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des Priesters, daß die Kranke dringender als manche andere
der Absolution bedürfe, ist zu bezeichnend: „Sind wir nicht
allzumal Sünder, Hochwürden?“ Bernhardi tritt uns in
dem ganzen Drama als ein in seinen Anschauungen zu ge¬
festigter Charakter gegenüber, als daß wir mit ihm be¬
schwören könnten — er hat allerdings laut seiner reinen
Überzeugung ein Recht dazu —: „In dem Augenblick,
Hochwürden, da ich Ihnen den Eintritt in jenes Kranken¬
zimmer verweigerte, da war von Feindseligkeit kein Hauch
in mir. So reinen Herzens stand ich Ihnen dort gegen¬
über in meiner Eigenschaft als Arzt — wie nur je ein
Angehöriger Ihres Standes am Altar eine kirchliche Hand¬
lung verrichtet hat. Nicht weniger reinen Herzens als Sie
mir gegenüberstanden, — der gekommen war, meiner
Kranken die letzten Tröstungen der Religion zu bringen.“
Die Selbsttäuschung bei Bernhardi beruht darauf, daß er
das, was nur ein momentaner Ausfluß seiner Überzeugung
war, für eine Aufwallung des Gefühls hält, und darum
hat vielleicht eher der Pfarrer Recht — wenn er auch die
Motive Bernhardis zu sehr ins Kleinliche zieht, da er für
seine Weltanschauung weder Achtung noch Verständnis
hat — wenn er zu der Erkenntnis kommt: „Was ich be¬
streite, ist nur, daß Sie aus diesem Gefühl der Verant¬
wortung heraus mir den Eintritt in das Sterbezimmer ver¬
weigert haben. Der wahre Grund Ihrer Haltung gegen
mich lag nicht in Ihrem Verantwortungsgefühl, auch nicht
in der edeln Aufwallung eines Momentes, wie Sie sich
vielleicht einbilden, wie sogar ich selbst zu glauben nahe
daran war, sondern er lag viel tiefer, in den Wurzeln Ihres
Wesens selbst. Jawohl, Herr Professor, der wirkliche Grund
war, — wie soll ich sagen — eine Antipathie gegen mich ...
eine unbeherrschbare Antipathie — vielmehr eine Feind¬
seligkeit gegen das, was dieses Gewand hier für Sie —
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box 31/7
und Ihresgleichen bedeutet.“ Jedes Gefühlsmoment ist in
dieser Komödie ausgeschaltet; allerdings mit so leiser Hand,
daß es die Personen offenbar selbst nicht merken. Nur
einmal, dort vor dem Sterbezimmer der armen Kranken,
waren wir Zeugen eines — gleichsam leidenschaftlichen
Ausbruchs; dann lenkt der Dichter sofort in den Partei¬
kampf hinein: der Jnde Bernhardi hat sich eine Blöße
gegeben; man darf ihn also unter Versicherung des größten
Wohlwollens zu Tode hetzen. Die Affäre ist da. Sie hat
etwas Typisches. Denn daß es sich hier um die Nieder¬
kämpfung eines Juden handelt, ist nur besonders drastisch;
im allgemeinen ist die ganze Hetze charakteristisch für jeden
Kampf, in dem der Eigennutz und die Dummheit Sturm
laufen gegen die Wahrheit.
Man hat gesagt, Schnitzlers Komödie stelle einen Kampf
um die Wahrheit dar. Das ist meines Erachtens nicht
ganz richtig: es ist ein Kampf gegen die Wahrheit. Bern¬
hardi selbst scheidet als Kämpfer aus, wie ich schon oben
bemerkt habe; das Spiel liegt in den Händen derer, die
gegen die Wahrheit ankämpfen.
