W
24. Das Land
box 28/2
Reichspost, Wien.
117 10. 1911
Hofburgtheater.
Artur Schnitzlers„Das weite Land“.
Zur Erstaufführung am 14. Oktober 1911.
Wer an diesem Stücke alles andere echt und lebenswahr
finden sollte, eines wird auch er als Fälschung erkennen
müssen: die Namen der handelnden Personen. Warum
heißen die Leute Hofreiter und Aigner, Wahl und Natter,
statt Goldberg und Kohn, Feiglstock und Löwi? Es ist
weder nobel noch klug, seine Herkunft zu verleugnen, wenn
sie einem förmlich an die Stirne geschrieben ist. Denn, um
es nur offen zu sagen, „Das weite Land“ ist durchaus mit
Juden bevölkert. Mit Wiener Bankjuden, die in der Stadt
eine Fabrik haben und in Baden eine Villa und im Auto¬
mobil hinaus= und hereinfahren, in schlohweißen Tennis¬
anzügen umherhüpfen und viel von Sport schwatzen, dann
wieder eine kleine Spritztour in die Dolomiten machen,
um sich dort in vornehmen Hotels einzunisten und über¬
allhin ihre unsauberen Klatschgeschichten mitschleppen,
überall Eroberungen machen wollen, und auf Schritt und
Tritt mehr naseweise als geistreiche Klugheiten absondern.
Die Linien des Konterfeis sind gerade klar und prägnant
genug gezogen. Die Premiere eines Schnitzlerstückes ist
stets ein Signal für Stammesgenossen, das seine Wirkung
regelmäßig tut. Der Anblick des Parketts und der Logen
läßt das Herz jedes Zionisten höher schlagen. Und die
Herrschaften sind selten so sehr auf ihre Rechnung ge¬
kommen, wie am letzten Samstag. Man war ganz unter
sich. Man hat in jreudiger Erregung verkünden gehört.
wie klug und geistreich, wie verführerisch und tapfer
„unsere Leut'“ sein können.
Ist dieser Herr Hofreiter, von Beruf Fabrikant von
Beleuchtungskörpern, nicht ein wahrer Prachtkerl? Hat
daheim eine bildschöne Frau, die ihm so treu ist, daß sich
wegen ihrer großen Treue ein unglücklicher Liebhaber
erschießt. Der Herr Gemahl ist ihr dafür wenig dankbar.
Im Gegenteil, er nimmt es ihr übel, daß sie den anderen
in den Tod gehetzt hat. Wie kann man nur!? Er selbst
will von Treue nichts wissen, obwohl er schon einen vier¬
zehnjährigen Buben hat. Eben hat er ein Verhältnis mit
der Frau eines Bekannten beendigt. Da läuft ihm ein
junges Mädel in den Weg, um dessen Gunst sich ehrsam
sein bester Freund bewirbt. Er schnappt sie ihm weg, nur
so zum Zeitvertreib, nur für eine Nacht, in einer Schutz¬
hütte in den Dolomiten, 3000 Meter Höhe, in einer Art
„Höhenrausch“ wie er sait. Seine Gattin hat indessen
die Treue gleichfalls als eine überflüssige und unrentable
Tugend erkannt, und sich mit einem Marinefähnrich ein¬
gelassen. Dieser junge Mann ist der einzige Sohn einer
feinen Dame, mit der Frau Hofreiter gute Freundschaft
hält. Der Vater mit dem wieder Herr Hofreiter be¬
freundet ist, ist Besitzer eines Dolomitenhotels, lebt von
seiner Frau geschieden, hat täglich ein neues Verhältnis
und bevölkert sein Hotel mit den Folgen seiner Lieb¬
schaften. Hat Schnitzier mit dieser Figur tatsächlich, wie es
heißt, den kürzlich verstorbenen Dr. Christomanos zeichnen
wollen, so hat er seinem Andenken kein eben ehrendes
Denkmal gesetzt, vielmehr sein Grab beschmutzt. Besagter
Marinefähnrich also wird von Herrn Hofreiter gesehen,
als er nachts aus dem Schlafzimmer seiner Frau schleicht.
Der edle Gatie ist keineswegs entrüstet. Warum auch?
Wäre er nicht gerade darüber geärgert, daß man über ihn
einen lästigen Klatsch in Umlauf gesetzt hat, ohne daß
er dem Verleumder beikommen kann — er würde die Sache
seelenruhig hinnehmen. In seiner üblen Lanne aber
schleudert er dem Fähnrich ein Schimpfwort ins Gesicht,
und zwingt ihn so vor die Pistole. Er will den Jüngling
nicht erschießen, keineswegs! Aber da sie sich gegenüber¬
stehen, reizt ihn der freche, kalte Blick des Burschen und
er knallt ihn nieder. Nun kommt doch so etwas wie ein
stelischer Katzenjammer über den Zyniker. Doch der sal¬
lende Vorhang beendet hier rasch das Stück.
Warum diese fade, widerwärtige Klatsch= und Skan¬
dalgeschichte „Das weite Land“ heißt? Wie kann man den
„feinen Duft“ dieser Dichtung mit einer so rohen Frage
zerstören? Unsere Seele ist ein weites L
—
24. Das Land
box 28/2
Reichspost, Wien.
