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25 Professer Bernhandi
wäre damit ausgestreut und aus der Kaumkunstausstellung, deren Nekro¬
log wir herzlich ungern in so betrübenden Zeilen niederlegten, mag später
dann noch eine Raumkunstausstellung hervorgehen, zu der man dem Ge¬
werbe, den Architekten und vor allem den Bestellern aufrichtig anerken¬
nend Glück wünschen kann.
BASEL
JULES COULIN
nnn
SCHNITZLERS KOMÖDIE VOM
PROFESSOR BERNHARDI
Ich zweifle, ob der Zensor mit seinem Verbote je ein so gutes Werk
getan hat wie diesmal, als er die Auffuhrung dieser Schnitzlerschen Komödie!)
in Wien untersagt hat. Er hat dadurch das Stück mit einemmal in der
Offentlichkeit bekannt gemacht — und das Stück verdient es wahrlich.
Da werden die zeitunglesenden Leute Tag für Tag von ihren Leiborganen
mit Artikeln gefüttert, die die kleinen politischen Plänkeleien des Tages
täglich aufs neue so gewichtig hinstellen, dass man am Ende nichts mehr
ernst nimmt. Und nun kommt ein ganzer Mann wie Arthur Schnitzler und
zeichnet in einer Reihe von Szenen die öffentliche Misere so suggestiv, dass
die gewöhnlichsten Dinge plötzlich ein revolutionäres Ansehen bekommen
und der Zensor um die Sicherheit des Staates zittert. Und selbst die, die
dem öffentlichen Leben ganz fern stehen, besinnen sich für einen Augen¬
blick auf die Politik: auf den Ekel, den sie bei feineren Naturen auslöst,
und auf die notwendigen Kämpfe, die ausgekämpft werden müssen.
Das ist das Schöne an diesem neuen Buch von Schnitzler, dass hier
einer, der zu den Besten unserer Zeit gehört, ohne auf das Gerede vom
politischen Lied zu achten, sich seinen Ekel von der Leber weg schreibt;
und dass er nicht in die kleinliche Art der Halben und Vorsichtigen verfällt,
die Dinge in Watte zu wickeln und sich das „zulässige Maß“ immer hübsch
vor Augen zu halten ... Schnitzlers Komödie ist kein Schlüsselstück —
weil sie zu ehrlich ist. Der Autor sagt alles so unumwunden, so unbefangen
gerade, dass es hinter den Reden seiner Personen und hinter diesen selbst
nichts weiter zu suchen gibt. Er hat es verschmäht, seine Gestalten zu
maskieren und sie Worte sagen zu lassen, aus deren Klang der Hörer den
Sinn zu erraten hätte. Nicht einmal wie der famose „Kultus- und Konkor¬
datsminister“ in Wirklichkeit geheißen, interessiert uns; wir wissen: es ist
ein österreichischer Minister.
Der Ekel über die Verhältnisse im klerikal durchseuchten Österreich
hat dieses erstaunlich lebensvolle Bild geboren. Und wie man bei Schnitz¬
lers Roman, der die Judenfrage aufrollte, den bezwingenden Ernst und den
Mut, mit denen den Problemen die Hüllen abgestreift wurden, wie eine
schöne Tat empfand, so freut man sich fast auch hier darüber, dass die
indignatio des Mannes über den feinen, bedächtig zurückhaltenden Künstler
siegte — wie man sich über alles freut, was unverfälschter Ausdruck einer
inneren Nötigung ist.
1) Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler. S. Fischer,
Verlag, Berlin. 1012.
570
Perttet 6g8
stut0)
25 Professer Bernhandi
wäre damit ausgestreut und aus der Kaumkunstausstellung, deren Nekro¬
log wir herzlich ungern in so betrübenden Zeilen niederlegten, mag später
dann noch eine Raumkunstausstellung hervorgehen, zu der man dem Ge¬
werbe, den Architekten und vor allem den Bestellern aufrichtig anerken¬
nend Glück wünschen kann.
BASEL
JULES COULIN
nnn
SCHNITZLERS KOMÖDIE VOM
PROFESSOR BERNHARDI
Ich zweifle, ob der Zensor mit seinem Verbote je ein so gutes Werk
getan hat wie diesmal, als er die Auffuhrung dieser Schnitzlerschen Komödie!)
in Wien untersagt hat. Er hat dadurch das Stück mit einemmal in der
Offentlichkeit bekannt gemacht — und das Stück verdient es wahrlich.
Da werden die zeitunglesenden Leute Tag für Tag von ihren Leiborganen
mit Artikeln gefüttert, die die kleinen politischen Plänkeleien des Tages
täglich aufs neue so gewichtig hinstellen, dass man am Ende nichts mehr
ernst nimmt. Und nun kommt ein ganzer Mann wie Arthur Schnitzler und
zeichnet in einer Reihe von Szenen die öffentliche Misere so suggestiv, dass
die gewöhnlichsten Dinge plötzlich ein revolutionäres Ansehen bekommen
und der Zensor um die Sicherheit des Staates zittert. Und selbst die, die
dem öffentlichen Leben ganz fern stehen, besinnen sich für einen Augen¬
blick auf die Politik: auf den Ekel, den sie bei feineren Naturen auslöst,
und auf die notwendigen Kämpfe, die ausgekämpft werden müssen.
Das ist das Schöne an diesem neuen Buch von Schnitzler, dass hier
einer, der zu den Besten unserer Zeit gehört, ohne auf das Gerede vom
politischen Lied zu achten, sich seinen Ekel von der Leber weg schreibt;
und dass er nicht in die kleinliche Art der Halben und Vorsichtigen verfällt,
die Dinge in Watte zu wickeln und sich das „zulässige Maß“ immer hübsch
vor Augen zu halten ... Schnitzlers Komödie ist kein Schlüsselstück —
weil sie zu ehrlich ist. Der Autor sagt alles so unumwunden, so unbefangen
gerade, dass es hinter den Reden seiner Personen und hinter diesen selbst
nichts weiter zu suchen gibt. Er hat es verschmäht, seine Gestalten zu
maskieren und sie Worte sagen zu lassen, aus deren Klang der Hörer den
Sinn zu erraten hätte. Nicht einmal wie der famose „Kultus- und Konkor¬
datsminister“ in Wirklichkeit geheißen, interessiert uns; wir wissen: es ist
ein österreichischer Minister.
Der Ekel über die Verhältnisse im klerikal durchseuchten Österreich
hat dieses erstaunlich lebensvolle Bild geboren. Und wie man bei Schnitz¬
lers Roman, der die Judenfrage aufrollte, den bezwingenden Ernst und den
Mut, mit denen den Problemen die Hüllen abgestreift wurden, wie eine
schöne Tat empfand, so freut man sich fast auch hier darüber, dass die
indignatio des Mannes über den feinen, bedächtig zurückhaltenden Künstler
siegte — wie man sich über alles freut, was unverfälschter Ausdruck einer
inneren Nötigung ist.
1) Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten von Arthur Schnitzler. S. Fischer,
Verlag, Berlin. 1012.
570
Perttet 6g8
stut0)