
Die Aufführung, die Viktor Barnowsky leiiete, ver¬
ganzen Gefolge von Schleicherei treten das Rechtsgefühl
mied es zu karrikieren, was sehr leicht gewesen wäre. Aber
einfach nieder. Man tut so, als habe man nur das Wohl
sie suchte mit Erfolg die feinere dialogische Wirkung. Es
des großen Ganzen im Auge, wie der Kultusminister bei
fehlte ihr agressive Kraft. Aber das ist auch nicht
Schnitzler, aber man, denkt nur an sich und an die
Schnitzlers Art. Und es ist sehr erfreulich, daß Barnowsky
Befestigung seiner eigenen Machtstellung. Dabei geht
die Art des Dichters nicht verfälschte, um mehr (aber nur
natürlich alle Menschlichkeit zum Teufel.
gröbere) Wirkung zu erzielen: Die Charaktere waren sehr"
Schnitzler malt nun aber nicht alles einfach schwarz¬
fein gestuft und nuanciert. Die Aufführung war außer¬
weiß, so sehr er auch naturgemäß die Juden belichtet. Es
ordentlich sauber und kultiviert. Hier und da hätte sie en
werden in den politischen Konflikt nämlich auch Rassen¬
wenig frischer sein können.
fragen hineingezerri. Diese sind namentlich in Oesterreich
Fritz Kortner als Bernhardi war vielleicht noch nie
ein Tummelfeld der Intrigen. Wenn auch Schnitzlers
so dißzipliniert, so dicht, so unpathetisch. Dabei spielte er
Sympathien hier etwas sehr einseitig der Juden gelten
keineswegs einen Dulder oder Märtyrer, sondern einen
— denn der Priester, der Kultusminister und die nicht¬
geraden Menschen, den man sich hier und da wohl etwas
jüdischen Professoren (mit einer oder zwei Ausnahmen) sind
wärmer aber nicht einfacher und natürlicher gewünscht
viel weniger gerade, offene und männliche Charaktere als
hätte. Außerordentlich frisch und impulsiv war der Prof.
die Juden —, so bemüht er sich doch, die Charaktere zu
Pflugfelder Heinz Salfners. Er sprühte offen und ehrlich
mildern.
von Sympathien und Antipathien. Eine noch reichere war
Dem Professor Bernhardi, der dem Geistlichen den
der Professor Chyprian von Felix Bressart. Er gab ohne
Zutritt zu der Kranken verweigerte, wird also wegen!
Mätzchen, zu denen Bressart so leicht noigt, den alten weisen
Religionsstörung der Prozeß gemacht. Die politischen
und immer vermittelnden Professor mit feinem Takt. Eine
Parteien greifen aber noch vorher den Fall auf, um den
lebensvolle mit Humor gesättigte Figur, den Hofrat aus
Kultusminister zu Fall zu bringen. Der entwindet sich
dem Kultusministerium, schuf Paul Hörbiger. Ge¬
seinem Schicksal dadurch, daß er die Klärung der Sache
wandt und jovial. Paul Otto war der glatte sich geschickt
durch einen Prozeß vorschlägt. Das Aerztekollegium fällt
durch alles windende Kultusminister. Er hätte noch ein
plötzlich auch auseinander. Selbst hier gehen politische
wenig straffer sein können. Emil Mamelock blieb als
Machtfragen und Rassenfragen den Standesfragen vor. Der
Prof. Ebenwald etwas matt. Dagegen gaben Ernst
Prozeß fällt für Bernhardi ungünstig aus, weil eine
Stahl=Nachbauer, Georg Schwell, Maximilian
Schwester und ein schleicherischer und streberischer Kandidat
Wolff, Harry Hardt und Rudolf Platte ausge¬
gegen ihn aussagen. Der Priester versucht nach Abschluß
prägte Charaktere. Erwin Kalser übernahm für den
des Prozesses den Konflikt wenigstens menschlich und
Dr. Löwenstein zuviel von seinem Direktor in Lampels
innerlich aus der Welt zu schaffen. Schließlich nach Ablauf
Pennäler.
der Strafe erklärt auch die Schwester, daß sie falsch aus¬
Der Beifall war sehr herzlich. Undzendlos. Manchmal
gesagt habe. Aber der rechtaberische Bernhardi ist keines= brach er bei offener Szene aus. Wilbelm Westecker,
25. PrfesBernhand
Berliner Börsen-Zeitung Nr. 40, Freitag, 24. Januar.
