II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 54

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24. Das weite-Land



diesem Beweis. Seine Frau, die er jahrelang stört und vernichtet hat. Er denkt nur: ich be= Wenn man aber dieser nabeliegenden Ideen= schaf
halb
vernachlässigt, die jahrelang all seinen Aben=trüge meine Frau, meine Frau betrügt endlich verbindung nachgibt, unwillkürlich, ganz ohne!
Kon
teuern mit offenen Augen zuschaut, die von auch mich. Alles ist in Ordnung. Den anderen Absicht, zu vergleichen, wenn man den Fabrikan¬
Grö
ten Hofreiter auch nur eine Sekunde lang neben
keinem Gebot der Pflicht mehr gefesselt war, Tag aber bricht doch ein Urtrieb aus ihm her¬
Und
den Baumeister Solneß hält, dann wird seine
hat sich dennoch einem jungen, flehenden Men= vor, der ihn zwingt, den Nebenbuhler als
Schl
Gestalt, die erst noch so ragend schien, erheblich
schen verweigert, an dessen Liebe sie nicht Nebenbuhler zu sehen und zu hassen. Er
nich
schmächtiger, wird engbrüstiger, und ihr schmerz¬
zweifeln konnte und dem sie sich selbst geneigt! fordert den Geliebten seiner Frau heraus.
sond
hafter Kampf spielt sich an einer Grenzlinie ab,
fühlte. Trotzdem verweigert? Beinahe ent= Will ihn nicht töten, Gott bewahre, will ihn
Ohn
in der Teilnahme und Lächeln nahe beisammen
nur vor der Pistole haben, und nicht der
rüstet erfährt er's, kann's nicht begreifen, daß
Man
Dumme sein. Wie er ihn aber dann vor der wohnen. Dem Baumeister Solneß ist die Angst
es Menschen gibt, die sich einen Wunsch ver¬
Lebe
um die schwindende Jugend die tiefe
Pistole hat, schießt er ihn nieder. Weil die
sagen, die auf ein Glück, und mag es noch so
fall
Furcht vor dem Stocken der Arbeit,
flüchtig, mag's auch nur eine Freude sein, ver= blanke, frische, blühende Jugend des armen
man
die Bangigkeit, abtreten zu müssen, ehe
Burschen ihn aufreizt, ihn empört, ihn wild
zichten. Ach, er kann vieles nicht begreifen, in
werk
sein Lebenswerk, ehe seine Kunst erfüllt sind bis
diesem verhetzten, verbitterten, von der Angst] macht. Dann aber hat er noch die Kraft, der
diese
zum Höchsten. Und die Frauen sind ihm nur ein
ahnungslosen Mutter, der er eben den einzigen
des Abschiednehmens vergifteten Zustand. Des¬
hier
Symptom, nur ein Mittel, seine Wirkungskraft
Sohn getötet, da er sie zufällig trifft, die
halb versteht er auch nicht, daß seine Frau nur
eher
an ihnen zu erproben. Was sind ihm überhaupt
Hand zu reichen. Dann hat er noch die Kraft,
aus Liebe für ihn die Treue hielt, daß diese
hier
die Frauen? Dem Fabrikanten Hofreiter aber
das Mädchen, das er verführt hat, wegzu¬
Frau jetzt seiner wartet, daß sie jetzt hofft, von
wen
sind sie alles. Er bebt davor, daß es keine neuen
weisen. Hat noch die Kraft, zu sagen: „Nie¬
ihm in ihrem innersten Wesen verstanden und,
Mar
Abenteuer, keine neuen Mädchen, keine neuen
mandem gehöre ich...!“ Da ruft sein eigener
vielleicht, geliebt zu werden. „Du bist mir da¬
Men
Liebesstunden mehr geben wird. Seine Melan¬
Sohn ihn an. Zurückgekehrt, eben angekommen,
durch fremder geworden ...“ sagt er zu ihr.
erns
cholie, sein Schmerz, sein Daseinsgefühl wurzelt
ruft der Kleine vom Garten her: „Vater ...“
Fremder... weil sie sich einem Liebhaber nicht
mit
im Mondainen, sein Verhängnis ist sozusagen
Und nun weiß er, aufstöhnend und davon¬
hingab, und weil dieser andere, der so leicht
gesellschaftlich. Er ist ein Verwandter des edlen
eilend, wem er von nun an gehören wird.
zu beglücken war, hat sterben müssen. Er geht
Herrn von Sala, den Schnitzler im „Einsamen
gela
Jawohl, eine prachtvolle, dichterisch geschaute,
fort. Plötzlich und in der Plötzlichkeit seines
Weg“ geschaffen hat. Allein er steht im mensch¬
zielb
dichterisch geformte Gestalt. So straff ange¬
Entschlusses verletzend, entfernt er sich von
lichen Rang tiefer. Und er verkehrt auch nicht in
stisch
spannt in allen ihren Linien, so erfüllt von
seiner Frau. Flieht in die Berge. Dort er¬
solch guter Gesellschaft.
sorg
einer echten Intensität, daß sie mit jedem
steigt er noch einmal einen gefährlichen Gipfel,
Dan
Diese Gesellschaft... Es ist meisterhaft, wie
Wort und mit jeder Gebärde bedeutsam und
steht noch einmal, ein Solneß der Liebe,
Schnitzler diese Gesellschaft menschlich auf¬
straf
lebendig aufleuchtet. Ein menschliches, ein all¬
auf schwindelnder Höhe, verführt und be¬
misch
zuheben vermag, wie er ihren geringen Inhalt
gemein menschliches Erleben, das man primi¬
zaubert noch einmal ein junges Mädchen.
dem
vergeistigt, ihre trübe Atmosphäre durchsichtig
tiv und banal fassen könnte; dies Vergehen
Heimgekehrt aber, ertappt er in stiller Nacht
Lini
macht. Allein diese Menschen bleiben sämtlich
der Jugend, dies schmerzlich unabwendbare:
einen jungen Mann, der aus dem Fenster
im Lustspielhaften stecken, sie sind mit allen
Fall
„Brüderlein fein . ..“ ist hier aus dem Allge¬
seiner Villa steigt, aus dem Schlafzimmer
ihren Organen, mit ihren Seelen, Nerven, Kon¬
imn
meinen ins Besondere, vom Typischen zum
seiner Frau. Er ist nicht böse, er ist nicht ge¬
Akt
flikten und Problemen auf dem Boden der
Individuellen geführt. Ein Konflikt, dessen
kränkt. Er läßt den Beglückten ruhig seines
M
humorigen Komödie verklammert, sind mit
Weges gehen. Er begreift auch jetzt nicht, daß Umrisse sich grob zeichnen ließen, ist da bis in
ihrem ganzen Format und mit ihrer ein= stellt
er selbst es gewesen, der seine Frau dazu ge- seine letzten Nachdenklichkeiten aufgespürt.
trieben, der sie in der Tiefe ibres Gemüts zer- Friedrich Hofreiter stebt im Solneß=Schicksal. gebornen Gewichtlosiakeit nicht zur Tragik ge¬reit¬