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25 PBernhardi
ahnende Kranke auf die letzte Beichte vorbereitet, so erscheint
sie uns wie ein Gruß aus der Welt jener Frauen, die die
unberechenbaren Werkzeuge gefühlsmäßiger Eingebungen
sind. Wir hören außerdem noch von der Frau des Pro¬
fessors Tugendvetter, die auf den Hofratstitel „wie verrückt“.
ist; von der Frau des Professors Filitz, die schwer gekränkt
ist und durch ihren Mann Genugtuung von Bernhardi
fordert, weil die Fürstin Stirenstein — „eine durchlauchtigste
Gans“, wie sie Bernhardi nennt — sie nicht empfangen
Wir sehen, wie die Männer nur ausübende Organe
hat.
dieser Frauen sind, dann verblassen auch diese weiblichen
Leuchten.
Eine männliche Komödie und doch ohne eigentliche
dramatische Kraft! Der Mann, der im Mittelpunkt des
Stückes steht, lehnt es grundsätzlich ab, ein Held oder ein
Reformator zu sein. Er will nicht kämpfen und kämpft
nicht, denn er ist ein Sieger von der ersten Szene an. Er
sagt einmal, seine letzten Worte unterscheiden sich selten von
seinen ersten. Auch seine Taten unterscheiden sich im letzten
Akt nicht von denen im ersten. Ein feines ironisches
Lächeln eignet diesem Manne, dem ein gerettetes Menschen¬
leben mehr wert ist als ein hochgehaltenes Banner. Er hat
seinen Beruf darin erkannt, seinen Mitmenschen zu nützen;
was kümmern ihn Religion und Politik, die den Menschen
zum blinden Fanatiker machen, die ihn von der Erkenntnis
der Wahrheit fernhalten. Darum fühlt er sich all den klein¬
lichen, sich befehdenden oder sich mit verlogenen Mitteln
unterstützenden Menschen weit überlegen; deshalb huscht
über sein Gesicht so oft das ironische Lächeln. Er ist ein
König, dessen Würde unveräußerlich ist; ihn kann keiner
verkleinern, da er die Vorurteile und Werturteile der ihn
umgebenden scheinheiligen Welt nicht teilt. Diese Über¬
legenheit benimmt ihm freilich alle Tatkraft, so daß er —
box 31/7
2
äußerlich wenigstens — seinen Feinden erliegt. Er erinnert
dadurch etwas an Shakespeares Richard II., nur fehlt ihm
die elegische Stimmung für die Märtyrerkrone.
Ein eigenartiger Mensch, dieser Bernhardi! Und eigen¬
artiger in dem Schnitzlerschen Drama, als er es in Wirk¬
lichkeit wäre! Er steht in der Mitte eines Dramas als ein
willensstarker, entschlossener Mann von ungebrochener Arbeits¬
kraft und Menschenliebe, und doch bleibt er ein Rührmich¬
nichtan, ein Angegriffener, der vor dem Kampf zurückweicht,
noch ehe er seine Kräfte erprobt hat. Ein Sieger, der
seiner Überzeugung nach nicht zu kämpfen und zu siegen
braucht! Es liegt etwas Anziehendes in der eigenartigen
Technik dieses Dramas, die freilich nicht dramatisch ist.
Der Dichter wählt als Helden einen Mann, der keinem ein
Unrecht zugefügt hat und deshalb über jede Verteidigung
erhaben ist; an diesem, an seinem passiven Widerstand läßt
er die Gemüter all der Menschen sich entzünden, die das
Große und Schöne nur als Deckmantel für ihre kleinlichen
Absichten benutzen. Wie einen Fels hat er seinen Helden
hingestellt, gegen den manche Woge schwer herangerollt
kommt, um an ihm in leichten Gischt zu zersprühen.
Ja, diese Komödie ist kein Kampf von Leidenschaften,
es ist eine hitzige Affäre. Der Jude Bernhardi ist der Stein,
den der Dichter in einen Sumpf wirft; man beobachtet
nun die Wirkung des fallenden Steines, die Kreise, die er
auf der Oberfläche zieht, die Sumpfblasen, die er aus ihrer
Ruhe nach oben treibt. Es jubelt keine Freude in
diesem Drama, es weint kein Schmerz. Stagnierendes
Wasser ist alles, der Sumpf der Konzessionen und Kom¬
promisse; es fällt wie von ungefähr ein Stein hinein,
dann glättet sich die Oberfläche wieder. Eine Affäre ist
das Ganze, vielleicht ein geistiges Kampfspiel, in dem
manche Waffe blitzt; doch wie wütend sich auch die Kämpfer
25 PBernhardi
ahnende Kranke auf die letzte Beichte vorbereitet, so erscheint
sie uns wie ein Gruß aus der Welt jener Frauen, die die
unberechenbaren Werkzeuge gefühlsmäßiger Eingebungen
sind. Wir hören außerdem noch von der Frau des Pro¬
fessors Tugendvetter, die auf den Hofratstitel „wie verrückt“.
