II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 210

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24. Das Jeite Land box 28/4
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peentfremdet und der Sohn in der Ferne, in England, erzogen. Durch
einen Zwischenfall werden die Eheleute, die sich in bedenklicher Weise
gegen einander verschließen und nur einem Hausfreunde, dem Ver¬
trauten beider, ihre Herzen öffnen, zur Aussprache gebracht. Ein
Königsberger Akgemeine Zeitumg
junger Virtuose, der intim in der Familie verkehrte, hat sich umge¬
bracht, und Hofreiter vermutet, daß der Unglückliche um Genias willen
aus dem Leben gegangen sei. Mit einem unheimlichen Trotz bohrt
16 10. 1911
er sich in die Vorstellung ein, daß seine Gattin jenen Künstler be¬
günstigt und durch Abbruch des Liebesverhältnisses den Selbstmord
herbeigeführt habe. Es gewährt ihm offenbar Genugtuung, sich durch
Genias Gegenschuld einigermaßen entlastet zu fühlen. Seine Frau
Aus den Berliner Theatern.
beweist ihm schwarz auf weiß das Haltlose seiner Annahme, indem sie
Lessing=Theater: „Das weite Land“, Tragikomödie vol.
ihm einen Abschiedsbrief des Selbstmörders zeigt, aus dem hervorgeht.
Arthur Schnitzler.
daß unglückliche und völlig unerwiderte Liebe zu Genia den jungen
* Berlin, 15. Oktober. Das weite Land — das Wort, das dem
Menschen in den Tod getrieben hat. Hofreiter aber ist weit entfermr,
neuen Stück von Arthur Schnitzler an die Stirne geschrieben
der Gattin den ungerechten Verdacht abzubitten. Er bleibt ihr viel¬
ist — bedeutet etwa so viel wie das volkstümliche „weite Herz". Ein
mehr so fern wie immer in den letzten Jahren, entschließt sich plötzlich,
Mann hat angeblich in seiner Seele Raum für die große Liebe zu
ohne sie eine Reise in die Dolomiten zu machen und, da er ihr eine
seiner Frau, die er auf seiner Lebensbahn immer wieder findet, und
Erklärung für diese Flucht geben soll, macht er ihr die wunderlichste
für allerhand Liebeleien, die er gelegentlich auf Seitenwegen sucht.
aller Enthüllungen: es flößt ihm Grauen ein, daß ein „Schemen, ein
So behauptet wenigstens in dem Schnit#erschen Stück ein älterer
Phantom, ein Nichts wenigstens einem so furchtbaren Ding gegenüber,
Mann, der mit dieser Theorie jämmerlich gescheitert ist, im Gespräch
einem so irreparablen wie der Tod“, nämlich die Tugend seiner Frau,
mit einem jüngeren, der als praktischer Anhänger dieser Lehre nicht
einen Selbstmord herbeigeführt habe. Deshalb könne er für die
sich allein, sondern ein gut Teil seiner Umgebung ins Unglück stürzt.
nächste Zeit — bis sich der Eindruck ein wenig gemildert habe —
Dieser aktive Vertreter des weiten Seelenlandes, der Fabrikant und
Genias Nähe nicht ertragen. Der Moment dieses Geständnisses er¬
Erfinder Hofreiter, steht im Mittelpunkt des Stückes und beherrscht die
innerte mich am lebhaftesten an Ibsen. Bis zu dieser Umkehrung, bis
beiden ersten Akte, die ich dem Besten beizählen möchte, was Arthur
zu dieser Grausamkeit der Negation hätte wohl auch der nordische
Magus eine Natur getrieben, in der sich die Umwertung aller Werte.
Schnitzler auf die Szene gebracht hat.
Hofreiter ist da als eine Art Wiener Baumeister Solneß, als
von der man gemeinhin nur spricht, tatsächlich vollzogen has
Halbgenie und unbewußter Egoist, als eine triebhafte Natur, die ge¬
in der sie wirklich die Neigungen und die Entschlüsse bestimmt. Abere
man darf vermuten, daß Ibsens Strenge den Konflikt ganz anders
rade durch ihre Rücksichtslosigkeit einen faszinierenden Reiz auf die
zu Ende geführt hätte, sicher nicht dadurch, daß beide Teile früher
Frauen ausübt, vortrefflich charakterisiert, die Wiener Gesellschaft, in
der der Fraueneroberer und =Betrüger sich entwickelt hat, in ihrem
oder später ihrer Natur untreu werden.
Gemisch von tändelndem Geist, Klatschfreudigkeit, Liebens¬
Bei Schnitzler folgen wir zunächst unserem verheirateten Lo¬
würdigkeit und Gigerltum mit größter Feinheit gezeichnet,
velace in die Dolomiten, in ein (beiläufig bemerkt mit viel Laune aus¬
und das Motiv wird in einem Dialog herausgearbeitet,
gemaltes) Gebirgshotel, wo der Unersättliche eine junge Dame von #
der nicht etwa geistreich im Sinne eines Spiels mit
starker Sinnlichkeit dazu bringt, sich ihm ohne Besinnung und ohne
vorbereiteten Pointen, sondern geistvoll durch den Charaktergehalt und
Bürgschaft an den Hals zu werfen. Die schwermütige Gattin daheim?
den Beziehungsreichtum jedes Wortes ist. Um dieses zarten und doch
aber zieht nun endlich ihre Konsequenzen aus dem Grauen, das ihre
festgeknüpften Redegewebes willen, das im Offenen und Versteckten,
Tugend eingeflößt hat. Sie gibt sich mit der Ruhe, mit der man das ##
im Gesprochenen und Verschwiegenen auf intime Vorgänge deutet,
Fazit einer Rechnung zieht, ohne daß wir eine Leidenschaft auf¬ #
könnte man den Autor dieser beiden ersten Akte einen südlichen Ibsen
flammen oder hinterher verflackern sehen, einem jungen Manne hin, ?#
nennen. Ganz allmählich fallen im Bereiche leichten anmutigen Ge¬
dessen stürmische Neigung sie erweckt hat. Nach Hause zurückgekehrt,
plauders die Schleier von einer innerlich zerstörten Ehe. Genia, die
wird Hofreiter, der vor den Fenstern seiner neuen Geliebten wie ein
mild melancholische Gattin des leichtfertigen Vierzigers, hält in
Knabe schwrämt, zum Zeugen der Untreue seiner Gattin; er sieht den
schmerzlicher Treue zu dem Gatten, der sie rastlos betrügt; sie spricht
begünstigten Jüngling nächtlicherweile aus seiner Villa kommen, und #
sich wohl die Freiheit zu, sich zu revanchieren, aber sie verschmäht es
mit einem Male erwacht der alte Ehemannstrieb in dem entschlossenen?
aus innerer Nötigung heraus, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen,
obgleich sie die Vereinsamung schwer empfindet. Der Gatte wird ihr! Verleugner aller Ehepflichten, der die Gattin um ihrer Tugend willen