Der edle Gatte ist keineswegs entruftet. Wali
Wäre er nicht gerade darüber geärgert, daß man über ihn
einen lästigen Klatsch in Umlauf gesetzt hat, ohne daß
er dem Verleumder beikommen kann — er würde die Sache
seelenruhig hinnehmen. In seiner üblen Laune aber
schleudert er dem Fähnrich ein Schimpfwort ins Gesicht,
und zwingt ihn so vor die Pistole. Er will den Jüngling
nicht erschießen, keineswegs! Aber da sie sich gegenüber¬
stehen, reizt ihn der freche, kalte Blick des Burschen und
er knallt ihn nieder. Nun kommt doch so etwas wie ein
scelischer Katzenjammer über den Zyniker. Doch der fal¬
lende Vorhang beendet hier rasch das Stück.
Warum diese fade, widerwärtige Klatsch= und Skan¬
dalgeschichte „Das weite Land“ heißt? Wie kann man den
„feinen Duft“ dieser Dichtung mit einer so rohen Frage
zerstören? Unsere Seele ist ein weites Land und unser
Herrgott hat einen großen Tiergarten. Schnitzler liebt
seit je symbolische Titel. Wenn schon nichts anderes, so
regen wenigstens sie zum Nachdenken an, meint er.
Ueber das „Weite Land“ nachzudenken, hob man sich für
den Sonntag auf und gewann nach der Vorstellung
schleunigst den „Weg ins Freie“
Schnitzlers Leute können wienerisch reden, so sehr sie
wollen. Wie wenig sie berufen sind, Träger wahren Wiener¬
tumes zu sein, wird jeder Wiener, dem arisches Blut in
den Adern fließt, empfinden. Schnitzler kann seinen
Anatol jahraus jahrein in Wien spazieren gehen und ihn
alle möglichen wienerischen Abenteuer erleben lassen,
einen Wiener macht er doch aus ihm nicht. Im „Jungen
Medardus“ hat Schnitzler die Wiener des beginnenden
vorigen Jahrhunderts als eine feige, wankelmütige, treu¬
lose Bande gezeichnet. Im „Weiten Land“ dichtet er den
Wienern von heute völligen Mangel des geringsten sitt¬
lichen Empfindens an. Die Zeichnung ist hier und dort
falsch. Die Fälschung wird hier bei uns unschwer erkannt.
Draußen aber, in all den Städten, in denen „Das
weite Land“ gespielt wird, werden die paar, einer ge¬
wissen, scharf umrissenen Gesellschaftsschichte angehörigen
Typen dort nicht kurzerhand verallgemeinert werden?
Werden sie dort nicht die Formel ergeben, nach der man
sich das moderne Wien vorzustellen hat? Aus München
kommt die Meldung, das Publikum habe sich bei der dor¬
tigen Erstaufführung seltsam reserviert verhalten. Leicht
erklärlich. Die arischen Bayern, uns verwandt nach
Stamm und Art, glauben dem Dichter seine Wiener ein¬
fach nicht. Ihr richtiges Empfinden erkennt die Fälschung.
Die Wiener, die ihnen hier vorgeführt werden, sind
ihnen — glückliches München! — fremd. Ohne Zweifel
hat Schnitzler Wienertum in sich. Allein es wurzelt nicht zu
tiefst in seinem Empfinden, es ist kunstfertig assimiliert.
Er sei gewissermaßen einer, der schon lange bei uns wohnt,
uns also gut kennt, aber doch nicht immer hier gewesen
ist. Sein jüdisches Blut mahnt ihn laut genug an seine
Stammfremdheit: es bringt ihm genug Unrast, es erfüllt
ihn mit Unstetheit, es treibt ihn aus Zweifeln in neue
Zweifel, es verweigert ihm alle Lebensbejahungen und
zwingt ihn, jede schön beginnende Stunde grüblerisch in
häßliche Sekunden zu zerpflücken.