ist; von der Frau des Professors Filitz, die schwer gekränkt
ist und durch ihren Mann Genugtuung von Bernhardi
fordert, weil die Fürstin Stirenstein — „eine durchlauchtigste
Gans“, wie sie Bernhardi nennt — sie nicht empfangen
Wir sehen, wie die Männer nur ausübende Organe
hat.
dieser Frauen sind, dann verblassen auch diese weiblichen
Leuchten.
Eine männliche Komödie und doch ohne eigentliche
dramatische Kraft! Der Mann, der im Mittelpunkt des
Stückes steht, lehnt es grundsätzlich ab, ein Held oder ein
Reformator zu sein. Er will nicht kämpfen und kämpft
nicht, denn er ist ein Sieger von der ersten Szene an. Er
sagt einmal, seine letzten Worte unterscheiden sich selten von
seinen ersten. Auch seine Taten unterscheiden sich im letzten
Akt nicht von denen im ersten. Ein feines ironisches
Lächeln eignet diesem Manne, dem ein gerettetes Menschen¬
leben mehr wert ist als ein hochgehaltenes Banner. Er hat
seinen Beruf darin erkannt, seinen Mitmenschen zu nützen;
was kümmern ihn Religion und Politik, die den Menschen
zum blinden Fanatiker machen, die ihn von der Erkenntnis
der Wahrheit fernhalten. Darum fühlt er sich all den klein¬
lichen, sich befehdenden oder sich mit verlogenen Mitteln
unterstützenden Menschen weit überlegen; deshalb huscht
über sein Gesicht so oft das ironische Lächeln. Er ist ein
König, dessen Würde unveräußerlich ist; ihn kann keiner
verkleinern, da er die Vorurteile und Werturteile der ihn
umgebenden scheinheiligen Welt nicht teilt. Diese Über¬
legenheit benimmt ihm freilich alle Tatkraft, so daß er —
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äußerlich wenigstens — seinen Feinden erliegt. Er erinnert
dadurch etwas an Shakespeares Richard II., nur fehlt ihm
die elegische Stimmung für die Märtyrerkrone.
Ein eigenartiger Mensch, dieser Bernhardi! Und eigen¬
artiger in dem Schnitzlerschen Drama, als er es in Wirk¬
lichkeit wäre! Er steht in der Mitte eines Dramas als ein
willensstarker, entschlossener Mann von ungebrochener Arbeits¬
kraft und Menschenliebe, und doch bleibt er ein Rührmich¬
nichtan, ein Angegriffener, der vor dem Kampf zurückweicht,
noch ehe er seine Kräfte erprobt hat. Ein Sieger, der
seiner Überzeugung nach nicht zu kämpfen und zu siegen
braucht! Es liegt etwas Anziehendes in der eigenartigen
Technik dieses Dramas, die freilich nicht dramatisch ist.
Der Dichter wählt als Helden einen Mann, der keinem ein
Unrecht zugefügt hat und deshalb über jede Verteidigung
erhaben ist; an diesem, an seinem passiven Widerstand läßt
er die Gemüter all der Menschen sich entzünden, die das
Große und Schöne nur als Deckmantel für ihre kleinlichen
Absichten benutzen. Wie einen Fels hat er seinen Helden
hingestellt, gegen den manche Woge schwer herangerollt
kommt, um an ihm in leichten Gischt zu zersprühen.
Ja, diese Komödie ist kein Kampf von Leidenschaften,
es ist eine hitzige Affäre. Der Jude Bernhardi ist der Stein,
den der Dichter in einen Sumpf wirft; man beobachtet
nun die Wirkung des fallenden Steines, die Kreise, die er
auf der Oberfläche zieht, die Sumpfblasen, die er aus ihrer
Ruhe nach oben treibt. Es jubelt keine Freude in
diesem Drama, es weint kein Schmerz. Stagnierendes
Wasser ist alles, der Sumpf der Konzessionen und Kom¬
promisse; es fällt wie von ungefähr ein Stein hinein,
dann glättet sich die Oberfläche wieder. Eine Affäre ist
das Ganze, vielleicht ein geistiges Kampfspiel, in dem
manche Waffe blitzt; doch wie wütend sich auch die Kämpfer