II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 846

Ausschaltt aus: Kornespondensblatt für den kathol.
25AR 1 8/3 Klorus Sortemdiehe, Wien
vom:
Zim Kapitel: Der katholische Priester als „Literatur¬
objekt“.
Der Liberalismus ist bekanntlich seit langer Zeit eine billige
Saphe geworden. Was sich eben so gerade Liberalismus nennt
und gerne als solchen ansprechen läßt; das, was gestern so hieß,
deute so genannt wird und morgen sich noch als solcher gerieren
wird. Weit ist es aber nicht her mit ihm, seit er die Ehrlichkeit
der Uberzeugung mit der Ehrlichkeit der Geschäftstüchtigkeit
vertauscht hat. Das sind zwei verschiedene Dinge: der Liberalismus
aus Überzeugung, aus einer Uberzeugung, die ohne einen Kausal¬
nexus besonderer Lebensverhältnisse nicht entstehen kann, bei
der Milieu, Erziehung, Bildung, zufällige Berührung mit spezifi¬
schen Geistesrichtungen und Neigung, die durch diese Faktoren
bedingt wird, bestimmend mitwirken — solcher Liberalismus will
verstanden werden; denn er ist kritisch, weil er ernst ist. Und
wenn man ihn aus Verständnis heraus beachtet, würdigt und sich
mit ihm auseinandersetzen will — es ist ganz gut möglich! Anders
ist es aber beim Liberalismus aus Geschäftssinn.
Auch beim Kapitel: Der katholische Priester als „Literatur¬
objekt“. Diese Ausdrucksfassung ist sicher unglücklich, ge¬
schmacklos, leider aber richtig und genau, weil es sich tatsächlich
um die Heranziehung der Person (im Sinne von persona= Maske)
als Typus, als lebloses Requisit handelt. Und weil es sich in
unserem speziellen Falle um das Theater handelt, kann man auch
sagen: als Figuranten, als Statisten und als redenden auch noch
dazu. So ergibt es sich, trotzdem der Anlaß dieser kleinen Aus¬
einandersetzung „literarischer' Natur ist, daß das folgende nicht
„literarisch' sein kann, keine Besprechung, sondern — ein
Protest.
Kommen wir nun zur Sache. Der Wiener Schriftsteller
Dr. med. Arthux. Schnitzler hat sich vor einigen zwanzig Jahren
etwa in die osterrerrsenen
rdadurch eingeführt, daß er
die Psyche des nach ihm nicht in letzter Linie so benannten
„süßen Mädels' entdeckte. Diese Gattung weiblicher Jugend,
deren ziemlich gleichförmige Lebensschicksale er, soweit das
männiglich interessant erscheinen kann, mehrfach dramatisch -
Oodetn heißt ursprünglich bekanntermaßen: handeln! — gestaltete,
hat sich nun etwas überlebt und ist dem Aussterben nahe. Die
Mädchen von heute scheinen nämlich (abgesehen davon, daß sie
niemals die kompliziert gesuchte Psychologie besaßen, die
Schnitzler und seinen Werken große Auflagen und viele Tantièmen
brachte) so bedeutend klüger geworden zu sein, daß selbst die
sentimentalste Erotik, in deren Begreiflichmachung Schnitzler ein
besonderer Meister ist, nicht mehr vermochte, seine Gestalten
auch nur einigermaßen als lebenswahr glaubhaft zu machen. Er
hatte daher bald Anlaß genug, sich andere Vorwürfe zu suchen.
Das Umsteuern ging nicht leicht; da sich die dramatische Ver¬
tiefung angesichts seiner bedeutenden Lebensfremdheit erheblich
seicht hielt, als sie sich an neue Themen heranwagte, genügte ein
begrenzter Kreis von „Personen der Handlung' nicht, obwohl
sich zweifellos auch hier in der Beschränkung erst der Meister
zeigt. So kam es, daß ein Stück von Schnitzler am Burgtheater,
das, wenn und nachdem es von Traditionen zehrt, in seinem
Repertoire nicht umzubringen ist, in seinem Theaterzettel über 60,
schreibe sechzig Personen, zählt, deren Mehrzahl in der „Handlung
wirklich „beschäftigt' erscheint. Die Presse hat’s geschaut, die
Presse hat’s respektvoll verdaut — es lebe die „gute Presse' die
ein Dramatiker von „heitzutog' einmal zum Ruhme braucht.
Schnitzler ist aber einsichtsvoll genug gewesen, einzusehen,
daß es mit dem „Medardus', wie dieses nach der Personenzahl
als „Riesendrama' anzusprechende Stück heißt, nichts auf sich
habe, sondern daß er von dem Respekt zehren müsse, den er in
den fetten Jahren seiner „wienerischen' Arbeiten ansammelte.
