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25 PBernhandi
gebärden, es fließt kein Blut, weil alle durch Masken ge¬
schützt sind.
Es sagt einmal jemand in der Komödie: „Eine Ge¬
schichte der Affäre! Das könnte ein interessantes Buch
werden. Sie haben Gelegenheit gehabt, die Menschen
kennen zu lernen.“ In der Tat, es ist der Reiz dieser
Komödie, daß wir Menschen kennen lernen so, wie sie sich
im Spiegel der uninteressierten Wahrheit zeigen. Genauer
könnte man sagen, wir lernen die Menschen im nur allzu
menschlichen Kampfe um ihre vermeintlich höchsten geistigen
Güter — oder besser: um die geistige Tünche — kennen.
Alles Gefühlsmäßige bebt nur kaum merklich unter dieser
Decke. Als es den Gegnern gelungen ist, Bernhardi zum
Rücktritt von seinem Direktorposten zu bewegen, da über¬
nimmt sein ärgster Feind Ebenwald die Leitung der Sitzung
mit den ebenso gedankenlos=konventionellen wie äußerst
charakteristischen Worten: „Da Herr Professor Bernhardi zu
unserm Bedauern die Direktorstelle niedergelegt hat, über¬
nehme ich nach § 7 unserer Statuten die Leitung des
Elisabethinums und zugleich den Vorsitz dieser noch im
Gang befindlichen Sitzung. Ich bitte Sie, meine Herren,
um das gleiche Vertrauen, daß Sie dem scheidenden Direktor
in so reichem Maße entgegengebracht haben, und hoffe mich
desselben würdig zu erweisen.“ Und weil in diesem Stücke
nur maskierte Absichten und Anschauungen aufeinander¬
platzen, weil in den Personen keine seelischen Konflikte
deutlich werden, so kenne ich auch kein Theaterstück, bei
dem wie bei diesem die Bühne dem Buche fast nichts hinzu¬
zufügen hat. In Österreich ist die Aufführung des Werkes
verboten; die Österreicher können sich trösten: aus dem
Buche werden sie alles, was der Dichter will, herauslesen,
falls sie von der übeln Gewohnheit, die man ihnen nach¬
sagt, lassen wollen, ein Theaterstück niemals zu lesen.
box 31/7
Auf die Beleuchtung faktiöser Kampfweise ist es denn
auch wohl dem Dichter mehr angekommen als auf die
Herausarbeitung dramatischer Konflikte. Es läßt sich dies
leicht aus der Art und Weise erkennen, wie er den Stein
ins Rollen bringt. Professor Bernhardi verweigert dem
Priester den Zutritt zu einer Sterbenden, die sich im Zu¬
stande der Euphorie, d. h. kurz vor dem Tode in dem
glücklichen Wahne befindet, vollständig zu genesen. Es stehen
sich zwei Ansichten scharf gegenüber: die Bernhardis: „Zu
meinen Pflichten gehört es, meinen Kranken, wenigstens so
weit als möglich, ein glückliches Sterben zu verschaffen“.
und die des Priesters: „Sie können nicht wissen, ob nicht
irgendwo in der Tiefe ihrer Seele, die Gott allein sieht,
gerade in diesen Augenblicken, die ihr noch vergönnt sind,
die Sehnsucht wach ist, durch eine letzte Beichte aller
Sünden sich zu entlasten.“ Hieraus hätte der Dramatiker
einen Konflikt zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit einer¬
seits und Kirche und Glauben andrerseits entwickeln können.
Dann hätte allerdings Bernhardi nicht nur die Über¬
zeugung haben müssen, daß er seinen Mitmenschen helfen
und soviel Glück im Sterben verschaffen soll, wie nur mög¬
lich, er hätte auch an der Not und dem Glück andrer
teilhaben müssen. An einer derartigen Verinnerlichung
des Konflikts lag offenbar dem Dichter nichts. Denn wenn
auch Professor Bernhardi einige mitleidige Worte für die
arme Sterbende findet, die ihr einziges Glück vielleicht in
der Sterbestunde erlebt, so entspringen diese Worte offenbar
mehr seiner prinzipiellen Überzeugung, die auf einer mo¬
nistischen und sozialen Weltanschauung beruht. Wir glauben
ihm deshalb nicht recht, daß er nur in der Eingebung des
Augenblicks dem Priester den Zutritt zu seiner Kranken ver¬
weigerte; vielmehr halten wir es für eine Selbsttäuschung
Bernhardis. Sein feiner Spott gegenüber dem Drängen
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gebärden, es fließt kein Blut, weil alle durch Masken ge¬
schützt sind.
