II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 17

box 23/2
W C
24. Das.ite Land

Heft 4
„Wiener Mode“ XXV.

Füßen weggezogen hat. Er scheitert gewissermaßen an den Grenzpfählen, zwang. Kainz hätte zweifellos das Dämonische und das Sich selbst¬
zersetzende des Charakters schärfer und vor allem packender heraus¬
die die Natur dem von ihr arrangierten erotischen Turnier gesteckt
gearbeitet, aber Korff war einheitlicher und wahrscheinlicher. Die
hat. Das heißt an der Tatsache des Kindes. „Die Kinder
Gattin Hofreiters spielte Fräulein Marberg, und ihre passiive Natur
haben uns, aber wir haben sie nicht“ heißt es einmal in diesem
siel mit dieser passiven Rolle zu einer verschwimmenden Einheit zu¬
Stücke. Hat uns einmal das Kind, dann ist jede erotische Freiheits¬
sammen. Da fast das ganze große Burgtheater aufgeboten war, kann
betätigung ein Mißbrauch der Freiheit, die die Natur zu gewähren
man den Künstlern, die sich hier mit Begeisterung und Selbstver¬
scheint, und die Natur rächt ihn durch die Komplikation, die sie
leugnung auch auf den kleinsten Posten gestellt haben, den ihnen
schafft. Darum ist es so wundervoll und ergreifend in diesem Stück,
Schnitzler zuwies, nur in stolzer Vereinigung den Dank ausdrücken.
daß gerade in dem Augenblick, in dem Ehe und Liebschaft über Hof¬
reiter zusammenbrechen, die Kunde kommt, daß eine andere Ehe, die
des Dr. v. Aigner, die vor zwanzig Jahren an der Untreue des
Mannes zugrunde gegangen ist, zu neuem Leben erwacht um des
Sohnes willen, den dieser Hofreiter soeben erschossen hat. So hat
dieses Chaos der Seele vor uns gewütet und alle kunstvollen Gebilde
des Intellekts, des gesunden Menschenverstandes wie der Gesellschafts¬
moral in sich hinab verschlungen. Aber mit einem Schlage, wie durch
ein Zauberwort, wird die wildbewegte See glatt und klar wie ein
stilles Gebirgswasser, in dem man bis auf den Grund sieht. Ueber
alle Verwirrung und Kompliziertheit erhebt sich das eherne Naturgesetz
vom Werden und Vergehen. Die Seele ist ein weites Land, aber
jeder Schritt, den der Mensch abseits von dem schmalen Pfade tut,
den die Natur ihm für ihre Zwecke freigegeben hat, fährt auf ver¬
81
botenes Land mit Fußangeln, Sümpfen und Abgründen. Der Mensch
.Das ist so etwas
ist in Ketten geboren, so frei er sich auch dünkt .
aus der Fülle der Weisheit dieser Tragikomödie. Aber man könnte die
1001 Nacht der Scheherezade erzählen, ehe man alle Deutungen er¬
schöpft, alle Beziehungen bloßgelegt hätte.
Das Burgtheater hat sich an diesem Schnitzler=Abend wieder
gefunden. Unmittelbar nachdem das alte Burgtheater mit Ernst Hart¬
mann begraben worden war, haben wir die Morgenröte eines neuen
gesehen. Baron Berger war diesmal klug genug, sich damit zu be¬
gnügen, daß er Schnitzler dem Hause wieder gebracht hat; er ließ
den Dichter selbst mit Thimig die Inszenierung besorgen. So erhielt
die Dichtung den Ton, den der Tichter an seinem einsamen Schreib¬
tisch gehört hat, und den reichen Rahmen, die liebevolle Ausgestaitung
und den Geschmack des Requisits, die an Thimigs Inszenierungen
immer angenehm auffielen. Den Hofreiter, eine Rolle, die für Kainz
Szenenbild aus „Papa“ von Flers und Caillavet. (Graf von Larzac — Herr Kramer,
geschrieben war, gestaltete Korff zu einer so vollendeten, schau¬
Jean Bernard — Herr Edthofer, Georgine Coursan — Fräulein Reinau.) Photographie
spielerischen Leistung, daß er selbst diejenigen, die einen interessante
von Viktor Angerer. Wien.
Komödianten unter allen Umständen vorziehen, zur Anerkennun
Es war ein Ensemble, das keine deutsche-Bühne aufzubringen verf
#mag, und aus dem Rahmen, den Frau Bleibtreu, Fräulein Hoff
tufel, die Herren Heine, Paulsen und Treßler bildeten;
1
fielen nur drei Personen heraus, Fräulein Wilke, Herr Frank und
Heir Höbling.