II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 57

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Wenn es wenigstens wahr wäre, daß sein Freund, ein
Wer vermag die Tiefen der Menschenseele zu er¬
russischer Klaviervirtnose, ihn mit Genia betrogen habe. Doch
messen und im forteilenden Gedanken hinabtauchen bis
der plötzliche Tod des Russen steht mit der Persönlichkeit
auf ihren Grund? All das Wunderland unseres
Frau Genia Hofreiters in ganz anderem Zusammen¬
Wünschens, Hoffens. Sehnens. Begehrens, die tausend
hange. Der junge Künstler tötete sich, da ihn das an¬
Leidenschaften, die unser Innerstes ersüllen, zu verstehen
und beim Namen zu nennen? Gut und Böse — eine gebetete Weib nicht erhören wollte. Ein Brief, den
schier unüberwindliche Kluft liegt zwischen diesen entgegen= Genia ihrem Gatten zeigt, spricht völlig für ihre Un¬
schuld. Also Genias Tugend war schuld an des Virtnosen
gesetzten ethischen Begrissen. Doch beide wohnen zusammen
Tod! Hofreiter, der mit dem Gedanken an Genias
in unserer Brust und mit ihnen die ungekannten, un¬
Untreue spielte, erschandert vor ihrer todbringenden
gezählten Regungen unseres Gefühles, die wir oft selbst
Tugend. Er sagt ihr das auch offen ins Gesicht und
nicht zu erklären vermögen, ja vor denen uns nicht
entflieht auf einige Wochen ins Gebirge. Frau Genia
selten geheimes Grauen erfaßt.
bleibt mit ihren Freunden in ihrer Badner Villa zurück.
Des Menschen Seele ist ein weites Land und nur
Der zweite Akt zeigt uns die Halle eines vornehmen
der Dichter mag es, ohne sich zu verirren, durchwandern.
Dolomitenhotels. Unter den zahlreichen Fremden, denen
Unter den Psychologen der Moderne, die darin Meister
der Direktor des Hotels, Dr. v. Aigner, die
sind, stehen die russischen Dichter an erster Stelle. Mit
Honneurs macht, befinden sich auch Hofreiter und dessen
unbarmherziger Kunstfertigkeit zerfasern sie jegliches Ge¬
Freund Dr. Franz Mauer. Die beiden Herren treffen
fühlsleben, nichts Menschliches bleibt ihren scharf¬
im Hotel mehrere Bekannte: außer Dr. Aigner, der
blickenden Augen verborgen. Diese gründliche, fast wissen¬
ihnen indirekt durch seine geschiedene Frau und seinen
schaftliche Methode läßt sie im Epischen den Höhepunkt
Sohn, den Marinefähnrich Otto v. Aigner, bekannt ist,
ihrer Darstellung erreichen; auf dem Gebiete des Dramas,
auch noch ihren Badner Tennispartner, den jungen Paul
das stetes Leben und Fortschreiten der Handlung er¬
Kreindl sowie Frau Wahl mit ihren Kindern Gustav
heischt, versagt ihre ernste Kunst. Wir haben dieses Bei¬
spiel gewählt, um auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, und Erna.
Diese Erna Wahl, das ist ein echtes Sport= und
die sich dem Tramatiker, der diese Pfade wandelt, in
Rassemädl. Etwas Nordisches steckt in ihr. Käme sie nicht
den Weg stellen. Auch Artur Schnitzler mochte ihnen, da
geradewegs aus Baden, man könnte sie ihrem Naturell
er ins „weite Land“ zog. begegnet sein. Aber er müßte
nach für eine Wickingerin halten. Jedenfalls scheint sie
nichts von seiner graziösen Leichtigkeit, nichts von seiner,
Ibien gelesen zu haben, da sie nach dem Beispiele Maja
bei aller Nachdenklichkeit doch so liebenswürdigen Art an
Rubeks mit dem Manne ihrer Liebe ins Hochgebirge
sich gehäbt haben, hätte er nicht alle Fährnisse glücklich
kletiert. Mit Erna und Hofreiter, denn diesen hat sie ins
überwunden.
Herz geschlossen, unternimmt noch als Dritter im Bunde
Schnitzler ist in seiner Tragikomödie Philosoph und
Doktor Franz Mauer die gefährliche Partie zum Aigner¬
Wiener zugleich, alle tragischen Bitternisse sind vom
Lichte einer sonnenhellen Landschaft übergoldet und turm. Er wird hiebei Zeuge, wie Hofreiter und Erna.
von ihrer Liebe überwältigt, sich küssen. Da Doktor
durch allen Pessimismus ringt sich am Schluß eine
hoffnungsfrohe Lebensbejahung. Diesen Typus zeigt auch Mauer selbst in Erna verliebt ist, erleidet er alle Qualen
der Eifersucht. Im Hotel angelangt, reist er unter einem
der Held des Stückes, der Fabrikant Friedrich Hofreiter. Wir
nichtigen Vorwande ab und überläßt Hofreiter und
sehen in ihm einen Mann in den sogenannten besten
Jahren, die etwa als Vendant zu dem gefährlichen Erna dem Schicksale ihrer Liebe. Dieses erfüllt sch mit
S
Alter der Frau in Betrackt kommen können. Ueberdiesl notwendiger Konsequenz. Der „Höhenrausch“ umfängt die
beiden im Taumel wilder Leidenschaft. Aber endlich Lande? Der Mann wendet sich von der Geliebten ab!
und eilt dem Sohn entgegen.