Im Krankenhaus Elisabethinum liegt ein junges Mädchen
an einer Infektionskrankheit. Wir hören, daß es sich wahr¬
scheinlich um einen verbotenen Eingriff handelt. Drei Tage
liegt sie im Krankenhause, ohne daß sich ein Verwandter
oder Bekannter um sie bekümmert hat. Nun ist Euphorie
eingetreten; die Kranke fühlt sich so wohl, daß sie auf¬
stehen möchte, und doch hat der Tod schon von ihr Besitz
ergriffen. Ohne des Direktors Bernhardi Wissen ist der
Geistliche gerufen worden. Bernhardi verwehrt dem Pfarrer
den Zutritt zu der Sterbenden. Es entspinnt sich ein Wort¬
gefecht zwischen Bernhardi und dem Pfarrer. Der An¬
schauung des Arztes: „Ich glaube, Hochwürden, es wäre
kein gutes, fast möchte ich zu behaupten wagen, kein gott¬
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des Priesters, daß die Kranke dringender als manche andere
der Absolution bedürfe, ist zu bezeichnend: „Sind wir nicht
allzumal Sünder, Hochwürden?“ Bernhardi tritt uns in
dem ganzen Drama als ein in seinen Anschauungen zu ge¬
festigter Charakter gegenüber, als daß wir mit ihm be¬
schwören könnten — er hat allerdings laut seiner reinen
Überzeugung ein Recht dazu —: „In dem Augenblick,
Hochwürden, da ich Ihnen den Eintritt in jenes Kranken¬
zimmer verweigerte, da war von Feindseligkeit kein Hauch
in mir. So reinen Herzens stand ich Ihnen dort gegen¬
über in meiner Eigenschaft als Arzt — wie nur je ein
Angehöriger Ihres Standes am Altar eine kirchliche Hand¬
lung verrichtet hat. Nicht weniger reinen Herzens als Sie
mir gegenüberstanden, — der gekommen war, meiner
Kranken die letzten Tröstungen der Religion zu bringen.“
Die Selbsttäuschung bei Bernhardi beruht darauf, daß er
das, was nur ein momentaner Ausfluß seiner Überzeugung
war, für eine Aufwallung des Gefühls hält, und darum
hat vielleicht eher der Pfarrer Recht — wenn er auch die
Motive Bernhardis zu sehr ins Kleinliche zieht, da er für
seine Weltanschauung weder Achtung noch Verständnis
hat — wenn er zu der Erkenntnis kommt: „Was ich be¬
streite, ist nur, daß Sie aus diesem Gefühl der Verant¬
wortung heraus mir den Eintritt in das Sterbezimmer ver¬
weigert haben. Der wahre Grund Ihrer Haltung gegen
mich lag nicht in Ihrem Verantwortungsgefühl, auch nicht
in der edeln Aufwallung eines Momentes, wie Sie sich
vielleicht einbilden, wie sogar ich selbst zu glauben nahe
daran war, sondern er lag viel tiefer, in den Wurzeln Ihres
Wesens selbst. Jawohl, Herr Professor, der wirkliche Grund
war, — wie soll ich sagen — eine Antipathie gegen mich ...
eine unbeherrschbare Antipathie — vielmehr eine Feind¬
seligkeit gegen das, was dieses Gewand hier für Sie —
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und Ihresgleichen bedeutet.“ Jedes Gefühlsmoment ist in
dieser Komödie ausgeschaltet; allerdings mit so leiser Hand,
daß es die Personen offenbar selbst nicht merken. Nur
einmal, dort vor dem Sterbezimmer der armen Kranken,
waren wir Zeugen eines — gleichsam leidenschaftlichen
Ausbruchs; dann lenkt der Dichter sofort in den Partei¬
kampf hinein: der Jnde Bernhardi hat sich eine Blöße
gegeben; man darf ihn also unter Versicherung des größten
Wohlwollens zu Tode hetzen. Die Affäre ist da. Sie hat
etwas Typisches. Denn daß es sich hier um die Nieder¬
kämpfung eines Juden handelt, ist nur besonders drastisch;
im allgemeinen ist die ganze Hetze charakteristisch für jeden
Kampf, in dem der Eigennutz und die Dummheit Sturm
laufen gegen die Wahrheit.
Man hat gesagt, Schnitzlers Komödie stelle einen Kampf
um die Wahrheit dar. Das ist meines Erachtens nicht
ganz richtig: es ist ein Kampf gegen die Wahrheit. Bern¬
hardi selbst scheidet als Kämpfer aus, wie ich schon oben
bemerkt habe; das Spiel liegt in den Händen derer, die
gegen die Wahrheit ankämpfen.
Im Krankenhaus Elisabethinum liegt ein junges Mädchen
an einer Infektionskrankheit. Wir hören, daß es sich wahr¬
scheinlich um einen verbotenen Eingriff handelt. Drei Tage
liegt sie im Krankenhause, ohne daß sich ein Verwandter
oder Bekannter um sie bekümmert hat. Nun ist Euphorie
eingetreten; die Kranke fühlt sich so wohl, daß sie auf¬
stehen möchte, und doch hat der Tod schon von ihr Besitz
ergriffen. Ohne des Direktors Bernhardi Wissen ist der
Geistliche gerufen worden. Bernhardi verwehrt dem Pfarrer
den Zutritt zu der Sterbenden. Es entspinnt sich ein Wort¬
gefecht zwischen Bernhardi und dem Pfarrer. Der An¬
schauung des Arztes: „Ich glaube, Hochwürden, es wäre
kein gutes, fast möchte ich zu behaupten wagen, kein gott¬
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