Und weil nun seit einigen Jahren, besonders in den sozusagen
intellektuellen Kreisen Wiens der neuzeitliche Liberalismus —
jener aus Geschäftstüchtigkeit, nicht der aus Überzeugung — im
Kurse hoch geht, so mußte er billigerweise (das Rohmaterial ist
ja auch wirklich sehr billig!) die neue Markttendenz berück¬
sichtigen. Erotik ist nämlich seit dem Auftreten des Massen¬
produzenten Frank Wedekind, der jede Konkurrenz und besonders
die süße und die süßliche durch seine Spezialmarke von Per¬
versität völlig aus dem Felde schlägt, im Theatermarktwerte heute
ganz wertlos geworden; sie ist verkracht, wie's eben jeder —
Mode geht Das dramatische Garn aus Kunstseide hält nicht vor. —
Was tun?! Also Liberalismus. Gangbare Ware. Alle „Welt“
in Österreich ist überall einer zwar ganz unbestimmten, aber
einer und doch immerhin einer Meinung: „Ja, ich sag’ Ihnen!
Was sagen Sie dazu, was jetzt wieder der Klerikalismus sich vor¬
drängt?! Wer hätt’ sich Dos denken kennen?' Also nur immer
man dicke 'ran in't Familienleben, wie der Berliner sagt. Und so
entstand der „Liberalismus' als Reaktion gegen den „Klerikalismus'
und Schnitzler hat wieder eine neue „Richtung' inauguriert. Nach
dem „süßen Mädel' der „süße Liberalismus' — gekünstelt und
lebensunwahr dieser wie jenes. Typisch aber beide. Schlagworte
und eitel Schwindel. Wichtig ist nur, daß man dabei sein Ge¬
schäft macht, zumal die israelitische Journalistik Gratisreklame
leistet.
„Professor Bernhardi' heißt das neueste Stück von
Schnitzler. Verleger: Herr Samuel Fischer in Berlin; heute längst
Millionär, vor zwanzig Jahren aus Ungarn nach Berlin aus¬
gewandert. Das Stück in Osterreich aufzuführen infolge Zensur¬
verbotes unmöglich — eine Bombenreklame gewissermaßen von
staatswegen wie man sie um schweres Geld nicht machen könnte.
Eine Reihe von Auflagen des Buches wird in wenigen Wochen ab¬
gesetzt und alles bedauert den Dichter als den soundsovielten
Märtyrer österreichischer Rückständigkeit, der um die Früchte
seiner Arbeit gebracht wird, weil er den „Mut der freien Rede'
hatte. Herr Müller sagt zu Herrn Meier: „Ja, segn’s, bei uns derf
ma halt net liberal sein!? Die freisinnigen Blätter bringen in
ihrem bekannten Ton, der zwischen Resignation, Lamento und
Marquis-Posa-Pathos hin- und herschwankt, ellenlange Besprechun¬
gen über eine Vorlesung des Stückes, die ein findiger Buch¬
händler, der „zufällig' die Auslieferung des Buches vom Verlage
übernommen hat, veranstaltet. Österreich ist nun wieder einmal
als „schwarzes Land' gekennzeichnet ...
Sehen wir uns die Sache näher an. Ob sie belangreich genug
ist, daß sie das sie so sehr fördernde Zensurverbot rechtfertigen
kann, mag hier als gleichgiltig außer Betracht bleiben. Der für
uns interessante Kern des Stückes ist ungefähr folgender:
In einer Abteilung des Spitales, dem Professor Bernhardi
vorsteht, liegt ein junges Mädohen im Sterben, ohne von ihrem
bevorstehenden Ende eine Ahnung zu haben; sie ist vielmehr voll
der schönsten Erwartungen für ihre Rekonvaleszenz. Der Pro¬
fessor läßt sie in diesen Illusionen befangen bleiben und hält
den Priester, der dem Mädchen die Sterbesakramente bringen
will, zurück, damit die Sterbende in ihrem Traum nicht gestört
werde. Hier stehen sich zwei Weltanschauungen gegenüber. Die
Patientin erfährt jedoch, noch während Arzt und Priester sich
auseinandersetzen, von der Pflegeschwester, daß sie versehen
werden sollte und stirbt. „Als Sünderin, ohne jede Tröstung der
Religion ist sie dahingegangen — und das ist die Schuld des
Arztes', sagt der Priester. Die Sache spricht sich herum und
nach einer Reihe kunterbunter politisch-gesellschaftlicher Ereig¬
an allen Dingen, die
nisse, Vorfälle, Machenschaften usw.
Liatt fal del E
sich da gegen den Helden Bernhardi anspinnen und entwickeln,