Im „Weiten Lande“ erscheint er in seinem beliebtesten
Fahrwasser: er verhöhnt alles gesunde Bestehen, er er¬
öffnet einen wahren Feldzug gegen die echten, guten Ge¬
fühle aller seiner Menschen, er führt in eine Leere von
erschreckender Nüchternheit, er reißt alle Blumen aus dem
weiten Lande unseres Seelenlebens.
Die ersten drei Akte des Stückes hören sich an wie
eine Novelle. Sie sind weitschweifig, sie langweilen, sie
sind voll kluger, witziger und ganz selten auch hübscher Ge¬
spräche. Die Handlung fließt träge dahin. Ein trüber
Bach rinnt durch ein weites, sumpfiges Land. Erst die
beiden letzten Akte bringen Spannungen.
Der trostlose Weg der Haupthandlung ist freilich mit
ein paar lebhafteren Episoden aufgeputzt. Ein witziger
Hotelportier muß herhalten, von Tiroler Bergen ist viel
die Rede und der Semmering kann uns nicht erspart
bleiben. Alle Orte, an denen „sie“ sich wohl fühlen, kommen
an die Reihe.
Die Darsteller haben sich in Ehren aus der Affäre
gezogen. Mehr von ihnen zu fordern wäre unbillig: Herr
Korff, dem nach langer Zeit wieder einmal eine größere
Rolle anvertraut war, fand für Hofreiter einen angemessen
blasierten Ton und hütete sich klug vor Vertiefung. Fräu¬
lein Marberg blieb als Frau Hofreiter weniger an der
Oberfläche und bezahlte dies mit geringerer Anschaulich¬
keit. Herr Devrient und Herr Gerasch brachten
gute Figuren und Herrn Paulsen merkte man das
Vergnügen an, die einzige schöne Gestalt dieses Stückes
(Dr. Maurer) spielen zu dürfen. Fräulein Hofteufel
hätte gut getan, um ein paar Nüancen herzlicher zu sein.
Das Burgtheater hat wieder einmal seine guten
Kräfte an eine unwürdige Aufgabe verschwendet. Herr
Wäre er nicht gerade darüber geärgert, daß man über ihn
einen lästigen Klatsch in Umlauf gesetzt hat, ohne daß
er dem Verleumder beikommen kann — er würde die Sache
seelenruhig hinnehmen. In seiner üblen Laune aber
schleudert er dem Fähnrich ein Schimpfwort ins Gesicht,
und zwingt ihn so vor die Pistole. Er will den Jüngling
nicht erschießen, keineswegs! Aber da sie sich gegenüber¬
stehen, reizt ihn der freche, kalte Blick des Burschen und
er knallt ihn nieder. Nun kommt doch so etwas wie ein
scelischer Katzenjammer über den Zyniker. Doch der fal¬
lende Vorhang beendet hier rasch das Stück.
Warum diese fade, widerwärtige Klatsch= und Skan¬
dalgeschichte „Das weite Land“ heißt? Wie kann man den
„feinen Duft“ dieser Dichtung mit einer so rohen Frage
zerstören? Unsere Seele ist ein weites Land und unser
Herrgott hat einen großen Tiergarten. Schnitzler liebt
seit je symbolische Titel. Wenn schon nichts anderes, so
regen wenigstens sie zum Nachdenken an, meint er.
Ueber das „Weite Land“ nachzudenken, hob man sich für
den Sonntag auf und gewann nach der Vorstellung
schleunigst den „Weg ins Freie“
Schnitzlers Leute können wienerisch reden, so sehr sie
wollen. Wie wenig sie berufen sind, Träger wahren Wiener¬
tumes zu sein, wird jeder Wiener, dem arisches Blut in
den Adern fließt, empfinden. Schnitzler kann seinen
Anatol jahraus jahrein in Wien spazieren gehen und ihn
alle möglichen wienerischen Abenteuer erleben lassen,
einen Wiener macht er doch aus ihm nicht. Im „Jungen
Medardus“ hat Schnitzler die Wiener des beginnenden
vorigen Jahrhunderts als eine feige, wankelmütige, treu¬
lose Bande gezeichnet. Im „Weiten Land“ dichtet er den
Wienern von heute völligen Mangel des geringsten sitt¬
lichen Empfindens an. Die Zeichnung ist hier und dort
falsch. Die Fälschung wird hier bei uns unschwer erkannt.
