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25. ProBernhandi
Seite 87
Nr.-11
„Neue National-Zeitung“
1.
EulLZLTen.
unsichtbare und höchst sichtbare Mächte unser gan¬
Professor Dr. M. Grünfeld:
zes soziales und politisches Leben. Und, weh’ dem,
„Professor Bernhardi.“
der an den Schranken rüttelt, die eine längst ver¬
gangene Zeit — man nennt sie gern „das finstere
Ein Feuilletonist des angesehensten Wiener
Mittelalter“ — aufgebaut hat. Damals errichtete
Blattes machte vor kurzem aus Anlaß der Be¬
man den Juden Scheiterhaufen, „der Jude wurde
sprechung des Stückes von Nathansen, „Hin¬
verbrannt“. Jetzt kann er mit der Staatsanwalt¬
ter Mauern, die Bemerkung: „Es gibt Stücke
schaft in Konflikt geraten, parlamentarische Inter¬
und Judenstücke. Die letzteren sind für ihn solche,
pellationen drohen ihm, er hat einen Brand ent¬
in welchen Juden eine Rolle spielen. Von „Nathan,
facht, den die Antisemiten verschiedener Färbung
dem Weisen“ ging er aus und bis zu Nathansen
Gefängnis, Kerker.
schüren, und der Rest ist
gelangte er.
wenn nicht Vernichtung der ganzen sozialen Stellung.
Wir halten, mit Verlaub, seine Einteilung für
Keine der jetzt sehr gebräuchlichen „Be¬
keine richtige und stichhältige. Die ewig wieder¬
kehrende Frage, ob ein jüdisches Mädchen einem
sprechungen“ sollen diese Zeilen bieten. Nur eines
Nichtiuden die Hand zum Ehebunde reichen soll,
wollen wir hervorheben: Schnitzlers „Komödie“
auch wenn sich die in anderen Anschauungen auf¬
gibt ein Bild davon, wie viel Heuchelei, Strebertum,
gewachsenen und lebenden Eltern dagegen sträuben,
Falschheit und Niedertracht wir mit gewissen An¬
kann doch wohl ein Theaterstück nicht zu einem
schauungen unserer Zeit verbinden können, die man
Judenstücke stempeln, am allerwenigsten kann der
gewöhnlich mit dem Worte Antisemitismus be¬
„Nathan“ Lessings für ein solches gleichsam zum
zeichnet. Professor Bernhardi ist ein Arzt und ein
Vorbilde dienen. Ein Judenstück muß die ganze
guter Arzt, von der Art der Heilkünstler, wie sie
Nothnagel wünschte, als er sein schönes Wort
große Judenfrage auf die Bühne bringen, zeigen,
woran wir leiden, alle die Hemmungen und Hinder¬
sprach: „Der gute Arzt soll auch ein guter Mensch
nisse vorführen, die auch im 20. Jahrhundert den
sein.“ Was hat auch der Arzt mit Konfessionalismus
Gedanken der Menschengleichheit, der Gerechtigkeit
und Nationalismus zu tun? Bernhardi liegt nur das
und Freiheit verdunkeln. Zeigen muß es, wie das
Wohl seiner Kranken am Herzen. Da befindet sich
nun im „Elisabethinum“ einer von ihm geleiteten
Vorurteil auf die Entwicklung unseres Volkes ein¬
Krankenanstalt, die durch die Wohltätigkeit von
wirkt, und wie verschiedenartig die Gestalten sind,
welche diese Einwirkung zur Erscheinung bringt.
Privaten erhalten wird, ein Mädchen, das infolge
Betrachten wir von diesem Standpunkte aus die
einer Fehlgeburt dem Tode verfallen ist. Im letzten
Gegenwart, so erkennen wir in ihr manche
Augenblicke tritt bei der Sterbenden „Euphorie“
Anzeichen, daß für uns die Vergangenheit noch nicht
ein, jener rätselhafte Zustand, der den Kranken, wern
ganz entschwunden ist.
schon die Schatten des Todes ihn umfangen, noch
Man erhob gegen Juden und Judentum manche
Rettung erhoffen läßt. Ein sehr geschäftiger Kan¬
Anklagen, die zu Verfolgungen führten. Das Mittel¬
didat der Medizin, der den etwas schwer auszu¬
alter sprach von Höhnungen und Lästerungen der
sprechenden Namen Hochroitzpointner führt, und
die Krankenschwester Ludmilla schicken um den
Symbole der christlichen Religion. Auch an solchen
Anklagen fehlt es heute nicht. Und dazu kommt der
Geistlichen, damit er die Sterbende mit den Tröstun¬
Neid, der dem Juden seine gesellschaftliche Stellung
gen der Religion „versehe“ Da dieser kommt, wird
verleidet und ihn aus dieser verdrängen möchte.
er vom Direktor Bernhardi zu der Kranken nicht
Erst das Aufrollen des Judenproblems in einem
zugelassen, denn dieser befürchtet, die Aufregungen,
Literaturwerke kann uns veranlassen, etwa von
die mit der religiösen Zeremonie verbunden sind,
einem Judenromane oder von einem Judenstüche zu
könnten den Tod der Sterbenden beschleunigen.
sprechen. In diesem Sinne ist Nathansens Werk
Fern liegt es Bernhardi, die Religion, das Sakrament
kein Judenstück.
zu verletzen. Was er tut, kommt ars seinem Herzen,
entstammt seiner rein menschlichen Erwägung.