—ührt der Weg doch zu Fal. Hofreiter und seine Freunde
Eine Tragödie der Leidenschaften und eine Komödie
kehren nach Baden zurück, wo sich indessen manches ver¬
des modernen Menschen ist Artur Schnitzlers „Das
ändert hat.
weite Land“. Vom Ballast der herkömmlichen Moral¬
Auf Frau Genia scheint das Beispiel ihres Gatten
begriffe befreit, unfähig, sich mit dem Gewichte einer
telepathisch gewirkt zu haben, denn sie hat Gleiches
neuen Ethik zu beschweren, fliegen die himmelstürmenden
mit Gleichem vergolten. Ihr Liebster, ein gar
Leidenschaften in den blauen Aether hinein. Kindern
junges Blut, ist der Marinefähnrich Otto v. Aigner.
gleichen diese Menschen in ihrer Erdenferne. — Des
Mehr Spielzeug als Liebhaber, doch gut genug, die Un¬
Dichters Kunst weiß aus dem Labyrinth den rechten
treue des Gatten zu rächen und ihn ein wenig zu ver¬
Weg zu finden und in dem scheinbar Unfaßlichen
gessen. Hofreiter erfährt durch Zufall, wie es um seine
das Ewig=Menschliche zu offenbaren.
Frau steht und nimmt das Spiel bitter ernst. Ein unbe¬
greiflicher Haß quillt ihm, dem Zyniker, aus seinem tiefen
Die Rolle Hofreiters spielte Herr Korff mit einer
Innern empor. Eine öffentliche Beleidigung des Fähn¬
famosen Verbindung von Liebenswürdigkeit, Tempera¬
richs und die Voraussetzung eines Zweikampfes ist
ment und Zynismus. Sein ganzes Wesen atmete den
gegeben.
Hauch frisch zugreifender Lebensfreudigkeit, die er im
Frau Genia versteht die Welt nicht mehr. Ihr war
gegebenen Augenblicke ohne große Geste ins Gegenteil
einst die Liebe etwas Heiliges. Nun scheint sie zur
zu verkehren wußte. Fräulein Marberg glich als
lächerlichsten Komödie herabgesunken. Die beiden werden
Genia einem schönen Bilde, das mehr in der Dar¬
sich ja wohl nur zum Scheine duellieren! In zitternder
stellung hoheitsvoller Ruhe als in der trauernden Miener
Erregung harrt dagegen Erna des Ausganges des
den feelischen Schmerz zum Ausdrucke brachte. Nur in
Zweikampfes. Ihr bangt um den Geliebten. Diese mit
der Szene mit Frau v. Aigner — da sich das Leid in
großer Feinheit geführte Szene gibt einen sehr wirkungs¬
Tränen auflöst — schien die Starrheit zum Leben zu
vollen Kontrast. Die Spannung wird durch die darauf¬
erwachen. Prächtig war Fräulein Hofteufel als
folgende Unterredung Frau Genias mit Ottos Mutter Erna. Willensstarke und absolute Hingebung vereinte ihr
die von dem Zweikampf keine Ahnung hat — in
Spiel zu seltener Harmonie. Den Hoteldirektor gab Herr
geschickter Weise verlängert. Nun erscheint Hofreiter mit
Devrient mit sicherer Ueberlegenheit. Die Ent¬
heiter lächelnder Miene. Er begrüßt Frau v. Aigner,
täuschung der geschiedenen Frau wußte Frau Bleibtreu
wechselt mit ihr ein paar gleichgültige Worte und verrät
mit Würde zu tragen. Sehr gut war Herr Gerasch in
keine Spur von Erregung. Als Ottos Mutter das Haus
der Rolle des Fühnrichs. Als Dr. Mauer war Herr
verlassen, erklärt er feiner Frau, daß er den Fähnrich
Paulsen von schlichter Innigkeit. Ein wahres
erschossen habe. Sie will das Furchtbare nicht glauben.
Musterexemplar eines Hotelportiers lieferte Herr
„Du hast doch seiner Mutter die Hand gedrückt?“
[Thimig, dessen sichere Regieführung gleichfalls warme
* Was blieb ihm anderes zu tun übrig? Und er
Anerkennung verdient. Als charakteristische Gesellschafts¬
erzählt ihr, wie es kam. Als er den frechen Uebermut
typen boten die Damen Devrient=Reinhold
der Jugend in den Augen seines Gegners sah, da konnte
und Wilke, sowie die Herren Heine, Treßler,
es nicht anders, da mußte es eben so geschehen. Frau
[Frank und Höbling hübsche Leistungen.
Genia wankt hinaus — die Mutter des Toten zu trösten.
Das Stück fand eine überaus günstige Aufnahme und
Aber Erna kommt zurück, sie will bei Hofreiter bleiben
das Publikum folgte dem Dichter mit großem Interesse
für immer und ewig. Dieser lehnt ihr Auerbieten ab.
durch das weite Land. Der Beifall nahm von Akt zu
Es war Täuschung, sie passen ja doch nicht zusammen.
Akt an Intensität zu. Erst erschien Herr Reimers, um im
Papa! Mama! — eine jugendfrische Stimme tönt
Namen Artur Schnitzlers für den Beifall zu danken,
vom Garten her. Es ist Percy, Hofreiters Sohn, der von
dann mußte der Dichter persönlich den zahlreichen
London zum Besuche seiner Eltern gekommen. Ein Strahl
Hervorrufen Folge leisten.
reiner Freude leuchtet über Hofreiters Antlitz. Er¬
Lothar Ring,
weckte dieser Ruf nicht ein jubelndes Echo im weiten!
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