II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 84

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24. Das Weite
Vossische Zeitung, Berlin
1710 1911
„Das weite Land“; im Burgtheater. Wien, 15. Bider.
*(Eigene Mitteilung unseres Korrespondenten.) Im
vorigen Spieljahr beherrschte „Der junge Medardus“ die Wiener
Hofbühne. Heuer wird Scitzlers=ragitomodie „Das weite Land“
kaum geringeres Glück beschieden sein. Beide Male können die
Wiener den Ur=Motiven Schnitzlers in der städtischen Geschichte
nachgehen, wie die Berliner den Ur=Bildern in Fontanes Novellen
und Romauen. „Der junge Medardus“ glich ein bißchen dem
Stags, der 1809 Napoleon in Schönbrunn umbringen wollte. Und
der Marine=Fähnrich im „Weiten Land“ erinnert (vielleicht unwill¬
kürlich) an den blutjungen Leutnant, den ein beleidigter Gatte, seines
Zeichens Kaufherr, vor länger als einem Jahrzehnt im Zweikampf
tötete. Beide Male hat unser Dramatiter die Begebenheiten in
das echt Schnitzlerische übersetzt: die Lebens= Liebes= und Sterbens¬
Zitate sind weit mehr aus der Gedanken= und Gestaltenwelt früherer
Werke des Dichters (von der „Liebelei“ bis zum „Zwischenspiel“)
als aus den Ur=Bildern seines Wiener Beichtspiegels geholt. Nur
die Grundweisen klingen heimatlich: die Abwandlungen Schnitzlers
sind geistreich und spitzfindig ausphantasiert. Wie welt seine Frei¬
geisterei der Leidenschaft, die seltsame Mischung des Naturrechtes in
der Stimme des Blutes mit dem pedantischen Ehren=Komment der
Duellregeln auf die Dauer überzeugen kann, wird die Folge lehren:
Die Spannung eines Theaterabends und mehr als das, die Achtung
vor seiner persönlichen Ehrlichkeit als Künstler und selbständiger
Moralist erzwingt er auch von unbefangenen Gegnern seiner Denk=Art.
Und die Sauberkeit der Nebenhandlungen, die Lannen und der Tiefsinn,
der aus seinen Volks= und Gesellschafts=Typen spricht; die An¬
regungen eines überlegenen Geistes versöhnen und trösten selbst
heikle Hörer, die in der Hauptsache sich nicht gefangen geben, Das
Burgtheater brachte Schnitzlers jüngstemsWerk allen gebührenden
Eifer entgegen. Die Genia des Frl. Marberg war eine bedeutende
Leistung. Der Fabrikant Korffs, in Einzelbeiten fahrig, blieb als
Ganzes sehr achtbar. Devrient als Hoteldirektor, Gerasch als
Fähnrich, Frau Bleibtren als dessen Mutter und die meisten andern
verdienen Dank. Das beste leistete aber das Publikum, das
Schnitzler als alten Liebling willig entgegenkam und auf seine
Lsubtilsten Andeutungen in Scherz und Ernst mit sicherem Verständnis?
einging. —m.
Ausschnitt aus:
1 N. 11.
Vnssisuier -oshugg.

S
„Das weite Land“ im Burgtheater. Wien, 15. Oktober.
(Eigene Mitteilung unseres Korrespondenten.) Im
vorigen Spieljahr beherrschte „Der junge Medardus“ die Wiener
Hofbühne. Heuer wird Schnitzlers Tragikomödie „Das weile Land“.
kaum geringeres Glück r sein. Beide Male können die
Wiener den Ur=Motiven Schnitzlers in der städtischen Geschichte
nachgehen, wie die Berliner den Ur=Bildern in Fontanes Novellen
und Romanen. „Der junge Medardus“ glich ein bißchen dem
Stags, der 1809 Napoleon in Schönbrunn umbringen wollte. Und
der Marine=Fähnrich im „Weiten Land“ erinnert (vielleicht unwill¬
kürlich) an den blutjungen Leutnant, den ein beleidigter Gatte, seines
Zeichens Kaufherr, vor länger als einem Jahrzehnt im Zweikampf
tötete. Beide Male hat unser Dramatiker die Begebenheiten in
das echt Schnitzlerische übersetzt: die Lebens=, Liebes= und Sterbens¬
Zitate sind weit mehr aus der Gedanken= und Gestaltenwelt früherer
Werke des Dichters (von der „Liebelei“ bis zum „Zwischenspiel“)"
als aus den Ur=Bildern seines Wiener Beichtspiegels geholt. Nur.
die Grundweisen klingen heimatlich: die Abwandlungen Schnitzlerss
sind geistreich und spitzfindig ansphantasiert. Wie welt seine Frei¬
geisterei der Leidenschaft, die seltsame Mischung des Naturrechtes in
der Stimme des Blutes mit dem pedantischen Ehren=Komment der¬
Duellregeln auf die Dauer überzeugen kann, wird die Folge lehrents
Die Spannung eines Theaterabends und mehr als das, die Achtung
vor seiner persönlichen Ehrlichkeit als Künstler und selbständiger
Moralist erzwingt er auch von unbefangenen Gegnern seiner Denk=Art.
Und die Sauberkeit der Nebenhandlungen, die Lannen und der Tiefstung
der aus seinen Volks= und Gesellschafts=Typen spricht; die An¬
regungen eines überlegenen Geistes versöhnen und trösten selbst
heikle Hörer, die in der Hauptsache sich nicht gefangen geben, Das¬
Burgtheater brachte Schnitzlers jüngstem Werk allen gebührenden
Eifer entgegen. Die Genia des Frl. Marberg war eine bedeutendes
Leistung. Der Fabrikant Korffs, in Einzelheiten fahrig, blieb als
Ganzes sehr achtbar. Devrient als Hoteldirektor, Gerasch als
Fähnrich, Frau Bleibtreu als dessen Mutter und die meisten andern¬
verdienen Dank. Das beste leistete aber das Publikum, das
Schnitzter als alten Liebling willig entgegenkam und auf seine
subtilsten Andeutungen in Scherz und Ernst mit sicherem Verständuis
einging. —m.
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