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24. Das
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Der Salon, Wien
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Theater.
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Te E. e S GI Sr
Burgtheater.
Wenn man eben vor Jahresende einen Blick
auf das Repertvire des Hofburgtheaters vom Beginn
der Saison 1. September) bis jetzt wirft, so muß
man zur Erkenntnis kommen, daß die klassischen Auf¬
führungen in bedeutender Minderheit verblieben sind:
früge man nach der Ursache, würde man wahrlich mit
der Selbstbeantwortung in Verlegenheit geraten.
Liegt es an der Teilnahmslosigkeit des Publikums
für ernstere Stücke oder vielleicht gar an Be¬
setzungsschwierigkeiten? Vielleicht an allen beiden!
Daß der Geschmack des Publikums wesentlich ein
anderer geworden ist, beweist uns ja am dentlichsten
der noch immer gute Besuch des „Weiten Land“
Wenn wir dieser Schnitzlerschen Tragikomödie, die
Komödie von Adolf Paul, die letzte Neuheit im
Burgtheater, „Die Sprache der Vögel“ gegen¬
überstellen, so muß sowohl der gute Geschmack als
auch das kritische Empfinden für die weitaus künst¬
lerischen Qualitäten der letzteren entscheiden. Wenn
dennoch bereits das Interesse für die Paulsche Ko¬
mödie zu verflachen beginnt, liegt der Grund einfach
im Stoff des Stückes, keinesfalls aber an der ganz
einwandfreien Darstellung. Der Aufbau der „Sprache
der Vögel“ ist weitaus kunstgerechter als der des
„Weiten Landes“ und die Hauptfigur, die des Königs
Salomo, mindestens ebenso interessant, als die des
Fabrikanten Hofreiter. Aber König Salomo tritt ja
nicht im Frack bekleidet auf die Szene und auch seine
Empfindungen und seine Worte sind nicht in die enge
Schnürbrust eines Frackhemdes gezwängt; das allein
wäre schon Grund genug, sie einem Schnitzlerschen
Hofreiter hintanzusetzen. Daß in diesem Menschen
der Paulschen Komödie eine viel tiefere echtere Seele,
ein viel reineres und gesünderes Erfassen des mensch¬
liches Tuns und Handelns liegt, will ja unser auf
das Hypermoderne gestimmte Publikum nicht mehr
qnerkennen. Daß hier auch der Dichter nur das
märchenhafte Milien und Kostüm borgt, wie sein
König Salomo das Märchen von der „Sprache der
Vögel“ (womit nur die Sprache des Herzens, des
Empfindens gemeint ist, wird heute kein moderner
Premierentiger mehr verstehen wollen. Nein, lieber
verlogene, sogenannte komplizierte Charaktere Schnitz¬
lerscher Schreibekunst! „Sprich in Gefühlen, nicht in
Worten! Sprich jene große, allgemeine Sprache der
Natur, die in jedem Herzen zittert, dann bist du all¬
wissend, dann ist dir nichts geheim, dann wirst du
in jedem Herzen wie in einem offenen Buche lesen
können! In dieser Sprache sprach ich längst zu dir,
nur du antwortest nicht!“ Aus diesem wunderbaren,
eine tiefe Wahrheit bergenden Schlußsatz, den uns
Herr Reimers als Salomo mit seiner zu Herzen
dringenden sonoren Stimme so einfach und doch so
schön zu Gehör brachte, liegt ein so erhabener Sinn,
eine so tiefe Wahrheit, daß derjenige, der noch nicht
ganz stumpf, noch nicht ganz auf die seichten Phrasen
Schnitzlers gestimmt ist, jedenfalls von der Paulschen
Komödie mehr befriedigt sein muß. Allerdings müssen
wir konstatieren, daß die Paulsche Dichtung nicht bis
zum Schlusse jene Tiefe durchführt, die so zu packen
gewußt und der letzte Akt sich bereits gewaltsam mit
Aeußerlichkeiten behelfen muß. Aber hier hat die
famose Besetzung günstig eingegriffen. Neben Herrn
Reimers (Salomo=, der diese schöne Leistung wieder
zu dem Besten seines reichen Rollentreises legen kann,
war es Fräulein Wohlgemuth, die, halb Taube,
halb Schlange, der Abisag einen bleudenden Reiz
verlieh. Die Gefühlsübergänge drückte die Künst¬
lerin mit feinster Abklärung aus. Nicht so Herr
Gerasch als Sabnd. Ihm fehlte die künstlerische
Ruhe und der feine, überlegene Humor eines
Bonvivants. — Das dieser Komödie folgende
Lustspiel: „Lottchens Geburtstag“ von
Ludwig Thoma, wäre seiner Art nach ein Lust¬
spiel aus der guten alten Zeit, nicht aber seiner
Tendenz wegen. Solch bedenklichen Themen ist man
früher weise aus dem Wege gegangen und dennoch
wurden damals, ohne diese, bedeutendere Erfolge er¬
zielt als eben jetzt mit der vermeintlichen Not¬
wendigkeit sexueller Aufklärungen. Der Reiz dieses
Einakters liegt aber wohl nur darm, daß er die Hof¬
theaterzenfur passieren mußte und erst nach harten
Kämpfen von dieser freigegeben wurde. Daß das
schlüpfrige Stück Erfolg haben wird, war ja voraus¬
zusehen, schon deshalb, weil Herr Thimig als
Professor Giselins ganz in seiner bekannt trockenen.
und drolligen Weise darin aufgehen konnte. Frau
(Haeberle hat in diesem Lustspiel mit vielem Ge¬
schick ihren Uebertritt ins „rach der Mütter getan.
Auch Frau Lewinsky und Frau-Frank wirkten
sehr komisch.
