—.
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25. Prefess Benhandi
386
Tragikomödie des Eigensinns, der keinen tiefern Sinn hat. Die
Tragikomödie des Starrsinns, der nicht so recht den ganzen Mut
hat, starren Sinnes zu bleiben.
Und mit einem Male weiß man es: Arthur Schnitzlers neues
Werk ist deshalb kein Kunstwerk, weil der Dichter nicht den
guten Mut zur Tragödie und nicht die gute Laune zur Komödie
hatte. Es mag ihm vorgeschwebt haben, einen charakterlosen
Charakter zu zeichnen. Einen Menschen, der sich selbst hineinhetzt
in Kämpfe, denen er nicht gewachsen ist, gewachsen sein will.
Einen Idealisten, der nicht imstande ist, sein Letztes zu geben für
seine Idee. Wäre eine Frau im Hintergrund — die Groteske
wäre gelungen. Man hätte gewußt, warum dieser Professor sich
mit allen Menschen überwirft. Man hätte seinen Willen zur Tat
und seine Schwäche zur Tat begriffen.
So aber bleibt die Gestalt halb, in der Mitte geknickt, an
Händen und Füßen gebunden. Die Tat selber, die den Ausgangs¬
punkt des Konfliktes bildet, war gar keine Tat, sondern ein
Zufall. Und der Zufall wird aufgegriffen, zum Thema, zum
Gesetz, zum Schlachtruf erhoben. Doch nicht aus innerer Erkenntnis,
daß der Zufall Pflichten aufgedeckt und beleuchtet habe — sondern
so allgemein aus der wütenden Laune eines Augenblicks; aus der
Plötzlichkeit einer gehetzten Situation
aus Starrsinn!
II.
Ein Arzt wehrt einem Pfarrer den Zutritt zu einem
Sterbenden, weil dieser Sterbende den Tod nicht wittert. Das
wäre der reine destillierte Konflikt. Er ist der Meinung und der
Überzeugung, daß man die letzte Stunde eines Menschen nicht
durch Angst ums Jenseits peinigen soll; daß der letzte Atemzug
nicht der richtige Moment ist, um mit einem Menschen Rechnung
zu halten über Fehl und Sünde.
Er ist als Arzt der Überzeugung —— aber nein! Es ist ja
nicht wahr! Professor Bernhardi betoni es ja immer wieder: Es
handelt sich ihm gar nicht um das Vertreten einer Überzeugung,
um das Verfechten einer Idee. Nicht die Spur. Es handelt sich
„um einen speziellen Jall“...
Der spezielle Fall führt zu einem Konflikt. Die Politiker
des lieben Österreichs (das eigentlich Wien ist) bauschen den Fall
auf. Man interpelliert, intrigiert, insinuiert. Der Minister für
Kultus (eine der besten Gestalten des Stückes) fällt um und steht
wieder auf und fällt wieder um. Die Juden wettern, die Anti¬
semiten bellen. Die Überläufer kommen in Verlegenheit.
Dieser Tumult ist in mancher Szene kostbar gezeichnet.
Dr. Cyprian ist eine Prachtgestalt. Dr. Löwenstein redet deutlich
mit allen Gliedmaßen. Aber der Held, der Träger des Konfliktes,
Professor Bernhardi bleibt im Konflikt stecken. Er kommt aus
dem Lehm seiner Überzeugung nicht heraus. Er lehnt seine Freunde
ab. Er wehrt sich aber auch nicht gegen seine Feinde. Er resigniert.
—.—
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25. Prefess Benhandi
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Tragikomödie des Eigensinns, der keinen tiefern Sinn hat. Die
Tragikomödie des Starrsinns, der nicht so recht den ganzen Mut
hat, starren Sinnes zu bleiben.
Und mit einem Male weiß man es: Arthur Schnitzlers neues
Werk ist deshalb kein Kunstwerk, weil der Dichter nicht den
guten Mut zur Tragödie und nicht die gute Laune zur Komödie
hatte. Es mag ihm vorgeschwebt haben, einen charakterlosen
Charakter zu zeichnen. Einen Menschen, der sich selbst hineinhetzt
in Kämpfe, denen er nicht gewachsen ist, gewachsen sein will.
Einen Idealisten, der nicht imstande ist, sein Letztes zu geben für
seine Idee. Wäre eine Frau im Hintergrund — die Groteske
wäre gelungen. Man hätte gewußt, warum dieser Professor sich
mit allen Menschen überwirft. Man hätte seinen Willen zur Tat
und seine Schwäche zur Tat begriffen.
So aber bleibt die Gestalt halb, in der Mitte geknickt, an
Händen und Füßen gebunden. Die Tat selber, die den Ausgangs¬
punkt des Konfliktes bildet, war gar keine Tat, sondern ein
Zufall. Und der Zufall wird aufgegriffen, zum Thema, zum
Gesetz, zum Schlachtruf erhoben. Doch nicht aus innerer Erkenntnis,
daß der Zufall Pflichten aufgedeckt und beleuchtet habe — sondern
so allgemein aus der wütenden Laune eines Augenblicks; aus der
Plötzlichkeit einer gehetzten Situation
aus Starrsinn!
II.
Ein Arzt wehrt einem Pfarrer den Zutritt zu einem
Sterbenden, weil dieser Sterbende den Tod nicht wittert. Das
wäre der reine destillierte Konflikt. Er ist der Meinung und der
Überzeugung, daß man die letzte Stunde eines Menschen nicht
durch Angst ums Jenseits peinigen soll; daß der letzte Atemzug
nicht der richtige Moment ist, um mit einem Menschen Rechnung
zu halten über Fehl und Sünde.
Er ist als Arzt der Überzeugung —— aber nein! Es ist ja
nicht wahr! Professor Bernhardi betoni es ja immer wieder: Es
handelt sich ihm gar nicht um das Vertreten einer Überzeugung,
um das Verfechten einer Idee. Nicht die Spur. Es handelt sich
„um einen speziellen Jall“...
Der spezielle Fall führt zu einem Konflikt. Die Politiker
des lieben Österreichs (das eigentlich Wien ist) bauschen den Fall
auf. Man interpelliert, intrigiert, insinuiert. Der Minister für
Kultus (eine der besten Gestalten des Stückes) fällt um und steht
wieder auf und fällt wieder um. Die Juden wettern, die Anti¬
semiten bellen. Die Überläufer kommen in Verlegenheit.
Dieser Tumult ist in mancher Szene kostbar gezeichnet.
Dr. Cyprian ist eine Prachtgestalt. Dr. Löwenstein redet deutlich
mit allen Gliedmaßen. Aber der Held, der Träger des Konfliktes,
Professor Bernhardi bleibt im Konflikt stecken. Er kommt aus
dem Lehm seiner Überzeugung nicht heraus. Er lehnt seine Freunde
ab. Er wehrt sich aber auch nicht gegen seine Feinde. Er resigniert.
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