A. Schnitzler: Professor Bernhardi.
wegs so rechthabevisch, daß er auf seinem juristischen
Theater in der Königgrätzer Straße.
Tugendschein bestände. Er hat den Betrieb satt. Und das
Schlußwort hat schließlich der joviale Hofrat aus dem
Darf der Arzt einem Priester, der einer Kranken die
Kultusministerium, eine typisch österreichische Kreuzung
Sakramente reichen will, den Zutritt zu der Kranken der¬
von Anarchist und Trottel — er ist ein ebenso liebens¬
weigern, wenn er der Ansicht ist, daß das Erscheinen des
würdiger Anarchist wie gewandter Trottel — der Vernhardi
Priesters der Kranken erst ihren hoffnungslosen Zustand
erklärt, wie langweilig das Leben sein würde, wenn man
offenbart? Das ist hier die Frage. Die Kranke durchlebt 1
immer nur von Morgens bis Alends das Richtige tun
unmittelbar vor ihren Tod, der nach Ansicht des Arztes un¬
würde.
aufhalibar ist, einen Traumzustand, der ihr möglicherweise
Dem Stück, das sich mit sehr ernsten Problemen
die glücklichste Stunde ihres armen Daseins schenkt.
herumschlägt, wird plötzlich eine Komödienlösung gegeben.
In Schnitzlers Komödie — Komödie: Komödic ist
Die Konflikte verpufsen in einem Bonmot. Das ist öster¬
das Stück nur durch seinen Schluß, doch davon später —
reichisch. Es steckt aber zweifellos eine allerdings resignie¬
steht nun nicht die Menschlichkeit gegen das Dogma, auch
rende Weisheit darin. Auch sonst ist Schnitzlers Stück mit
nicht eine freie Auffassung gegen die kirchliche Auffassung.
vielen schlechten und guten Eigenschaften des Oesterreicher¬
Weder dramatisch noch tragisch, weder im Handlungsver¬
tums belastet und gesegnet. Es hat die liebenswürdige Resig¬
lauf noch innerlich. Schon hier biegt das Stück aus dem
nation und den liebenswürdigen Humor und die #ffene
Wesentlichen ins na sagen wir Politische ab — das trifft
und herzliche Aufrichtigkeit, der es lediglich an Konsequenz
noch immer an besten eine von äußeren Momenten be¬
fehlt.
stimmte Handlung. Aber das hat nicht viel zu sagen. Bei
Es wimmelt in dem Stück von den verschiedensten
Schnitzler ist der Wille zur sachlichen Diskussion stärker und
Charakteren. Einige sind menschlich, einige wie gesagt auch
die geistige Kultur weitaus höher als wir es heute bei der
einseitig gesehen. Einen vollen Menschen mit seiner
sogenannten Zeitdramatik gewöhnt sind. Schnitzler führt
ganzen inneren Problematik oder Kraft wie Haupt¬
die Frage menschlich, juristisch und politisch weiter, wobei
mann, wie Ibsen gibt Schnitzler nicht, sondern einen
es sich zeigt, daß das Politische, das heißt das „Streber¬
geraden Charakter in der Maschinerie politischer Umtriebe,
tum“, stärker ist als Menschlichkeit und Recht. Damit hat
wobei dieser Charakterm Demonstrationsobjekt als
Schnitzler zweifellos nicht nur die große Wunde des Oesterreich
Handlung treibende und leienschaffende Eigenkraft ist.
von 1910, sondern, so schmerzlich es uns auch sein mag, auch
Bernhardi ist keine wirkende Ge## ut, sondern Auslöser einer
die große Wunde des Deutschland von 1930 berührt.