117 10. 1911
Hofburgtheater.
Artur Schnitzlers„Das weite Land“.
Zur Erstaufführung am 14. Oktober 1911.
Wer an diesem Stücke alles andere echt und lebenswahr
finden sollte, eines wird auch er als Fälschung erkennen
müssen: die Namen der handelnden Personen. Warum
heißen die Leute Hofreiter und Aigner, Wahl und Natter,
statt Goldberg und Kohn, Feiglstock und Löwi? Es ist
weder nobel noch klug, seine Herkunft zu verleugnen, wenn
sie einem förmlich an die Stirne geschrieben ist. Denn, um
es nur offen zu sagen, „Das weite Land“ ist durchaus mit
Juden bevölkert. Mit Wiener Bankjuden, die in der Stadt
eine Fabrik haben und in Baden eine Villa und im Auto¬
mobil hinaus= und hereinfahren, in schlohweißen Tennis¬
anzügen umherhüpfen und viel von Sport schwatzen, dann
wieder eine kleine Spritztour in die Dolomiten machen,
um sich dort in vornehmen Hotels einzunisten und über¬
allhin ihre unsauberen Klatschgeschichten mitschleppen,
überall Eroberungen machen wollen, und auf Schritt und
Tritt mehr naseweise als geistreiche Klugheiten absondern.
Die Linien des Konterfeis sind gerade klar und prägnant
genug gezogen. Die Premiere eines Schnitzlerstückes ist
stets ein Signal für Stammesgenossen, das seine Wirkung
regelmäßig tut. Der Anblick des Parketts und der Logen
läßt das Herz jedes Zionisten höher schlagen. Und die
Herrschaften sind selten so sehr auf ihre Rechnung ge¬
kommen, wie am letzten Samstag. Man war ganz unter
sich. Man hat in jreudiger Erregung verkünden gehört.
wie klug und geistreich, wie verführerisch und tapfer
„unsere Leut'“ sein können.
Ist dieser Herr Hofreiter, von Beruf Fabrikant von
Beleuchtungskörpern, nicht ein wahrer Prachtkerl? Hat
daheim eine bildschöne Frau, die ihm so treu ist, daß sich
wegen ihrer großen Treue ein unglücklicher Liebhaber
erschießt. Der Herr Gemahl ist ihr dafür wenig dankbar.
Im Gegenteil, er nimmt es ihr übel, daß sie den anderen
in den Tod gehetzt hat. Wie kann man nur!? Er selbst
will von Treue nichts wissen, obwohl er schon einen vier¬
zehnjährigen Buben hat. Eben hat er ein Verhältnis mit
der Frau eines Bekannten beendigt. Da läuft ihm ein
junges Mädel in den Weg, um dessen Gunst sich ehrsam
sein bester Freund bewirbt. Er schnappt sie ihm weg, nur
so zum Zeitvertreib, nur für eine Nacht, in einer Schutz¬
hütte in den Dolomiten, 3000 Meter Höhe, in einer Art
„Höhenrausch“ wie er sait. Seine Gattin hat indessen
die Treue gleichfalls als eine überflüssige und unrentable
Tugend erkannt, und sich mit einem Marinefähnrich ein¬
gelassen. Dieser junge Mann ist der einzige Sohn einer
feinen Dame, mit der Frau Hofreiter gute Freundschaft
hält. Der Vater mit dem wieder Herr Hofreiter be¬
freundet ist, ist Besitzer eines Dolomitenhotels, lebt von
seiner Frau geschieden, hat täglich ein neues Verhältnis
und bevölkert sein Hotel mit den Folgen seiner Lieb¬
schaften. Hat Schnitzier mit dieser Figur tatsächlich, wie es
heißt, den kürzlich verstorbenen Dr. Christomanos zeichnen
wollen, so hat er seinem Andenken kein eben ehrendes
Denkmal gesetzt, vielmehr sein Grab beschmutzt. Besagter
Marinefähnrich also wird von Herrn Hofreiter gesehen,
als er nachts aus dem Schlafzimmer seiner Frau schleicht.
Der edle Gatie ist keineswegs entrüstet. Warum auch?
Wäre er nicht gerade darüber geärgert, daß man über ihn
einen lästigen Klatsch in Umlauf gesetzt hat, ohne daß
er dem Verleumder beikommen kann — er würde die Sache
seelenruhig hinnehmen. In seiner üblen Lanne aber
schleudert er dem Fähnrich ein Schimpfwort ins Gesicht,
und zwingt ihn so vor die Pistole. Er will den Jüngling
nicht erschießen, keineswegs! Aber da sie sich gegenüber¬
stehen, reizt ihn der freche, kalte Blick des Burschen und
er knallt ihn nieder. Nun kommt doch so etwas wie ein
stelischer Katzenjammer über den Zyniker. Doch der sal¬
lende Vorhang beendet hier rasch das Stück.
Warum diese fade, widerwärtige Klatsch= und Skan¬
dalgeschichte „Das weite Land“ heißt? Wie kann man den
„feinen Duft“ dieser Dichtung mit einer so rohen Frage
zerstören? Unsere Seele ist ein weites L
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