Ein Anderer, ein Größerer, der mit weitem Aus¬
Aber, er hat etwas vergessen: „daß wir in einem
blicke alle Erscheinungen, die das moderne Juden¬
christlichen Staate leben“ Würde ihm dies von
tum darbietet, ins Auge faßt, der Wiener Arthur
einem Manne gesagt werden, der davon überzeugt
Schnitzler, hat das Judenproblem in einem aus¬
ist, der Professor hätte wirklich die Absicht gehabt,
gezeichneten, vielgelesenen Romane, den er den
sich einer religiösen Zeremonie gegenüber feind¬
„Weg ins Freie“ nannte, behandelt. Er hat nun auch
selig zu verhalten, wir würden das Vorgehen Bern¬
die Judenfrage auf die Bühne gebracht in seiner Ko¬
hardis verurteilen können. Denn gerade der Jude
mödie „Professor Bernhardi“.*) die in Berlin
soll sich hüten, fremide religiöse Gefühle zu verle¬
und München aufgeführt wurde, während ihr in
tzen. Und, er hat dies auch immer getan. Aber, der
Wien, ihrem Geburtsorte, der Weg auf die Bretter
ihm die Worte vom „christlichen Staate“ sagt,
verboten ist Denn, um mit dem Dichter zu reden,
es ist der Professor Dr. Flint, dermalen Unterrichts¬
wir leben in einem „christlichen Staate“, will sagen
minister, hat zu einer Zeit, da er noch schlichter Arzt
in einem katholischen, und in einem solchen ist es
und Amtsgenosse Bernhardis gewesen, anders ge¬
dem Dichter verwehrt, über gewisse Dinge, die
dach“ — und geschrieben oder wenigstens schreiben
uns gleichsam auf der Zunge liegen, von der Bühne
wollen. Ein Artikel sollte es sein über: „Gottes¬
herab zu sprechen. Denn noch immer beherrschen
häuser-Krankenhäuser.“ Flint ist seitdem aus einem
unklugen Idealisten ein klügerer Politiker geworden,
*) Erschienen im Verlag S. Fischer in Berlin.
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25. ProBernhandi
Seite 87
Nr.-11
„Neue National-Zeitung“
1.
EulLZLTen.
unsichtbare und höchst sichtbare Mächte unser gan¬
Professor Dr. M. Grünfeld:
zes soziales und politisches Leben. Und, weh’ dem,
„Professor Bernhardi.“
der an den Schranken rüttelt, die eine längst ver¬
gangene Zeit — man nennt sie gern „das finstere
Ein Feuilletonist des angesehensten Wiener
Mittelalter“ — aufgebaut hat. Damals errichtete
Blattes machte vor kurzem aus Anlaß der Be¬
man den Juden Scheiterhaufen, „der Jude wurde
sprechung des Stückes von Nathansen, „Hin¬
verbrannt“. Jetzt kann er mit der Staatsanwalt¬
ter Mauern, die Bemerkung: „Es gibt Stücke
schaft in Konflikt geraten, parlamentarische Inter¬
und Judenstücke. Die letzteren sind für ihn solche,
pellationen drohen ihm, er hat einen Brand ent¬
in welchen Juden eine Rolle spielen. Von „Nathan,
facht, den die Antisemiten verschiedener Färbung
dem Weisen“ ging er aus und bis zu Nathansen
Gefängnis, Kerker.
schüren, und der Rest ist
gelangte er.
wenn nicht Vernichtung der ganzen sozialen Stellung.
Wir halten, mit Verlaub, seine Einteilung für
Keine der jetzt sehr gebräuchlichen „Be¬
keine richtige und stichhältige. Die ewig wieder¬
kehrende Frage, ob ein jüdisches Mädchen einem
sprechungen“ sollen diese Zeilen bieten. Nur eines
Nichtiuden die Hand zum Ehebunde reichen soll,
wollen wir hervorheben: Schnitzlers „Komödie“
auch wenn sich die in anderen Anschauungen auf¬
gibt ein Bild davon, wie viel Heuchelei, Strebertum,
gewachsenen und lebenden Eltern dagegen sträuben,
Falschheit und Niedertracht wir mit gewissen An¬
kann doch wohl ein Theaterstück nicht zu einem
schauungen unserer Zeit verbinden können, die man
Judenstücke stempeln, am allerwenigsten kann der
gewöhnlich mit dem Worte Antisemitismus be¬
„Nathan“ Lessings für ein solches gleichsam zum
zeichnet. Professor Bernhardi ist ein Arzt und ein
Vorbilde dienen. Ein Judenstück muß die ganze
guter Arzt, von der Art der Heilkünstler, wie sie
Nothnagel wünschte, als er sein schönes Wort
große Judenfrage auf die Bühne bringen, zeigen,
woran wir leiden, alle die Hemmungen und Hinder¬
sprach: „Der gute Arzt soll auch ein guter Mensch
nisse vorführen, die auch im 20. Jahrhundert den
sein.“ Was hat auch der Arzt mit Konfessionalismus
Gedanken der Menschengleichheit, der Gerechtigkeit
und Nationalismus zu tun? Bernhardi liegt nur das
und Freiheit verdunkeln. Zeigen muß es, wie das
Wohl seiner Kranken am Herzen. Da befindet sich
nun im „Elisabethinum“ einer von ihm geleiteten
Vorurteil auf die Entwicklung unseres Volkes ein¬
Krankenanstalt, die durch die Wohltätigkeit von
wirkt, und wie verschiedenartig die Gestalten sind,
welche diese Einwirkung zur Erscheinung bringt.
