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25. Pro Bernhandi
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Unser Kampf um die Bühne.
Pastor Elger im evangelischen Sittlichkeitsverein zu Köln im November
1908 nach einem Berichte der „Kölnischen Volkszeitung“ (Nr 1021) durch
eine lange Reihe von Inhaltsangaben, daß auf der Bühne das Laster fast
nie verurteilt, daß es vielmehr als natürlich hingestellt und oft sogar ver¬
herrlicht wird. Ahnlich schwere Anklagen hat erst vor einem halben Jahr
ein führender Kritiker Münchens, Alfred Freiherr v. Mensi, in der ersten
Nummer der „Bayerischen Staatszeitung“ erhoben. Über die unbedingte
Schädlichkeit sehr vieler Theater herrscht denn auch unter anständig Denkenden
nicht der leiseste Zweifel. Handelt es sich dagegen um „bessere" Bühnen
und literarisch anspruchsvolle Werke, so geben sich nur allzu viele der
traurigsten Täuschung hin. Der Einfluß, der von Dramen wie „Professor
Bernhardi“ oder „Der gute Ruf“ ausgeht, müßte uns doch geradezu er¬
schrecken! Diese Stücke stehen ja wohl, soweit Dichter von ansehnlicher
Vergangenheit in Frage kommen, unter den Neuheiten des letzten Winters
in der vordersten Reihe. Allein in Berlin ist „Der gute Ruf“ an die
hundertmal, „Professor Bernhardi“ mehr als doppelt so oft gespielt worden,
und beide Dramen sind auch anderswo in deutschen Landen über die Bretter
gegangen. Die österreichische Polizei hat „Professor Bernhardi“ verboten,
vielleicht weil sie die von Schnitzler beliebte politische Satire nicht dulden
konnte. Aber nicht deshalb soll diese „Komödie“ hier zur Kennzeichnung
einer ganzen Klasse gefährlicher Bühnenwerke dienen, sondern weil sie einen
Irrtum befestigen hilft, der schon an sehr vielen Sterbebetten zu einem
entsetzlichen Verhängnis geworden ist.
Im Sanatorium des Wiener Professors Bernhardi liegt ein achtzehn¬
jähriges Mädchen, das sich durch einen verbrecherischen Eingriff eine Blut¬
vergiftung zugezogen hat. Die Kranke wird in wenigen Minuten sterben.
Aber sie befindet sich in der sog. Euphorie, d. h. sie fühlt sich gesund und
meint, sogleich werde ihr Geliebter kommen und sie abholen. Daher ver¬
bietet der Professor dem Pfarrer, der die Sterbesakramente spenden will,
den Eintritt ins Krankenzimmer, denn der Anblick des Priesters werde das
ahnungslose Mädchen erschrecken und vielleicht das Ende beschleunigen.
Während der kurzen Auseinandersetzung darüber stirbt die Armste. Nun
bemächtigt sich die Parteipolitik des Falles. Bernhardi ist Jude. Seine
Tat, zu der er sich als Arzt verpflichtet glaubte, wird durch falsches
Zeugnis zu einem beabsichtigten Angriff auf die Kirche verdreht und als
„Religionsstörung“ mit zwei Monaten Gefängnis bestraft. Am Abend
des Verhandlungstages besucht der Pfarrer den Professor und gesteht ihm
17
Stimmen. LXXXV. 3.
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25. Pro Bernhandi
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Unser Kampf um die Bühne.
Pastor Elger im evangelischen Sittlichkeitsverein zu Köln im November
1908 nach einem Berichte der „Kölnischen Volkszeitung“ (Nr 1021) durch
eine lange Reihe von Inhaltsangaben, daß auf der Bühne das Laster fast
nie verurteilt, daß es vielmehr als natürlich hingestellt und oft sogar ver¬
herrlicht wird. Ahnlich schwere Anklagen hat erst vor einem halben Jahr
ein führender Kritiker Münchens, Alfred Freiherr v. Mensi, in der ersten
Nummer der „Bayerischen Staatszeitung“ erhoben. Über die unbedingte
Schädlichkeit sehr vieler Theater herrscht denn auch unter anständig Denkenden
nicht der leiseste Zweifel. Handelt es sich dagegen um „bessere" Bühnen
und literarisch anspruchsvolle Werke, so geben sich nur allzu viele der
traurigsten Täuschung hin. Der Einfluß, der von Dramen wie „Professor
Bernhardi“ oder „Der gute Ruf“ ausgeht, müßte uns doch geradezu er¬
schrecken! Diese Stücke stehen ja wohl, soweit Dichter von ansehnlicher
Vergangenheit in Frage kommen, unter den Neuheiten des letzten Winters
in der vordersten Reihe. Allein in Berlin ist „Der gute Ruf“ an die
hundertmal, „Professor Bernhardi“ mehr als doppelt so oft gespielt worden,
und beide Dramen sind auch anderswo in deutschen Landen über die Bretter
gegangen. Die österreichische Polizei hat „Professor Bernhardi“ verboten,
vielleicht weil sie die von Schnitzler beliebte politische Satire nicht dulden
konnte. Aber nicht deshalb soll diese „Komödie“ hier zur Kennzeichnung
einer ganzen Klasse gefährlicher Bühnenwerke dienen, sondern weil sie einen
Irrtum befestigen hilft, der schon an sehr vielen Sterbebetten zu einem
entsetzlichen Verhängnis geworden ist.
Im Sanatorium des Wiener Professors Bernhardi liegt ein achtzehn¬
jähriges Mädchen, das sich durch einen verbrecherischen Eingriff eine Blut¬
vergiftung zugezogen hat. Die Kranke wird in wenigen Minuten sterben.
Aber sie befindet sich in der sog. Euphorie, d. h. sie fühlt sich gesund und
meint, sogleich werde ihr Geliebter kommen und sie abholen. Daher ver¬
bietet der Professor dem Pfarrer, der die Sterbesakramente spenden will,
den Eintritt ins Krankenzimmer, denn der Anblick des Priesters werde das
ahnungslose Mädchen erschrecken und vielleicht das Ende beschleunigen.
Während der kurzen Auseinandersetzung darüber stirbt die Armste. Nun
bemächtigt sich die Parteipolitik des Falles. Bernhardi ist Jude. Seine
Tat, zu der er sich als Arzt verpflichtet glaubte, wird durch falsches
Zeugnis zu einem beabsichtigten Angriff auf die Kirche verdreht und als
„Religionsstörung“ mit zwei Monaten Gefängnis bestraft. Am Abend
des Verhandlungstages besucht der Pfarrer den Professor und gesteht ihm
17
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