Handlung, die mehr Zustände aufdeckt als menschliche
Menschen, die auf allen Seiten das Beste wollen, müssen
Leidenschaft, er ist ein Kontrapunkt zu bestimmten Zu¬
es erleben, daß ihre Absichten im politischen Betrieb zu
ständen. Aber diese Zustände werden lebendig und
reinen Machtfragen mißbraucht werden. Das Wesentliche
fesselnd auf einem ansehnlichen (auch dialogischen) Niveau
steht schließlich gar nicht mehr zur Diskussion. Offen¬
geschildert.
brutale oder heimlich=heuchlerische Machtgelüste mit einem
Die Aufführung, die Viktor Barnowsky leiiete, ver¬
ganzen Gefolge von Schleicherei treten das Rechtsgefühl
mied es zu karrikieren, was sehr leicht gewesen wäre. Aber
einfach nieder. Man tut so, als habe man nur das Wohl
sie suchte mit Erfolg die feinere dialogische Wirkung. Es
des großen Ganzen im Auge, wie der Kultusminister bei
fehlte ihr agressive Kraft. Aber das ist auch nicht
Schnitzler, aber man, denkt nur an sich und an die
Schnitzlers Art. Und es ist sehr erfreulich, daß Barnowsky
Befestigung seiner eigenen Machtstellung. Dabei geht
die Art des Dichters nicht verfälschte, um mehr (aber nur
natürlich alle Menschlichkeit zum Teufel.
gröbere) Wirkung zu erzielen: Die Charaktere waren sehr"
Schnitzler malt nun aber nicht alles einfach schwarz¬
fein gestuft und nuanciert. Die Aufführung war außer¬
weiß, so sehr er auch naturgemäß die Juden belichtet. Es
ordentlich sauber und kultiviert. Hier und da hätte sie en
werden in den politischen Konflikt nämlich auch Rassen¬
wenig frischer sein können.
fragen hineingezerri. Diese sind namentlich in Oesterreich
Fritz Kortner als Bernhardi war vielleicht noch nie
ein Tummelfeld der Intrigen. Wenn auch Schnitzlers
so dißzipliniert, so dicht, so unpathetisch. Dabei spielte er
Sympathien hier etwas sehr einseitig der Juden gelten
keineswegs einen Dulder oder Märtyrer, sondern einen
— denn der Priester, der Kultusminister und die nicht¬
geraden Menschen, den man sich hier und da wohl etwas
jüdischen Professoren (mit einer oder zwei Ausnahmen) sind
wärmer aber nicht einfacher und natürlicher gewünscht
viel weniger gerade, offene und männliche Charaktere als
hätte. Außerordentlich frisch und impulsiv war der Prof.
die Juden —, so bemüht er sich doch, die Charaktere zu
Pflugfelder Heinz Salfners. Er sprühte offen und ehrlich
mildern.
von Sympathien und Antipathien. Eine noch reichere war
Dem Professor Bernhardi, der dem Geistlichen den
der Professor Chyprian von Felix Bressart. Er gab ohne
Zutritt zu der Kranken verweigerte, wird also wegen!
Mätzchen, zu denen Bressart so leicht noigt, den alten weisen
Religionsstörung der Prozeß gemacht. Die politischen
und immer vermittelnden Professor mit feinem Takt. Eine
Parteien greifen aber noch vorher den Fall auf, um den
lebensvolle mit Humor gesättigte Figur, den Hofrat aus
Kultusminister zu Fall zu bringen. Der entwindet sich
dem Kultusministerium, schuf Paul Hörbiger. Ge¬
seinem Schicksal dadurch, daß er die Klärung der Sache
wandt und jovial. Paul Otto war der glatte sich geschickt
durch einen Prozeß vorschlägt. Das Aerztekollegium fällt
durch alles windende Kultusminister. Er hätte noch ein
plötzlich auch auseinander. Selbst hier gehen politische
wenig straffer sein können. Emil Mamelock blieb als
Machtfragen und Rassenfragen den Standesfragen vor. Der
Prof. Ebenwald etwas matt. Dagegen gaben Ernst
Prozeß fällt für Bernhardi ungünstig aus, weil eine
Stahl=Nachbauer, Georg Schwell, Maximilian
Schwester und ein schleicherischer und streberischer Kandidat
Wolff, Harry Hardt und Rudolf Platte ausge¬
gegen ihn aussagen. Der Priester versucht nach Abschluß
prägte Charaktere. Erwin Kalser übernahm für den
des Prozesses den Konflikt wenigstens menschlich und
Dr. Löwenstein zuviel von seinem Direktor in Lampels
innerlich aus der Welt zu schaffen. Schließlich nach Ablauf
Pennäler.
der Strafe erklärt auch die Schwester, daß sie falsch aus¬
Der Beifall war sehr herzlich. Undzendlos. Manchmal
gesagt habe. Aber der rechtaberische Bernhardi ist keines= brach er bei offener Szene aus. Wilbelm Westecker,