Privaten erhalten wird, ein Mädchen, das infolge
Betrachten wir von diesem Standpunkte aus die
einer Fehlgeburt dem Tode verfallen ist. Im letzten
Gegenwart, so erkennen wir in ihr manche
Augenblicke tritt bei der Sterbenden „Euphorie“
Anzeichen, daß für uns die Vergangenheit noch nicht
ein, jener rätselhafte Zustand, der den Kranken, wern
ganz entschwunden ist.
schon die Schatten des Todes ihn umfangen, noch
Man erhob gegen Juden und Judentum manche
Rettung erhoffen läßt. Ein sehr geschäftiger Kan¬
Anklagen, die zu Verfolgungen führten. Das Mittel¬
didat der Medizin, der den etwas schwer auszu¬
alter sprach von Höhnungen und Lästerungen der
sprechenden Namen Hochroitzpointner führt, und
die Krankenschwester Ludmilla schicken um den
Symbole der christlichen Religion. Auch an solchen
Anklagen fehlt es heute nicht. Und dazu kommt der
Geistlichen, damit er die Sterbende mit den Tröstun¬
Neid, der dem Juden seine gesellschaftliche Stellung
gen der Religion „versehe“ Da dieser kommt, wird
verleidet und ihn aus dieser verdrängen möchte.
er vom Direktor Bernhardi zu der Kranken nicht
Erst das Aufrollen des Judenproblems in einem
zugelassen, denn dieser befürchtet, die Aufregungen,
Literaturwerke kann uns veranlassen, etwa von
die mit der religiösen Zeremonie verbunden sind,
einem Judenromane oder von einem Judenstüche zu
könnten den Tod der Sterbenden beschleunigen.
sprechen. In diesem Sinne ist Nathansens Werk
Fern liegt es Bernhardi, die Religion, das Sakrament
kein Judenstück.
zu verletzen. Was er tut, kommt ars seinem Herzen,
entstammt seiner rein menschlichen Erwägung.
Ein Anderer, ein Größerer, der mit weitem Aus¬
Aber, er hat etwas vergessen: „daß wir in einem
blicke alle Erscheinungen, die das moderne Juden¬
christlichen Staate leben“ Würde ihm dies von
tum darbietet, ins Auge faßt, der Wiener Arthur
einem Manne gesagt werden, der davon überzeugt
Schnitzler, hat das Judenproblem in einem aus¬
ist, der Professor hätte wirklich die Absicht gehabt,
gezeichneten, vielgelesenen Romane, den er den
sich einer religiösen Zeremonie gegenüber feind¬
„Weg ins Freie“ nannte, behandelt. Er hat nun auch
selig zu verhalten, wir würden das Vorgehen Bern¬
die Judenfrage auf die Bühne gebracht in seiner Ko¬
hardis verurteilen können. Denn gerade der Jude
mödie „Professor Bernhardi“.*) die in Berlin
soll sich hüten, fremide religiöse Gefühle zu verle¬
und München aufgeführt wurde, während ihr in
tzen. Und, er hat dies auch immer getan. Aber, der
Wien, ihrem Geburtsorte, der Weg auf die Bretter
ihm die Worte vom „christlichen Staate“ sagt,
verboten ist Denn, um mit dem Dichter zu reden,
es ist der Professor Dr. Flint, dermalen Unterrichts¬
wir leben in einem „christlichen Staate“, will sagen
minister, hat zu einer Zeit, da er noch schlichter Arzt
in einem katholischen, und in einem solchen ist es
und Amtsgenosse Bernhardis gewesen, anders ge¬
dem Dichter verwehrt, über gewisse Dinge, die
dach“ — und geschrieben oder wenigstens schreiben
uns gleichsam auf der Zunge liegen, von der Bühne
wollen. Ein Artikel sollte es sein über: „Gottes¬
herab zu sprechen. Denn noch immer beherrschen
häuser-Krankenhäuser.“ Flint ist seitdem aus einem
unklugen Idealisten ein klügerer Politiker geworden,
*) Erschienen im Verlag S. Fischer in Berlin.