II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 158

Seimitzler ja eine Anzahl wirklamer Lultlpiellpäle im
Blumenthal und Kadelburgstile gelungen, aber es wäre
hüblcher, wenn lie ihnn nicht eingefallen wären. Die
Geltalt des philolophilchen Hoteldirektors ilt in der Epilode
Rtecken geblieben, und es war vielleicht nicht unbedingt
nötig, Züge eines kürzlich Verltorbenen zu verwenden,
eine Schlülfelmanier, die Schnitzler fonit fern liegt. Eine
Enttäulchung enthält auch der Titel. Man erwartet eine
tiefe ldee, ein merkwürdiges Gleichnis, das Aufschlüsse
gewährt. Und dann wird einem die Mitteilung gemacht:
die Seele ilt ein weites Land.
Im ganzen ist diele Tragikomödie kein Stück für einen
großen, lauten Theaterabend. Alle dichterilchen Schön¬
heiten und Intimitäten der Stimmung und des Dialogs
werden verlchlungen. Auch ist der Ton auf piano ge¬
stimmt, finkt oft zu pianillimo herab und erhebt lich in
den heftiglten Momenten nicht über mezzoforte. Allo
in einem Haufe wie dem Burgtheater keine leichte Sache
für Regie und Schaulpieler, und umlo bemerkenswerter
ilt das Ergebnis. Der ganze, noch immer große dar¬
Rtellerilche Reichtum dieler Bühne zeigt lich in lolchen
Konverlationsltücken. Die ganze geselllchaftliche Nobleile
und Kultur, die guten, unaufdringlichen Manieren, die man
in keinem anderen Theater wiederfindet. Die Konverlations-
und Theelzenen im Garten der Badener Villa zeigen viel
Regielorgfalt, die Herrn Thimig zu danken ist. Sein Hotel¬
portier Rolenltock war mäßlig. Der wirkliche Rofenbaum vom
Semmering lpielt leine Rolle unvergleichlich beller, komilcher.
Der traditionelle Ehrgeiz des Burgtheaters, kleine und
kleinite Rollen gleich gut zu beletzen, kann lich diesmal
reichlich betätigen, falt alle lpielten vortrefflich und manche
logar wienerlich. Am bedeutenditen war Herr Heine;
eine Leillung, die man in früheren Zeiten ein Kabinettltück
genannt hätte. Herr Devrient lpielte wie ein um Hart¬
mann Leidtragender. Herr Gerasch in einer undank¬
baren Rolle ein billchen unperlönlich wie immer, Fräulein
Hofteufel als Erna ein reizendes modernes Mädchen,
Frau Bleibtreu in ihren zwei Szenen ichlicht und herzlich.
Lili Marberg hat als Genia den ganzen Abend verhaltenes
Weh, unterdrückte Gefühle darzultellen und lolche noble
Pallivität trifft lie, wie keine. Aber man ilt froh, wenn
lie zum Schluß endlich zu lchluchzen beginnt. Die merk¬
würdiglte lchaulpielerilche Leiltung ist doch die des Herrn
Korff. Man wird ihn fortan vielleicht einfach Korff
nennen dürfen. Eine für Kainz gelchriebene Rolle zu
lpielen ilt nicht angenehm und leicht. Dazu noch eine
derart komplizierte, die den Darlteller fortwährend auf
Irrwege führen kann. Korff hat lich nicht beirren lallen
und die Rolle ziemlich geradlinig angelegt: als einen
liebenswürdig bitteren, weltgewandten Zyniker, als einen
gutgelaunten rücklichtslolen Genießer mit Anfällen von
Nachdenklichkeit und Melancholie. Elegant und leicht im
Ton und in der zweiten Hälfte warm und ergreifend.
Die Leiltung bedeutet für Korff eine Art Reifeprüfung,
die ergeben hat, daß er einer der wenigen von den
Jüngeren ist, die das Burgtheater Rtützen können.
Es ilt von einem belonderen nachdenklichen Reiz, daß
gerade Korff dielen Friedrich Hofreiter lpielt, er, der noch
vor ein paar Jahren in sLiebeleig lpielte. Den Theodor
Kailer oder den Fritz Lobheimer, jedenfalls einen dieler
munteren Wiener jungen Leute, die in ihrem etwas
melancholilchen Leichtlinn zwilchen füßen Mädeln und
untreuen Frauen pendelten. Wer weill, ob Hofreiter
nicht einer von dielen jungen Leuten ist, vielleicht auch
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ein bißchen Anatol, nur um 20 Jahre älter, müder, bitterer.