Es sagt einmal jemand in der Komödie: „Eine Ge¬
schichte der Affäre! Das könnte ein interessantes Buch
werden. Sie haben Gelegenheit gehabt, die Menschen
kennen zu lernen.“ In der Tat, es ist der Reiz dieser
Komödie, daß wir Menschen kennen lernen so, wie sie sich
im Spiegel der uninteressierten Wahrheit zeigen. Genauer
könnte man sagen, wir lernen die Menschen im nur allzu
menschlichen Kampfe um ihre vermeintlich höchsten geistigen
Güter — oder besser: um die geistige Tünche — kennen.
Alles Gefühlsmäßige bebt nur kaum merklich unter dieser
Decke. Als es den Gegnern gelungen ist, Bernhardi zum
Rücktritt von seinem Direktorposten zu bewegen, da über¬
nimmt sein ärgster Feind Ebenwald die Leitung der Sitzung
mit den ebenso gedankenlos=konventionellen wie äußerst
charakteristischen Worten: „Da Herr Professor Bernhardi zu
unserm Bedauern die Direktorstelle niedergelegt hat, über¬
nehme ich nach § 7 unserer Statuten die Leitung des
Elisabethinums und zugleich den Vorsitz dieser noch im
Gang befindlichen Sitzung. Ich bitte Sie, meine Herren,
um das gleiche Vertrauen, daß Sie dem scheidenden Direktor
in so reichem Maße entgegengebracht haben, und hoffe mich
desselben würdig zu erweisen.“ Und weil in diesem Stücke
nur maskierte Absichten und Anschauungen aufeinander¬
platzen, weil in den Personen keine seelischen Konflikte
deutlich werden, so kenne ich auch kein Theaterstück, bei
dem wie bei diesem die Bühne dem Buche fast nichts hinzu¬
zufügen hat. In Österreich ist die Aufführung des Werkes
verboten; die Österreicher können sich trösten: aus dem
Buche werden sie alles, was der Dichter will, herauslesen,
falls sie von der übeln Gewohnheit, die man ihnen nach¬
sagt, lassen wollen, ein Theaterstück niemals zu lesen.
box 31/7
Auf die Beleuchtung faktiöser Kampfweise ist es denn
auch wohl dem Dichter mehr angekommen als auf die
Herausarbeitung dramatischer Konflikte. Es läßt sich dies
leicht aus der Art und Weise erkennen, wie er den Stein
ins Rollen bringt. Professor Bernhardi verweigert dem
Priester den Zutritt zu einer Sterbenden, die sich im Zu¬
stande der Euphorie, d. h. kurz vor dem Tode in dem
glücklichen Wahne befindet, vollständig zu genesen. Es stehen
sich zwei Ansichten scharf gegenüber: die Bernhardis: „Zu
meinen Pflichten gehört es, meinen Kranken, wenigstens so
weit als möglich, ein glückliches Sterben zu verschaffen“.
und die des Priesters: „Sie können nicht wissen, ob nicht
irgendwo in der Tiefe ihrer Seele, die Gott allein sieht,
gerade in diesen Augenblicken, die ihr noch vergönnt sind,
die Sehnsucht wach ist, durch eine letzte Beichte aller
Sünden sich zu entlasten.“ Hieraus hätte der Dramatiker
einen Konflikt zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit einer¬
seits und Kirche und Glauben andrerseits entwickeln können.
Dann hätte allerdings Bernhardi nicht nur die Über¬
zeugung haben müssen, daß er seinen Mitmenschen helfen
und soviel Glück im Sterben verschaffen soll, wie nur mög¬
lich, er hätte auch an der Not und dem Glück andrer
teilhaben müssen. An einer derartigen Verinnerlichung
des Konflikts lag offenbar dem Dichter nichts. Denn wenn
auch Professor Bernhardi einige mitleidige Worte für die
arme Sterbende findet, die ihr einziges Glück vielleicht in
der Sterbestunde erlebt, so entspringen diese Worte offenbar
mehr seiner prinzipiellen Überzeugung, die auf einer mo¬
nistischen und sozialen Weltanschauung beruht. Wir glauben
ihm deshalb nicht recht, daß er nur in der Eingebung des
Augenblicks dem Priester den Zutritt zu seiner Kranken ver¬
weigerte; vielmehr halten wir es für eine Selbsttäuschung
Bernhardis. Sein feiner Spott gegenüber dem Drängen