II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 881

25. Professor Bernhardi box 31/7
Unser Kampf um die Bühne.
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sich nicht, ihn zu empfangen, sondern sie erschrickt und sagt: „Muß ich
denn wirklich sterben?“ Sie weiß sich im Zustand schwerer Sünde und
würde daher auf die Frage, ob sie ohne Beicht ins Jenseits gehen wolle,
sicher antworten: Um keinen Preis! Jedenfalls hat Bernhardi nach Lage
der Dinge nicht den mindesten Anlaß, daran zu zweifeln. Er handelt also
gegen den eigentlichen Willen der Kranken, als er den Pfarrer nicht zu
ihr läßt. Wie er selber über Unsterblichkeit und Sakramente denkt, kommt
dabei gar nicht in Betracht. Denn offenbar steht dem Arzt über das
religiöse Verhalten seiner Kranken ebensowenig ein Bestimmungsrecht zu,
wie etwa über ihr Vermögen. Wo bliebe ferner die staatsrechtlich ver¬
bürgte Freiheit der katholischen Kirche, wenn sie ihren Mitgliedern un¬
gehindert nicht einmal die Hilfe leisten könnte, die nach der Lehre des
Glaubens dringende Notwendigkeit ist?
Und nun kommt Schnitzler und läßt ein Verfahren, wodurch das
heiligste Recht der Kranken und der Kirche bekanntermaßen nur allzu oft
schmählich verletzt wird, als ganz selbstverständliche Pflicht erscheinen, läßt
sogar den Pfarrer mit allem Nachdruck ehrlicher Überzeugung erklären, daß
Bernhardi, wenn auch tatsächlich unter dem geheimen Druck seiner un¬
gläubigen Weltanschauung, so doch grundsätzlich „vollkommen korrekt“ ge¬
handelt habe, daß er „als Arzt“ nicht anders habe handeln können! Das
sagt keine Karikatur von einem Priester, sondern ein Mann „mit ener¬
gischen, klugen Zügen“, der nach der Absicht des Dichters eine würdige
und gewinnende Rolle spielen soll! Und wie hier über die Rechte des
Seelsorgers, so werden in zahllosen andern Theaterstücken über die Not¬
wendigkeit der Religion, über Christus und die Geschichte seiner Kirche,
über die Unsterblichkeit, die Ehe, das Duell die schlimmsten Irrtümer ver¬
führerisch dargestellt und als Selbstverständlichkeiten in weite Volkskreise
getragen.
So unberechenbar indes der Schaden ist, den solche Werke mit ihrer
in Hunderten von Vorstellungen sich wiederholenden Begriffsverwirrung an¬
richten, kaum geringeres Verderben stiften die fast noch zahlreicheren Dramen
von der Art des Sudermannschen Schauspiels „Der gute Ruf“. Da zeigt
sich der Geheime Kommerzienrat Weißegger ängstlich besorgt für die un¬
bescholtene Ehre seines Hauses — ruiniert aber erbarmungslos seine Kon¬
kurrenz und hält sich ständig einen verlumpten Adeligen als „Amüsierfritze“.
der die auswärtige Kundschaft in die erwünschten Nachtlokale führen muß.
Die Frau dieses Barons streitet sich mit der Frau des Kommerzienrates
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