II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 930

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25 PrfeBernhand
Rosenkranz und Güldenstern nach dem Reichsstrafgesetzbuch vom#
Jahre 1871 freizusprechen wäre oder nicht.
Shakespeare hat aber auch die Verbrecherseele als großer
Seelenkenner erfaßt. Weder die Welt des Rechtes noch jene des
Unrechtes ist ihm fremd geblieben und so ließe sich aus seinen
Dramen eine ganze Kriminalpsychologie herausdestillieren. Dies
hat nun der schon genannte Professor Kohler in seinen vor nicht
langer Zeit erschienenen „Verbrechertypen in Shakespeares Dramen“
versucht. Hier ist nun einmal der ganze Shakespeare durch das Auge eines
Kriminalisten gesehen. Und wir erkennen staunend, wie der große
7011 1 Neaes Wiener Jeurnal Wie
poetische Psychologe gemeingültige Verbrechertypen aufgestellt
und durch seine Seelenkenntnis die Forschung moderner Krimina¬
listen vorausgeahnt hat. Als Leidenschaftsverbrecher tritt Macbeth
vor uns, Richard III. ist der Typus des Staatsstreichverbrechers,
Dichter und Verbrechen.

während Brutus und Cassius die Verbrecher aus altruistischen
Von
Trieben (Fanatiker) verkörpern. Othello dagegen ist der Gelegen¬
Dr. Emil Rechert.
heitsverbrecher, und zwar ein solcher, dem die Gelegenheit so wie
77 Anläßlich der soeben erschienenen Erzählung
nitzlers keinem anderen mitspielt. „Seine Tat ist so sehr Gelegenheit, so
„Doktor Gräßler“ wurde an seine früher geschaffene Figür eines
wenig im verbrecherischen Charakter begründet, daß wir ihm nicht
Arztes „Professor Bernhardi“ erinnert. Von sachverständiger Seite nur mildernde Umstände zuschreiben, daß ihn viele Rechte völlig
burde neuerdings das Bedauern darüber ausgesprochen, daßfreisprächen.“
dieses Schauspiel nach wie vor unseren Bühnen fernbleiben soll.
Wenn, wie wir vorhin sahen, ein deutscher Professor den
Trotzdem hat dieses unaufgeführte Stück, wie man sich noch Fall Hamlet nach heutigem Strafrecht untersucht, ist auch die Be¬
rinnert, die Oeffentlichkeit lebhaft beschäftigt, so lebhaft, wie dies merkung gestattet, daß die Affäre Othello ein guter Schwurgerichts¬
nanches andere, welches das Rampenlicht erblickte, nicht an¬
fall gewesen wäre.
nühernd vermochte. Dieses Werk unseres heute hervorragendsten
Alle die Genannten stellen noch Verbrecher mit sozialem
Dramatikers ist, obwohl oder vielleicht gerade weil es
Wesen dar, welche die Tat noch mit einem Schein sozialer
hier nicht zur Aufführung gelangte, aus allen möglichen
Ordnung zu überdecken trachten, trotz ihres Verbrechens das un¬
Gesichtspunkten besprochen worden. Nuc über die mangelnde versiegbare Bedürfnis empfinden, den Zusammenhalt mit der
Gesetzeskunde, die es verrät, hat man sich nicht
menschlichen Gesellschaft nicht zu verlieren. Auch sie unterliegen
ausgglassen. Und doch stört dieser Punkt gerade bei einem noch der Macht des Gewissens, dieses furchtbaren Meisters, der
mo##nen Schriftsteller, der die Wahrheit über alles stellt. Den
dem Menschen seine Zugehörigkeit zur Menschheit erkennen läßt.
Außelpunkt des Stückes bildet eine Anklage wegen Verbrechens
Das Gewissen tritt ihnen vor der Tat als abschreckendes Gespenst,
## Religionsstörung. Aber der Held, ein Professor der Heil¬
es tritt ihnen nachher als furchtbar rächende Macht entgegen.
kunde, hat keine „Retigionsübung gestört“, sondern höchstens
Im Gegensatz zu diesen Typen stehen die gewissenlosen Ver¬
„einen Religionsdiener bei Ausübung gottesdienstlicher Ver-brecher Edmund, Jago und Cade, die mit Grundsatz die Gebote
richtungen beleidigt“, daher nur ein Vergeben verübt. Doch der Menschheit mit Fußen treten, sich außerhalb der sozialen Welt¬
nehmen wir selbst. an, es liege das Verbrechen der Religions¬
ordnung stellen. In diesen Gestalten Shakespeares erkennt Kohler
störung vor so handelt es sich doch nur um den Regelfall dieses die Verbrecher der Gewissenlosigkeit, die Menschen der morg“
Verbrechens, der mit „Kerker von sechs Monaten bis einem Jahr zulinsanity.
bestrafen ist“. Der Verfasser stellt aber seinen Mann vor die