Draußen aber, in all den Städten, in denen „Das
weite Land“ gespielt wird, werden die paar, einer ge¬
wissen, scharf umrissenen Gesellschaftsschichte angehörigen
Typen dort nicht kurzerhand verallgemeinert werden?
Werden sie dort nicht die Formel ergeben, nach der man
sich das moderne Wien vorzustellen hat? Aus München
kommt die Meldung, das Publikum habe sich bei der dor¬
tigen Erstaufführung seltsam reserviert verhalten. Leicht
erklärlich. Die arischen Bayern, uns verwandt nach
Stamm und Art, glauben dem Dichter seine Wiener ein¬
fach nicht. Ihr richtiges Empfinden erkennt die Fälschung.
Die Wiener, die ihnen hier vorgeführt werden, sind
ihnen — glückliches München! — fremd. Ohne Zweifel
hat Schnitzler Wienertum in sich. Allein es wurzelt nicht zu
tiefst in seinem Empfinden, es ist kunstfertig assimiliert.
Er sei gewissermaßen einer, der schon lange bei uns wohnt,
uns also gut kennt, aber doch nicht immer hier gewesen
ist. Sein jüdisches Blut mahnt ihn laut genug an seine
Stammfremdheit: es bringt ihm genug Unrast, es erfüllt
ihn mit Unstetheit, es treibt ihn aus Zweifeln in neue
Zweifel, es verweigert ihm alle Lebensbejahungen und
zwingt ihn, jede schön beginnende Stunde grüblerisch in
häßliche Sekunden zu zerpflücken.
Im „Weiten Lande“ erscheint er in seinem beliebtesten
Fahrwasser: er verhöhnt alles gesunde Bestehen, er er¬
öffnet einen wahren Feldzug gegen die echten, guten Ge¬
fühle aller seiner Menschen, er führt in eine Leere von
erschreckender Nüchternheit, er reißt alle Blumen aus dem
weiten Lande unseres Seelenlebens.
Die ersten drei Akte des Stückes hören sich an wie
eine Novelle. Sie sind weitschweifig, sie langweilen, sie
sind voll kluger, witziger und ganz selten auch hübscher Ge¬
spräche. Die Handlung fließt träge dahin. Ein trüber
Bach rinnt durch ein weites, sumpfiges Land. Erst die
beiden letzten Akte bringen Spannungen.
Der trostlose Weg der Haupthandlung ist freilich mit
ein paar lebhafteren Episoden aufgeputzt. Ein witziger
Hotelportier muß herhalten, von Tiroler Bergen ist viel
die Rede und der Semmering kann uns nicht erspart
bleiben. Alle Orte, an denen „sie“ sich wohl fühlen, kommen
an die Reihe.
Die Darsteller haben sich in Ehren aus der Affäre
gezogen. Mehr von ihnen zu fordern wäre unbillig: Herr
Korff, dem nach langer Zeit wieder einmal eine größere
Rolle anvertraut war, fand für Hofreiter einen angemessen
blasierten Ton und hütete sich klug vor Vertiefung. Fräu¬
lein Marberg blieb als Frau Hofreiter weniger an der
Oberfläche und bezahlte dies mit geringerer Anschaulich¬
keit. Herr Devrient und Herr Gerasch brachten
gute Figuren und Herrn Paulsen merkte man das
Vergnügen an, die einzige schöne Gestalt dieses Stückes
(Dr. Maurer) spielen zu dürfen. Fräulein Hofteufel
hätte gut getan, um ein paar Nüancen herzlicher zu sein.
Das Burgtheater hat wieder einmal seine guten
Kräfte an eine unwürdige Aufgabe verschwendet. Herr