Deralte Wiener.
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Burgtheater.
Wenn man eben vor Jahresende einen Blick
auf das Repertvire des Hofburgtheaters vom Beginn
der Saison 1. September) bis jetzt wirft, so muß
man zur Erkenntnis kommen, daß die klassischen Auf¬
führungen in bedeutender Minderheit verblieben sind:
früge man nach der Ursache, würde man wahrlich mit
der Selbstbeantwortung in Verlegenheit geraten.
Liegt es an der Teilnahmslosigkeit des Publikums
für ernstere Stücke oder vielleicht gar an Be¬
setzungsschwierigkeiten? Vielleicht an allen beiden!
Daß der Geschmack des Publikums wesentlich ein
anderer geworden ist, beweist uns ja am dentlichsten
der noch immer gute Besuch des „Weiten Land“
Wenn wir dieser Schnitzlerschen Tragikomödie, die
Komödie von Adolf Paul, die letzte Neuheit im
Burgtheater, „Die Sprache der Vögel“ gegen¬
überstellen, so muß sowohl der gute Geschmack als
auch das kritische Empfinden für die weitaus künst¬
lerischen Qualitäten der letzteren entscheiden. Wenn
dennoch bereits das Interesse für die Paulsche Ko¬
mödie zu verflachen beginnt, liegt der Grund einfach
im Stoff des Stückes, keinesfalls aber an der ganz
einwandfreien Darstellung. Der Aufbau der „Sprache
der Vögel“ ist weitaus kunstgerechter als der des
„Weiten Landes“ und die Hauptfigur, die des Königs
Salomo, mindestens ebenso interessant, als die des
Fabrikanten Hofreiter. Aber König Salomo tritt ja
nicht im Frack bekleidet auf die Szene und auch seine
Empfindungen und seine Worte sind nicht in die enge
Schnürbrust eines Frackhemdes gezwängt; das allein
wäre schon Grund genug, sie einem Schnitzlerschen
Hofreiter hintanzusetzen. Daß in diesem Menschen
der Paulschen Komödie eine viel tiefere echtere Seele,
ein viel reineres und gesünderes Erfassen des mensch¬
liches Tuns und Handelns liegt, will ja unser auf
das Hypermoderne gestimmte Publikum nicht mehr
qnerkennen. Daß hier auch der Dichter nur das
märchenhafte Milien und Kostüm borgt, wie sein
König Salomo das Märchen von der „Sprache der
Vögel“ (womit nur die Sprache des Herzens, des
Empfindens gemeint ist, wird heute kein moderner
Premierentiger mehr verstehen wollen. Nein, lieber
verlogene, sogenannte komplizierte Charaktere Schnitz¬
lerscher Schreibekunst! „Sprich in Gefühlen, nicht in
Worten! Sprich jene große, allgemeine Sprache der
Natur, die in jedem Herzen zittert, dann bist du all¬
wissend, dann ist dir nichts geheim, dann wirst du
in jedem Herzen wie in einem offenen Buche lesen
können! In dieser Sprache sprach ich längst zu dir,
nur du antwortest nicht!“ Aus diesem wunderbaren,
eine tiefe Wahrheit bergenden Schlußsatz, den uns
Herr Reimers als Salomo mit seiner zu Herzen
dringenden sonoren Stimme so einfach und doch so
schön zu Gehör brachte, liegt ein so erhabener Sinn,
eine so tiefe Wahrheit, daß derjenige, der noch nicht
ganz stumpf, noch nicht ganz auf die seichten Phrasen
Schnitzlers gestimmt ist, jedenfalls von der Paulschen
Komödie mehr befriedigt sein muß. Allerdings müssen
wir konstatieren, daß die Paulsche Dichtung nicht bis
zum Schlusse jene Tiefe durchführt, die so zu packen
gewußt und der letzte Akt sich bereits gewaltsam mit
Aeußerlichkeiten behelfen muß. Aber hier hat die
famose Besetzung günstig eingegriffen. Neben Herrn
Reimers (Salomo=, der diese schöne Leistung wieder
zu dem Besten seines reichen Rollentreises legen kann,
war es Fräulein Wohlgemuth, die, halb Taube,
halb Schlange, der Abisag einen bleudenden Reiz
verlieh. Die Gefühlsübergänge drückte die Künst¬
lerin mit feinster Abklärung aus. Nicht so Herr
Gerasch als Sabnd. Ihm fehlte die künstlerische
Ruhe und der feine, überlegene Humor eines
Bonvivants. — Das dieser Komödie folgende
Lustspiel: „Lottchens Geburtstag“ von
Ludwig Thoma, wäre seiner Art nach ein Lust¬
spiel aus der guten alten Zeit, nicht aber seiner
Tendenz wegen. Solch bedenklichen Themen ist man
früher weise aus dem Wege gegangen und dennoch
wurden damals, ohne diese, bedeutendere Erfolge er¬
zielt als eben jetzt mit der vermeintlichen Not¬
wendigkeit sexueller Aufklärungen. Der Reiz dieses
Einakters liegt aber wohl nur darm, daß er die Hof¬
theaterzenfur passieren mußte und erst nach harten
Kämpfen von dieser freigegeben wurde. Daß das
schlüpfrige Stück Erfolg haben wird, war ja voraus¬
zusehen, schon deshalb, weil Herr Thimig als
Professor Giselins ganz in seiner bekannt trockenen.
und drolligen Weise darin aufgehen konnte. Frau
(Haeberle hat in diesem Lustspiel mit vielem Ge¬
schick ihren Uebertritt ins „rach der Mütter getan.
Auch Frau Lewinsky und Frau-Frank wirkten
sehr komisch.
Deralte Wiener.