Geschwornen. Vor die Geschwornea gehören indes Verbrechen
nur dann, wenn auf eine mehe als fünfjährige Kirkerstrafe
zu erkennen ist. Die Geschwornen sprechen den Professor im Sinng
der Anklage schuldig und er wird dennoch nur zu zwei Monaten
Kerker verurteilt. Wieder eine Unmöglichkeit, denn die Strafe,
die nach dem Gesetze zwischen 5 und 10 Jahren beträgt, kann
nach dem außerordentlichen Milderungsrecht nicht unter ein Jahr
herabgesetzt werden. Natärlich kann es einen nicht wundern.
wenn noch eine andere Person des Stückes, ebenfalls ein Arzt,
wegen eines ärztlichen Kunstfehlers, also wieder wegen Vergehens,
gleichfalls vor die Geschwornen kommt. Wie man sieht, eine durch
keine Sachkunde getrübte Vorliebe für die Schwurgerichte. An
den dichterischen Qualitäten der Arbeit wird dadurch freilich
nichts geändert. Es find Wahrheitsfehler, so wie es Schönheits¬
fehler gibt.
Immerhin, Shakespeare war auch darin ein anderer Mann
Man könnte aus seinen Dramen die glaubwürdigsten Zeugnisse
für das Rechtswesen seiner Zeit zusammenstellen. Dieser Dichter
behertschi die juristischen Fachausbrücke und Formen mit voll¬
kommener Sicherheit. Man hat deshalb sogar versucht, ihn selbst
zum Juristen zu stempeln. Wie sich Städte um die Ehre streiten.
Geburtsort eines Unsterblichen zu sein, so ist es begreiflich, daß
auch ein Stand versucht, ihn für sich zu fordern. Dies war
bei Shakespeare der Fall, und dieses Bestreben wurde
durch das bekannte Dunkel, das über seiner Jugend¬
geschichte ruht, begünstigt. Einer der hervorragendsten englischen
Juristen, Lord John Campbell, hat es wahrscheinlich zu machen
gesucht, daß der große Dichter in seiner Jugend nicht Kälber
geschlachtet habe, wie andere behaupten, sondern ein Attorneys
Clerk gewesen sei und in dieser Eigenschaft das englische Rechts¬
leben in allen seinen Wendungen und Windungen kennen gelernt
habe Indes scheint mir wiederum gegen jene Annahme zu
sprechen, daß er im „König Heinrich VI.“ zweiter Teil, Cade
Worte sprechen läßt, wie: „Das erste, was wir tun müssen, ist,
daß wir alle Rechtsgelehrten totschlagen", und Cade begründet
dies in seiner Weise: „Ist es nicht ein erbaimungswürdig Ding,
daß aus der Haut eines unschuldigen Lamms Pergament gemacht
wird? Daß Peraament, wenn es bekritzest ist
einen Menschen