Er ilt einfach den typilchen Weg gegangen, den alle
Schmitzlergestalten der letzten Jahre gehen, den Weg des
Alterns. Aus den Separés bei Sacher treten lie in die
Wirklichkeit, erleben Duelle, Ehebrüche, sammeln Ent¬
täulchungen, Zynismen, Relignationen jeder Art. Und alle
ltreben verzweifelt hinaus ins Freie und geraten schließlich
auf irgend einen einlamen Weg. Ludwig Hirschfeld
NCDIICDTICDTIGDIIE DTIKDTIGDT ICOPHEDT IGBTIESIICSTIESY IESTIEST
Girardirollen “ von Alexander Cirardi
Das Thema, das ich hier behandeln loll, paßlt mir
ganz und gar nicht. Denn erltens muß ich über mich
lelber Ichreiben und, da lich kein Schaulpieler lelber ver¬
reißt, londern das den Kritikern überläßt, mich auch selber
loben. Und das will ich nicht, obwohl ich schon in dem
Alter bin, wo es mir erlaubt wäre. Und zweitens gibt es
keine Girardirollen. Freilich haben einige Autoren, die
neine Art vor Augen hatten und lich davon nicht los¬
lösen konnten, mir Maß genommen und mir die Rollen
auf den Leib gelchrieben. Daß ich dann aus meiner be¬
Ichriebenen Haut nicht heraus konnte, werden Sie mir
nicht weiter übelnehmen. Dieles Zugeltändnis, das ich
Ihnen mache, verpflichtet mich aber zu gar nichts. Der
Valentin im „Verlchwenderg ilt ja auch meine Rolle, indes
dürfte mich der Raimund nicht gekannt haben, um mir
eine Girardirolle zu lchreiben. Auch „Rip Ripe, der
Florian Heindl im „Lieben Iche, und der Stolzenthaler im
„Vierten Gebote lind nicht extra für mich gelchrieben
worden.
Man lpricht ja auch von Neltroy-, Scholz- und
Treumannrollen, um die Partien durch die Naien ihrer
Farlteller irgendwie zu kennzeichnen und die billige,
perliflierende Komik Neltroys von dem draltilchen, be¬
hibigen Spiel des dicken Scholz und dem Konverlations¬
ton Treumanns in der Polle zu unterlcheiden. Aber das
(oll doch nicht heißen, daß folche Rollen für die Schau¬
lpieler fabriziert wurden — bei Nestroy hätte es noch am
meilten Sinn, weil er lich leine Rollen lelber gelchrieben
hat — londern wohl, daß die Darlteller den Aufgaben,
die an lie geltellt wurden, ihren Stempel aufgedrückt und
ihnen ihre Perlönlichkeit gegeben haben. In dem Augen¬
blick, wo ich den Verluch mache, auf meine Art g’lpaßig
zu lein, fällt immer das mir odiole Wort von der
Girardirolle.
Jletzt wäre ich aber auch lchon zu Ende. Wenn ich
mich über mein Rollenitudium äufsern loll, lo müßlte ich
eigentlich anfangen sgebüldete zu reden: Von Trans¬
figurationsfähigkeit, Intuition und all den andern schönen
Dingen, die man in den letzten Jahren erfunden hat, ich
kann Ihnen nur lagen, daß ich Rudiert auf die Probe
komme und daß es mir auf der Bühne egal ilt, ob ich in
der Operette, Polle oder un Volksltück lpiele. Wenn ich
Rtudiere, lo seh' ich gewöhnlich die darzultellende Gestalt
vor mir. Seh' ich lie nicht, dann macht mir die Partie
Arbeit. Und in dielem Sinne bedeutet Arbeit für mich
kemn Vergnügen.
Da hab ich übrigens gleich wieder Gelegenheit, mich
über Ihre Girardirollen lultig zu machen. Wenn ich wirklich
immer Rollen nach demlelben Leilten darzultellen hätte,
lo müßte ich doch nicht bei der einen Aufgabe mehr, bei
der andern weniger Schwierigkeiten überwinden. Nichts
ilt mir zuwiderer, als wenn ich immer dielelben gewilfen
Thaddädin lpielen soll. Da kommt mir eine Charakter-